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HBS Böckler Impuls

Löhne: Niedrigtarife werden seltener

Ausgabe 03/2014

Wer nach Tarif bezahlt wird, läuft immer seltener Gefahr, einen Niedriglohn zu verdienen. Aktuell sehen noch 10 Prozent der tariflichen Vergütungsgruppen Löhne unter 8,50 Euro vor.

Das Tarifsystem hat in den vergangenen Jahren die Lohnentwicklung in Deutschland wesentlich stabilisiert, zeigen Untersuchungen des WSI-Tarifarchivs. So haben die Tariflöhne seit der Jahrtausendwende auch preisbereinigt zugelegt. Dagegen stagnierten die Bruttoverdienste, bei denen unter anderem auch die Löhne von Beschäftigten ohne Tarifvertrag erfasst sind. Allerdings zeigten sich auch deutliche Spannungen im Tarifsystem.

Für seine neue Auswertung hat das Tarifarchiv rund 4.750 Vergütungsgruppen aus Tarifverträgen untersucht, die DGB-Gewerkschaften abgeschlossen haben. Dabei betrachteten die Forscher 40 Wirtschaftszweige. Die große Mehrheit der Tarifgruppen, knapp 90 Prozent, sieht Stundenlöhne über 8,50 Euro vor. Insgesamt 79 Prozent beginnen mit mindestens 10 Euro. Letzteres gilt in großen Branchen wie der Metall- und der Chemieindustrie, dem Bank- und dem Bauhauptgewerbe, der Süßwarenindustrie oder der privaten Abfallwirtschaft für alle Tarifgruppen.

In 518 Gruppen liegt der Stundenlohn hingegen unter 8,50 Euro, so die Studie. Allerdings ist der Anteil der Vergütungsgruppen im Niedriglohnbereich von Frühjahr 2010 bis Ende 2013 deutlich zurückgegangen – von 16 auf zuletzt 10 Prozent. „Die positive Entwicklung zeigt, dass die Gewerkschaften die Situation im Niedriglohnsektor aus eigener Kraft deutlich verbessert haben“, sagt WSI-Tarifforscher Reinhard Bispinck. „Dabei hat sicherlich geholfen, dass der von den Gewerkschaften seit langem geforderte und nun endlich beschlossene allgemeine gesetzliche Mindestlohn den Druck auf die Arbeitgeberverbände erhöht hat.“

Das werde sich in nächster Zeit fortsetzen, schätzt der Wissenschaftler. „Die Aussicht auf den Mindestlohn macht es für Arbeitgeber unattraktiv, für die Beschäftigten Dumpinglöhne durchzusetzen, indem sie sich Tarifverhandlungen einfach entziehen.“ Damit stärke die Lohnuntergrenze schon vor ihrer Einführung das Tarifsystem. „Wir haben in letzter Zeit bemerkenswerte Abschlüsse in Branchen gesehen, in denen es über Jahre so gut wie keine Fortschritte gegeben hat. Manchmal fehlten sogar Arbeitgeberverbände, mit denen Gewerkschaften überhaupt hätten verhandeln können.“ Als Beispiele nennt Bispinck die neuen Vereinbarungen über Branchenmindestlöhne im Friseurgewerbe und in der Fleischindustrie.

Generell gilt: Niedrige Tarifvergütungen finden sich häufig in älteren Tarifverträgen, die die Gewerkschaften seit längerem nicht durch neue, bessere ersetzen konnten. Und: Tarifvergütungen unter 8,50 Euro sind in Ostdeutschland mit seinen schwächeren Tarifstrukturen weitaus häufiger als im Westen. Wie viele Beschäftigte in die Tarifgruppen unter 8,50 Euro fallen, lässt sich nicht sagen. Denn es gibt generell keine übergreifenden Daten dazu, wie Arbeitnehmer in ihren Unternehmen eingruppiert werden. Wahrscheinlich ist, dass etliche der Tarifgruppen im Niedriglohnbereich nur für recht wenige, gering qualifizierte Mitarbeiter gelten. Aber in einigen Wirtschaftszweigen sind tarifliche Niedriglöhne relativ weit verbreitet.

Dazu zählen verschiedene Handwerks- und Dienstleistungsbranchen, in denen es oft viele kleine Betriebe und relativ wenige organisierte Beschäftigte gibt. Besonders betroffen sind nach der WSI-Untersuchung acht Branchen: die Landwirtschaft – und dort insbesondere die Saisonkräfte –, das Fleischerhandwerk, das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Gebäudereinigung, der Erwerbsgartenbau, das Bewachungsgewerbe, das Friseurhandwerk und die Floristik. In diesen Branchen liegen zwischen 20 und 100 Prozent der Vergütungsgruppen unter 8,50 Euro. Auch hier beobachten die Forscher immerhin Bewegung. So ist etwa bei Hotels und Gaststätten der Anteil der niedrigen Vergütungsgruppen seit 2010 von 35 auf 21 Prozent gesunken. Und in der Landwirtschaft ist, ebenso wie in der Leiharbeit, bei Friseuren und in der Fleischindustrie, der Weg hin zu 8,50 Euro und mehr durch tarifliche Vereinbarungen vorgezeichnet.

  • Der Anteil der Tarifgruppen mit Niedriglöhnen unter 8,50 Euro ist zwischen 2010 und Ende 2013 deutlich zurückgegangen: von 16 auf 10 Prozent. Zur Grafik

Reinhard Bispinck / WSI-Tarifarchiv: WSI Niedriglohn-Monitoring 2013 (pdf), Entwicklung der tariflichen Vergütungsgruppen in 40 Wirtschaftszweigen, in: Elemente qualitativer Tarifpolitik, Nr. 77, Januar 2014

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