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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Soziale Sicherheit für Selbstständige

Ausgabe 14/2007

In Europa arbeiten immer mehr Beschäftigte auf eigene Rechnung. In Deutschland fallen diese neuen Selbstständigen jedoch weitgehend durch das Raster der sozialen Sicherungssysteme.

Die zunehmende Ausgliederung von Unternehmensteilen und beschäftigungspolitische Flexibilisierung verändert die Struktur der Arbeitsmärkte. In vielen Ländern Europas hat sich die Zahl der Selbstständigen erhöht. Andere europäische Staaten haben diese jedoch weitaus besser in die allgemeine soziale Sicherung einbezogen als die Deutschen. Musterbeispiel ist Schweden. Aber auch Italien, Großbritannien und die Niederlande schneiden im Vergleich besser ab. Zu diesem Schluss kommt Dr. Karin Schulze Buschoff. Die Forscherin hat gemeinsam mit ihren Kollegen am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung die soziale Absicherung für neue Selbstständige in diesen Ländern genauer analysiert.

Allen Staaten gemeinsam ist, dass viele Klein- oder Solo-Unternehmen entstanden sind, oftmals mit nur geringen Vermögenswerten. Sie passen nicht in das Profil der traditionellen Selbstständigen - verkammerte Berufe wie Ärzte oder Rechtsanwälte, Mittelstandsbetriebe und Kleingewerbetreibende. Vor allem in Deutschland nahm die Zahl der Solo-Selbstständigen in den 90er-Jahren deutlich zu: Zur Jahrtausendwende arbeitete hier jeder zweite Selbstständige allein.

Neue Selbstständige finden sich vor allem in den unternehmensnahen Dienstleistungen und im Gesundheits- und Pflegesektor. Doch auch auf dem Bau werden abhängig Beschäftigte über Subunternehmertum, Contracting-Out und Franchising zu Selbstständigen. Für Solo-Selbstständige gilt: Sie wechseln häufig von einem Erwerbsstatus in den nächsten, sind mal Arbeitnehmer, mal selbstständig, mal arbeitslos. Für sie ist die Gefahr unsteter und niedriger Einkommen größer als bei anderen Selbstständigen. Die Absicherung sozialer Risiken - Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit - funktioniert in den untersuchten Ländern jedoch unterschiedlich gut.

In Schweden werden Selbstständige zu weitgehend gleichen Bedingungen von den sozialen Sicherungssystemen erfasst wie abhängig Beschäftigte. Der Übergang von einem Erwerbsstatus in den anderen ist kaum mit Nachteilen verbunden, so Schulze Buschoff: "Die umfassende Absicherung der sozialen Risiken für Selbstständige einschließlich der Arbeitslosigkeit ist einzigartig in unserem europäischen Vergleich."

In Italien sind alle Selbstständigen in die obligatorischen Systeme der sozialen Sicherung integriert. Mit Ausnahme von Arbeitslosigkeit sind so alle sozialen Risiken abgedeckt: Selbstständige haben Anspruch auf Rentenzahlung, Leistungen des Gesundheitssystems und Leistungen bei Mutterschaft. Von Nachteil sei, dass die Regelungen selektiv und bruchstückhaft sind, schreibt die Forscherin. Beispielsweise erschwere die Vielzahl von Rentenfonds einen Statuswechsel.

Großbritannien erfasst Selbstständige in den meisten Systemen der staatlichen Grundsicherung. Sämtliche Einwohner haben Zugang zum steuerfinanzierten Gesundheitsdienst. Im Grundrentensystem sind auch Selbstständige pflichtversichert, allerdings nicht im staatlichen Rentenzusatzsystem. Deshalb befürchten Experten gerade bei den neuen Selbstständigen im Alter relative Armut. Auch gegen das Risiko von Arbeitslosigkeit sind nur die abhängig Beschäftigten abgesichert.

In den Niederlanden müssen Selbstständige seit dem Sommer 2004 einige ihrer sozialen Risiken über den privaten Versicherungsmarkt absichern. Bei Mutterschaft oder Krankheit haben sie zwar die gleichen Ansprüche auf Sachleistungen wie alle anderen Einwohner. Sie erhalten jedoch keine Geldleistungen. Allerdings haben sie Anspruch auf eine staatliche Grundrente im Alter.

Deutschland stellt in Europa eine Besonderheit dar: Selbstständige werden in der Regel von staatlichen Pflichtversicherungssystemen nicht erfasst. "Dahinter steht die Vorstellung, dass Selbstständige im Gegensatz zu abhängig Beschäftigten nicht des kollektiven Schutzes der Solidargemeinschaft bedürfen und selbst Vorsorge treffen können", so Schulze Buschoff. Doch besonders Solo-Selbstständige erzielten häufig geringe und unregelmäßige Einkommen. Der steigenden Tendenz zu wechselnden Erwerbsformen werde das deutsche Sozialversicherungssystem nur unzureichend gerecht. Immerhin: Seit Februar 2006 können Selbstständige sich unter bestimmten Voraussetzungen freiwillig weiterhin gegen Arbeitslosigkeit absichern.  

  • Bei Arbeitslosigkeit haben die meisten Selbstständigen schlechte Karten. Zur Grafik

Karin Schulze Buschoff: "Neue Selbstständige" und soziale Sicherheit - Ein europäischer Vergleich, in: WSI-Mitteilungen 07/2007.

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