zurück
HBS Böckler Impuls

Studium: Stipendienpläne: Hilfe für die Falschen

Ausgabe 03/2010

Die Bundesregierung plant, Studierende ausschließlich nach ihren Noten zu fördern, nicht nach ihrem Einkommen. Das wird nicht nur sehr teuer, sondern löst auch die Probleme der Studienfinanzierung nicht - sagt Professor Andrä Wolter von der TU Dresden.

Herr Wolter, die Bundesregierung plant zusätzlich zum BAföG und zur Begabtenförderung ein neues Stipendienprogramm. Eine gute Nachricht für die Studierenden?

Wolter: Wir haben in Deutschland ein erhebliches Defizit an Stipendien. Die Begabtenförderung erreicht gerade mal ein Prozent aller Studierenden, also eine sehr kleine Gruppe. Insofern ist es zu begrüßen, dass die Koalition auf diesem Gebiet etwas unternehmen will. Und Frau Schavan hat sich ja auch in den letzten Jahren sehr für eine Ausweitung der Studienförderung durch Stipendien engagiert. Nur: Mit dem derzeit vorliegenden Konzept wird die Regierung keines der wesentlichen Probleme der Studienfinanzierung lösen.

Warum nicht?

Wolter: Weil man eine sehr beträchtliche Summe für Studierende ausgeben will, von denen viele das Geld gar nicht brauchen - die Einnahmen der Studierenden oder ihrer Eltern sollen ja bei der Vergabe keine Rolle spielen. Wir haben keine klaren Erkenntnisse darüber, ob Studierende mit sicheren und hohen Einnahmen bessere Noten erzielen. Aber wir dürfen davon ausgehen, dass die besten zehn Prozent seltener von finanzieller Unsicherheit geplagt sind als andere. Außerdem hat etwa die Hälfte aller Studierenden keine finanziellen Probleme, so dass viele auf das Geld nicht angewiesen wären.

Halten Sie es denn für falsch, nach Noten zu fördern?

Wolter: Nein, Noten sind auf jeden Fall ein wichtiger Indikator für Leistung. Sie sind aber nicht der einzige. An einer Hochschule geht es nicht allein darum, fachliche Eliten auszubilden, sondern auch Engagement zu unterstützen. Wenn die Gesellschaft dann jemanden besonders fördert, dann darf sie auch ein gesellschaftliches Engagement erwarten, in welcher Form auch immer. In der Begabtenförderung ist das sehr gut geregelt, bei diesen Plänen aber fehlt das völlig. Noch schwerer wiegt allerdings, dass die wirklich drängenden Probleme der Studienfinanzierung unberücksichtigt bleiben.

Wo sollte die Förderung denn ansetzen?

Wolter: Im internationalen Vergleich hinkt die Bundesrepublik mit ihrer Studierendenquote hinterher, der Abstand zu vielen Ländern, etwa Großbritannien oder Frankreich, vergrößert sich seit Jahren. Richtig konzipierte Stipendien könnten ihn verringern. Wenn wir mehr Akademiker haben wollen, dann dürfen wir das Kriterium Einkommen nicht außer Acht lassen. Wir wissen aus der Forschung, dass zahlreiche Abiturienten und Fachoberschüler aus finanziellen Erwägungen auf ein Studium verzichten. Und ebenso wissen wir aus der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes, dass die Finanzlage von etwa einem Viertel bis einem Drittel der Studierenden prekär ist: Sie haben nur geringe und unsichere Einkünfte. Eine einkommensabhängige Förderung wie das BAföG konzentriert das Geld dort, wo es benötigt wird. Eine Ausweitung des BAföG könnte die Zahl der Studienanfänger und der Absolventen erhöhen, sie könnte Studienabbrüche aus finanziellen Gründen verhindern, einer der wichtigsten Abbruchgründe.

Nun soll es zu einer Ausweitung der Stipendien kommen - dank der Beteiligung der Wirtschaft, die die Hälfte der Kosten tragen soll.

Wolter: Im Prinzip ist es völlig richtig, Wirtschaft und Privatleute zur Stipendienvergabe zu mobilisieren. Wir brauchen sie dringend. Und wenn die Wirtschaft eigene Stipendien auflegt, dann ist es auch legitim, wenn sie die Auswahlkriterien bestimmt. Ich habe aber große Zweifel, ob eine Bindung öffentlicher Mittel an eine private Finanzierung aus der Wirtschaft der richtige Weg ist.

Warum?

Wolter: Weil ich mich frage, warum der Staat seine Förderung an die Entscheidung von Unternehmen binden soll, die ganz eigene Interessen haben. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob die Hochschulen von diesem Plan begeistert sind. Denn die sollen das alleine organisieren, und plötzlich mehrere tausend Stipendien einzuwerben, das ist eine gewaltige Aufgabe. Die Hochschulen müssten erst einmal das Know-how dafür aufbauen. An den Technischen Universitäten dürfte die Akquise etwas leichter fallen, aber in strukturschwachen Regionen Mittel für Geisteswissenschaften einzusammeln, das klingt wenig aussichtsreich. Die Politik stellt ja immer wieder Stipendien der Wirtschaft in Aussicht, in der Debatte um Studiengebühren spielte dieses Versprechen eine große Rolle. Diese groß angekündigten Stipendienprogramme sind aber weitgehend ausgeblieben.  


Andrä Wolter ist Professor für Organisationsentwicklung im Bildungswesen und Hochschulforscher an der TU Dresden. Er war Projektleiter der 17. und 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks.


Textbox:

Das Pinkwart-Modell

Die Regierungsparteien haben sich auf ein neues bundesweites Stipendienprogramm verständigt. Das so genannte Pinkwart-Modell soll ab Oktober 2010 umgesetzt werden, zusätzlich zum BAföG und zur Begabtenförderung. Es sieht eine Stipendienvergabe nach Noten vor, nicht nach finanziellem Bedarf. Die zehn Prozent der Notenbesten erhalten jeweils 300 Euro im Monat, die Gesamtkosten würden sich auf über 700 Millionen Euro pro Jahr summieren. Die Hälfte des Geldes soll aus der Wirtschaft kommen, die andere von Bund und Ländern.

  • Das Herkunftsmilieu hat großen Einfluss auf die Studierneigung. Zur Grafik

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen