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HBS Böckler Impuls

Tarifpolitik: Öffentliche Aufträge nur mit Mindestlohn

Ausgabe 01/2013

Die meisten deutschen Bundesländer machen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Einhaltung von Lohnstandards zur Bedingung. Auch in anderen europäischen Staaten sind solche Tariftreueregelungen populär.

88 Prozent der EU-Bürger halten es laut einer Umfrage der EU-Kommission für richtig, wenn der Staat seine Aufträge nicht einfach an den günstigsten Anbieter vergibt, sondern dabei auf soziale Aspekte achtet. In etlichen europäischen Ländern berücksichtigen öffentliche Auftraggeber diese Prioritätensetzung auch in ihren Vergabegesetzen, zeigt eine aktuelle Studie, die der WSI-Tarifexperte Thorsten Schulten zusammen mit internationalen Forscherkollegen vorgelegt hat. Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten wollen, müssen sich dort verpflichten, bestimmte Mindestlohn- oder Tarifstandards einzuhalten.

Weit verbreitet sind Tariftreueregelungen vor allem in Dänemark, Norwegen und Schweden sowie in der Schweiz, so die Forscher. Dort bildet in der Regel die Einhaltung der jeweils ortsüblichen Tarifverträge die Voraussetzung, um öffentliche Aufträge zu bekommen. Großbritannien kennt keine landesweiten Vorgaben, doch schließen sich immer mehr Städte „Living-Wage-Initiativen“ an. Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, sollen mindestens die jeweiligen lokalen „Living Wages“ zahlen. Diese liegen über dem nationalen Mindestlohn.

Die Analyse zeigt auch: Tariftreue- und Mindestlohnklauseln sind vor allem in Ländern von Bedeutung, die keine Regelungen zur Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Tarifverträgen besitzen, oder in denen die AVE auf wenige Branchen beschränkt ist. In Staaten mit umfassenden AVE-Systemen gelten Tarifverträge in der Regel automatisch auch bei öffentlichen Aufträgen. Das ist etwa in Frankreich oder den Niederlanden so, wo mehr als 80 Prozent aller Beschäftigten von Tarifverträgen profitieren, die für alle Unternehmen bindend sind.

In Deutschland werden Tarifverträge dagegen nur noch selten allgemeinverbindlich erklärt. Die rechtlichen Hürden dafür seien hoch und oft bremsten die Arbeitgeberverbände, so Schulten. Er führt es auch auf die Schwäche der AVE zurück, dass seit einigen Jahren eine „regelrechte Renaissance von Tariftreue- und Mindestlohnklauseln“ zu beobachten sei: Mittlerweile haben elf Bundesländer eigene Tariftreuegesetze. In zwei weiteren, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, haben die Landesregierungen Gesetzesvorlagen eingebracht. Lediglich in Bayern, Hessen und Sachsen existieren keine Tariftreuegesetze.

Allerdings konstatieren die Forscher zeitgleich mit dem Trend zu mehr Tariftreueregelungen eine widersprüchliche juristische Situation in Europa: Auf der einen Seite hat der Europäischen Gerichtshof (EuGH) 2008 in seinem so genannten Rüffert-Urteil entschieden, dass Tariftreuevorgaben die europäische Dienstleistungsfreiheit einschränkten. Das ist nach Auffassung der Richter nur dann erlaubt, wenn die Vergabevorschriften Anbieter auf gesetzliche Mindestlöhne oder allgemeinverbindliche Tarifverträge verpflichten.

Die Konvention Nr. 94 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sieht hingegen explizit vor, dass auch die Einhaltung nicht allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge Voraussetzung für einen öffentlichen Auftrag sein kann. Zehn EU-Länder haben diese Regelung ratifiziert, Deutschland nicht. Sie ist nach Schultens Analyse weitaus logischer als der EuGH-Entscheid: „Das Rüffert-Urteil macht eigentlich überhaupt keinen Sinn, da es Tariftreuevorgaben nur da zulassen will, wo sie aufgrund allgemeinverbindlicher Tarifverträge sowieso überflüssig sind.“

10 der 13 Bundesländer mit gültigen oder geplanten Tariftreueregelungen haben auf die EuGH-Entscheidung reagiert, indem sie gesetzliche Mindestlöhne speziell für öffentliche Auftragsvergaben eingeführt haben. Der Vorteil: Rechtsexperten halten das für gerichtsfest. Allerdings gibt es dann nur eine Untergrenze – weitaus weniger, als durch eine Verpflichtung auf den Tarifvertrag möglich wäre.

Eine Chance, die rechtlichen Widersprüche aufzulösen, sieht Schulten in der neuen Europäischen Vergaberichtlinie, die derzeit beim Europäischen Parlament liegt. Darin sollte, so Schulten, „eindeutig festgestellt werden, dass die ILO-Konvention Nr. 94 nicht im Widerspruch zum europäischen Vergaberecht steht und dass Vorgaben zur Einhaltung von Tarifverträgen europaweit als legitimes Vergabekriterium anerkannt werden“ – auch wenn diese nicht allgemeinverbindlich erklärt sind.

  • 13 von 16 Bundesländern haben oder planen Tariftreueregelungen. Zehn von ihnen setzen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einen Mindestlohn. Zur Grafik

Thorsten Schulten, Kristin Alsos, Pete Burgess, Klaus Pedersen: Pay and other social clauses in European public procurement (pdf), Studie im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsverbandes für den öffentlichen Dienst, Düsseldorf, Dezember 2012

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