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Stresstest für Betriebsräte Böckler Impuls

Coronakrise: Stresstest für Betriebsräte

Ausgabe 10/2022

Gesundheitsschutz, Digitalisierung, Homeoffice: Die Corona-Pandemie hat viele Betriebsräte vor neue Herausforderungen gestellt und zusätzlich belastet.

In Krisen schlägt auch die Stunde der Mitbestimmung: Betriebsräte spielen eine wichtige Rolle, wenn es zum Beispiel um Beschäftigungssicherung, Kurzarbeit oder Sozialpläne geht. Forschungsergebnisse zeigen, dass in der Corona­krise die Einkommen, die Gesundheit von Beschäftigten und ihre Zukunftsaussichten besser geschützt sind, wenn Betriebe mitbestimmt sind und ein Tarifvertrag gilt. Wie die Pandemie sich auf die Arbeit von Betriebsrätinnen und Betriebsräten selbst ausgewirkt hat, haben die WSI-Forscher Martin Behrens und Wolfram Brehmer in einer neuen Studie untersucht. Dafür haben sie Daten der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2021 ausgewertet, die sich auf fast 3900 mitbestimmte Betriebe und Dienststellen mit wenigstens 20 Beschäftigten beziehen. Den Ergebnissen zufolge hat Corona die Agenda der meisten Interessenvertretungen maßgeblich geprägt und den Mitgliedern erhebliche Zusatzarbeit beschert. Der Kontakt zur Belegschaft wurde erschwert, das Verhältnis zum Management hat in der Regel nicht gelitten.

Bei den Schwerpunkten der Betriebsratsarbeit hätten sich Inhalte mit Pandemiebezug „deutlich in den Vordergrund gedrängt“, schreiben Behrens und Brehmer. An erster Stelle stand das Thema „Corona und die Folgen für den Betriebsablauf“, mit dem sich 88 Prozent der Betriebsräte und 93 Prozent der Personalräte beschäftigt haben. Danach folgen „Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung“, „Mobile Arbeit und Homeoffice“ sowie „Neue Techniken und Digitalisierung“. Letzteres ist auch das Thema, das im Vergleich zu 2018 den größten Bedeutungszuwachs verzeichnet hat. Weniger oft auf der Tagesordnung stand dagegen beispielsweise der Umgang mit Befristung oder Leiharbeit.

Verändert hat sich auch der Stresslevel in der Betriebs- und Personalratsarbeit: 56 Prozent der Befragten geben an, dass die Belastungen seit Beginn der Coronakrise gestiegen sind. Von gleichbleibenden Belastungen berichten 39 Prozent, nur 5 Prozent von einem Rückgang. Besonders hoch ist der Anteil der zusätzlichen Herausforderungen bei Großbetrieben und denjenigen, die von verstärkter Digitalisierung betroffen, von Insolvenz bedroht oder mit veränderten Vertriebs- und Lieferwegen konfrontiert waren.

Auf die Arbeitsweise der Mitbestimmungsgremien hatte die Pandemie ebenfalls Auswirkungen: Präsenz blieb zwar mit 42 und 38 Prozent die häufigste Form, in der Betriebs- oder Personalratssitzungen abgehalten wurden. Gut ein Drittel fand allerdings als Videokonferenz statt, in hybrider Form 11 beziehungsweise 18 Prozent, als Telefonkonferenz 14 und 11 Prozent. Tendenziell noch geringer war der Anteil der Präsenz in Großbetrieben – vermutlich, weil Abstandsregeln sich besser in kleinen Gremien einhalten lassen – und in Branchen wie Information und Kommunikation oder Finanzen und Versicherungen, wo die Nutzung digitaler Kommunikationskanäle schon länger gängig ist. Im Schnitt fand nur noch eine Betriebsversammlung pro Jahr statt – vor Corona waren es 2,9. Die Zahl der Personalversammlungen in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes hat sich von 1,7 auf 0,5 verringert.

Das Verhältnis zum Arbeitgeber ist laut der Auswertung weitgehend stabil geblieben: 74 Prozent der Betriebsräte und 70 Prozent der Personalräte bezeichnen es als unverändert, 15 und 18 Prozent nehmen eine Verbesserung wahr, jeweils etwa 12 Prozent eine Verschlechterung. Zu Belastungen für die Zusammenarbeit mit dem Management sei es unter anderem gekommen, wenn den Interessenvertretungen Mitbestimmung versagt wurde, so Behrens und Brehmer. Eine Verschlechterung des Verhältnisses haben dementsprechend 25 Prozent derjenigen zu Protokoll gegeben, die nicht an der Ausgestaltung des betrieblichen Infektionsschutzes beteiligt waren. Der Anteil war zudem dann erhöht, wenn mobile Arbeit oder Homeoffice nicht oder nur von einer Minderheit genutzt werden konnte.

Alles in allem, so das Fazit der WSI-Forscher, dürfte die Coronakrise die betriebliche Mitbestimmung dauerhaft verändern. Die angestoßenen Digitalisierungsprozesse etwa müssten langfristig begleitet werden. Und dass mobile Arbeit vielerorts alltäglich geworden ist, lasse sich nur schwer „rückabwickeln“. Betriebs- und Personalräte kämen daher nicht umhin, sich um Regeln für die Arbeit am heimischen Schreibtisch zu kümmern. Zudem brauche es neue Konzepte für den Kontakt mit Beschäftigten im Homeoffice. Um der Zusatzbelastung der Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter Rechnung zu tragen und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken, böten sich der Ausbau von Freistellungen, ein erleichterter Zugang zu Beratung und externem Sachverstand sowie bessere personelle Unterstützung bei Bürotätigkeiten an.

Martin Behrens, Wolfram Brehmer: Betriebs- und Personalratsarbeit in Zeiten der Covid-Pandemie, WSI-Report Nr. 75, Mai 2022

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