zurück
HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Regeln für Multis kommen

Ausgabe 09/2012

Die Zahl transnationaler Unternehmens­vereinbarungen wächst. Besonders über Restrukturierungen verhandeln Management und Arbeitnehmervertretungen zunehmend auf europäischer Ebene.

Die Internationalisierung von Märkten und Konzernstrukturen stellt Arbeitnehmervertreter vor ein Problem: Multinationale Unternehmen können nationale tarifliche oder arbeitsrechtliche Standards zunehmend umgehen. Internationale Regelungen wären nötig, sind bislang allerdings nur in Ansätzen entwickelt. Zu den Instrumenten, die zur grenzüberschreitenden Regulierung von Arbeitsbeziehungen beitragen könnten, gehören transnationale Unternehmensvereinbarungen. Das sind Übereinkommen, die Repräsentanten von Management und Belegschaften auf Unternehmensebene aushandeln. Welche Bedeutung solchen Vereinbarungen zukommt, haben Stefan Rüb, Hans-Wolfgang Platzer und Torsten Müller von der Forschungsgruppe „Europäische und globale Arbeitsbeziehungen“ an der Hochschule Fulda untersucht. Unterstützt wurde ihr Projekt von der Hans-Böckler-Stiftung.

Besonders für die Entwicklung europäischer Arbeitsbeziehungen dürften transnationale Unternehmensvereinbarungen eine zentrale Rolle spielen, schreiben die Politikwissenschaftler. Ein wichtiger Grund: Außer dem eher unverbindlichen Sozialen Dialog gebe es keine überbetrieblichen Verhandlungsarenen für die europäischen Sozialpartner. Zudem sei seit den 1990er-Jahren eine Tendenz zur Dezentralisierung der nationalen Tarifvertragssysteme zu beobachten. Arbeitgeber und Beschäftigte verhandeln also immer öfter auf betrieblicher Ebene. Das transnationale Unternehmen sei daher „der zentrale Ort und der dynamischste Pol der Europäisierung der Arbeitsbeziehungen“.

Bis Ende 2011 haben 142 Unternehmen insgesamt 244 transnationale Vereinbarungen abgeschlossen – 125 globale und 119 europäische. Verhandlungspartner des Managements waren vor allem internationale Gewerkschaftsverbände und Europäische Betriebsräte (EBR), vereinzelt aber auch nationale Gewerkschaften oder Arbeitnehmergremien.

Verbindliche gesetzliche Vorgaben für transnationale Unternehmensvereinbarungen, so die Autoren, fehlten bislang. Eine Initiative der EU-Kommission für die Schaffung eines optionalen Rechtsrahmens befinde sich noch im Konsultationsstadium.

Wie Arbeitnehmervertreter mit dem Fehlen rechtlicher Vorgaben umgehen, zeigen die Forscher am Beispiel europäischer Vereinbarungen in der Metallindustrie. Konzernspezifische Bedingungen und nationale Traditionen spielen eine entscheidende Rolle bei transnationalen Verhandlungen, so die Analyse. Französisch dominierte EBR tendierten dazu, die Verhandlungsführung den europäischen Gewerkschaftsverbänden und den nationalen Gewerkschaften zu überlassen. Deutsche Arbeitnehmervertreter betrachteten häufig eher den EBR als einen zentralen Akteur.

Inhaltlich dominiert die untersuchten Vereinbarungen ein Thema: Der mit Abstand wichtigste Verhandlungsgegenstand sind europäische Restrukturierungen. Geregelt werden zum einen die Modalitäten konkreter Umbauprozesse, also beispielsweise Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung oder Umschulungsprogramme. Zum anderen finden sich auch generelle Leitlinien für grenzüberschreitende Umstrukturierungen. Ansonsten reicht das Themenspektrum von Gewinnbeteiligung über Fragen der Aus- und Weiterbildung bis hin zu sozialen Mindeststandards.

Alles in allem gehen die Autoren der Studie davon aus, dass die „bisherigen transnationalen Konzernvereinbarungen den Beginn einer neuen dynamischen Entwicklungsphase“ markieren. Arbeitnehmervertretern empfehlen sie daher, den grenzüberschreitenden Erfahrungsaustausch und die Vernetzung voranzutreiben.

  • Transnationale Unternehmensvereinbarungen sind Übereinkommen, die Repräsentanten von Management und Belegschaften auf Unternehmensebene aushandeln. Der wichtigste Verhandlungsgegenstand sind grenzüberschreitende Restrukturierungen. Zur Grafik
  • Transnationale Unternehmensvereinbarungen verhandelt das Management vor allem mit internationalen Gewerkschaftsverbänden und Europäischen Betriebsräte, vereinzelt aber auch mit nationalen Gewerkschaften oder Arbeitnehmergremien. Zur Grafik

Stefan Rüb, Hans-Wolfgang Platzer, Torsten Müller: Transnationale Unternehmensvereinbarungen, edition sigma 2011

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen