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HBS Böckler Impuls

Konjunktur: Potenzialschätzung: Stochern im Nebel

Ausgabe 02/2007

Wie viel Prozent Wachstum sind für die deutsche Wirtschaft optimal? Dieser wirtschaftspolitisch wichtigen Frage gehen Ökonomen mit so genannten Potenzialschätzungen nach. Doch die Methode taugt nicht viel, so das Ergebnis einer Studie des IMK.

Als "Produktionspotenzial" bezeichnet die Wirtschaftswissenschaft das Niveau des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das eine Volkswirtschaft nachhaltig - sprich: ohne steigende Inflation - erreichen kann. Die "Produktionslücke" misst die Abweichung des tatsächlichen BIP vom Produktionspotenzial; sie zeigt also an, ob die Produktionskapazitäten ausgelastet sind. Diese Kennzahlen sind für die Wirtschaftspolitik äußerst wichtig: Befürchtet beispielsweise die Zentralbank eine zu hohe Inflation, so kann sie rechtzeitig die Zinsen anheben und damit das Wirtschaftswachstum bremsen.

Jedoch: Die bislang auch in Deutschland verwendeten Konzepte zur Messung des Potenzialwachstums taugen nichts. Denn die berechneten Werte für die Produktionslücke "spiegeln letztlich die Trendverläufe in den einzelnen Volkswirtschaften wider", so die Experten des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn und Silke Tober. Weicht die Konjunktur eines Landes stark von der bisherigen Entwicklung ab, ändert sich die Schätzung dabei nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit.

Besonders plastisch zeigt sich diese Unzulänglichkeit am Beispiel Deutschlands, wo die Wirtschaft seit 2000 über Jahre kaum wuchs. Im Frühjahr 2000 bezifferte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Produktionslücke für 1999 mit minus 2,8 Prozent; die Produktionskapazitäten waren also nicht ausgelastet. Nach neuer Berechnung im Frühjahr 2006 lag die Lücke 1999 jedoch bei 0,1 Prozent - nicht nur ein Unterschied von fast drei Prozentpunkten, sondern auch eine Umkehr des Vorzeichens. Ähnlich die Ergebnisse für 2001: Im Frühjahr 2002 schätzte der IWF die Produktionslücke auf minus 1,2 Prozent. Aus Sicht des Jahres 2006 war die Lücke jedoch mit 1,5 Prozent deutlich positiv.

Die Untersuchung des IMK zeigt: Solch drastische Revisionen kamen nicht zustande, weil die Ökonomen sich zunächst geirrt hatten. Auch Veränderungen bei den vom Statistischen Bundesamt gelieferten Daten spielten keine Rolle. Das eigentliche Problem sind die zu stark vereinfachenden statistischen Methoden: "Obwohl der Produktionsfunktionsansatz vom Prinzip her ein relativ komplizierter und detaillierter Ansatz ist, kommen bei der Schätzung des Produktionspotenzials letztlich an mehreren Stellen relativ einfache Filterverfahren zum Einsatz", stellen Horn und Tober fest. Das Modell schreibt lediglich das fort, was schon passiert ist.

Lässt sich die Methode selbst verbessern? Um dies herauszufinden, versuchten sich die Forscher an einer ökonomisch fundierteren Schätzung. Jedoch: "Wie die herkömmlichen Schätzungen des Produktionspotenzials ist auch die IMK-Schätzung mit erheblicher Unsicherheit behaftet", urteilen die Ökonomen. "Auch sie ist damit letztendlich kein adäquates Orientierungsmaß für die Wirtschaftspolitik."

Wie sehr die bisherigen Rechnungen in die Irre führen, zeigt die Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands seit 2000. Anders als es die Berechnungen des IWF zu zeigen scheinen, waren die Produktionskapazitäten nicht überausgelastet; die Konjunktur war nicht überhitzt. Deshalb trat die Wirtschaftspolitik zu Unrecht auf die Bremse.

Die tatsächlichen Zahlen sahen anders aus, so das IMK: "Die Lohnstückkosten stiegen im Jahr 2000 nur mit einer Rate von 0,7 Prozent und übten damit einen dämpfenden Effekt auf die Inflationsentwicklung aus, was nur schwerlich als Zeichen für eine konjunkturelle Überhitzung gedeutet werden kann."

Der Ausweg: "Angesichts der ungelösten Schwierigkeiten, ein belastbares Wachstumspotenzial empirisch zu ermitteln, muss die Wirtschaftspolitik lernen, ihre Ziele ohne eine solche Größe zu erreichen", empfehlen Horn und Tober. Stattdessen sollte sie sich an Indikatoren wie der Lohnstückkostenentwicklung orientieren, die frühzeitig Gefahren für die Preisstabilität aufzeigen.

Auf diesem Wege könnte sich eine positive Selbstverstärkung herausbilden mit sinkender Arbeitslosigkeit, steigender Erwerbsbeteiligungsquote, zunehmendem Produktivitätswachstum und soliden Staatsfinanzen

  • Die Output-Lücke ist schwer zu schätzen. Zur Grafik

Gustav Horn, Silke Tober: Wie stark kann die deutsche Wirtschaft wachsen? Zu den Irrungen und Wirrungen der Potenzialberechnung, in: IMK Report Nr. 17 Januar 2007.

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