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HBS Böckler Impuls

Kopfpauschalen: Neues System, alte Probleme

Ausgabe 13/2005

Wenn die Unionspläne zur "solidarischen Gesundheitsprämie" Realität werden sollten, braucht das System der Krankenversicherung einen jährlichen Zuschuss von fast 15 Milliarden Euro. Über 25 Millionen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung würden zu Subventionsempfängern.

Der Name ist neu: Statt von "Kopfpauschale" spricht die Union nun von "solidarischer Gesundheitsprämie". Doch die zentrale Frage bei den Plänen für einen radikalen Wechsel bei der Krankenversicherung ist nach wie vor die alte: Lassen sie sich bezahlen? Fast 15 Milliarden Euro würde das System der Krankenversicherung jährlich als Zuschuss benötigen. Das zeigen Modellrechnungen des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie (INIFES) und von Professor Dr. Anita Pfaff vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Augsburg. Bei der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung ist berücksichtigt, dass Versicherte seit dem 1. Juli 2005 für Zahnersatz und Krankengeld separat zahlen müssen.

Eine massive Geldspritze von außen ist Bestandteil aller Finanzierungsmodelle über Kopfpauschalen. Wichtigste Gründe für den Zuschussbedarf: Die Beitragslast für Menschen mit niedrigen Einkommen muss durch Subventionszahlungen abgefedert werden, außerdem sollen auch künftig Kinder beitragsfrei mitversichert werden. Die Alternative einer echten Einheitsprämie ohne Rücksicht auf finanzielle und soziale Schmerzgrenzen gilt als nicht durchsetzbar.

Auch im Unionsmodell ist deshalb vorgesehen, dass niemand mehr als sieben Prozent seines Einkommens (zu dem laut Union neben dem Arbeitseinkommen auch "weitere Einkünfte" zählen) für die Krankenversicherung zahlen soll. Liegt die Pauschalprämie, offiziell mit 109 Euro im Monat kalkuliert, oberhalb dieser Grenze, hat eine Ausgleichskasse die Differenz zu übernehmen. Der Topf muss gut gefüllt werden: Das Unionskonzept macht laut INIFES über 25 Millionen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu Subventionsempfängern.

So viel Geld  ließe sich wohl nur über Steuererhöhungen aufbringen. Die INIFES-Forscher haben dazu verschiedene Varianten durchgerechnet. Bei einer Gegenfinanzierung über die Mehrwertsteuer müsste deren regulärer Steuersatz um 1,7 Prozentpunkte auf 17,7 Prozent angehoben werden - vorausgesetzt, dass auch der ermäßigte Satz (etwa auf Lebensmittel) steigt: von heute 7 auf 7,8 Prozent. Sonst wäre, allein für die Kopfpauschale, eine noch stärkere Erhöhung des Regelsatzes notwendig. Würde sie stattdessen über die Einkommensteuer subventioniert, wäre ein Solidarzuschlag von über 9 Prozent fällig. Generell fraglich ist nach Ansicht der Augsburger Forscher aber, ob die Beitragssubventionierung durch Steuermittel angesichts der öffentlichen Haushaltslage langfristig durchgehalten werden kann.

Unabhängig von möglichen Steuererhöhungen kämen beim Unions-Modell auf Alleinverdiener-Ehepaare mit mittleren und höheren Einkommen höhere Krankenkassenbeiträge zu als bisher, da die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten entfällt. Alleinstehende und besser verdienende Zweiverdiener-Ehepaare würden dagegen von der Pauschale profitieren, da sie unter dem bisherigen einkommensabhängigen Beitrag liegt.

Die viel beschworenen systematischen Vorteile der Kopfpauschale können die Wissenschaftler nicht entdecken. Denn: "Eine so massive zusätzliche Steuerfinanzierung würde es auch im derzeitigen System gestatten, die GKV-Beitragssätze maßgeblich abzusenken." Allein mit einer Steuerfinanzierung der Gesundheitsausgaben für Kinder ließe sich der Beitragssatz im Schnitt um 1,8 Prozentpunkte senken. Andererseits ließe sich Beitragsstabilität in einem Kopfprämien-Modell nicht besser erreichen als im jetzigen System. Steigende Gesundheitskosten ließen Kopfprämie und Steuertransfer ebenso steigen wie derzeit die Beitragssätze.

Eine Studie unter Federführung von Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen, kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen über die Kopfprämie: Die meisten der von den Befürwortern genannten Argumente, etwa das Versprechen neuer Jobs, hielten "keiner näheren Überprüfung stand". Die "tatsächlich positiven Aspekte der Kopfprämie" ließen sich wiederum "in der Regel mit niedrigerem Aufwand" auch im bisherigen System mit einkommensabhängigen Beiträgen erreichen.

  • Wenn die Unionspläne zur "solidarischen Gesundheitsprämie" Realität werden sollten, braucht das System der Krankenversicherung einen jährlichen Zuschuss von fast 15 Milliarden Euro. Über 25 Millionen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung würden zu Subventionsempfängern. Zur Grafik
  • Wenn die Unionspläne zur "solidarischen Gesundheitsprämie" Realität werden sollten, braucht das System der Krankenversicherung einen jährlichen Zuschuss von fast 15 Milliarden Euro. Über 25 Millionen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung würden zu Subventionsempfängern. Zur Grafik

Anita Pfaff, Martin Pfaff, Bernhard Langer, Florian Freund: Auswirkungen des Kopfprämienmodells der Unionsparteien auf die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung, Stand Juli 2005
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Prof. Dr. Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen: Nichtversicherte Personen im Krankenversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland - Bestandsaufnahme und Lösungsmöglichkeiten

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