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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Neue Aufgaben für Betriebsräte

Ausgabe 08/2010

Die Krise der Finanzmärkte hat nichts am kurzfristigen Renditedruck auf die Unternehmen geändert. Deshalb stehen neue Aufgaben für die Betriebsräte in der Industrie an: Sie müssen sich verstärkt um Kennzahlensysteme, Angestellte und Leiharbeiter kümmern.

Dauerhaft hoher Renditedruck und die wiederkehrende Drohung, Produktionsstätten zu verlagern: Manager von Industrie-Unternehmen haben über Jahre den Druck des Finanzmarktes direkt an die Belegschaften weitergereicht. Nun hat die Finanzkrise die Zweifel an einer vorwiegend finanzmarktorientierten Unternehmensführung bekräftigt. Martin Kuhlmann vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen untersuchte, ob dadurch neue Möglichkeiten in der Arbeitsgestaltung entstehen. Kuhlmann befragte Betriebsräte von Autoherstellern und Zulieferern, deren Branche als Trendsetter bei der Organisation von Industriearbeit gilt. Nach Einschätzung der Betriebsräte deutet aber nur wenig auf einen Wandel in der Arbeitspolitik hin. Eine Auswertung der Interviews ergab, um welche neuen Themen sich die Interessenvertreter verstärkt kümmern müssen.

1. Auseinanderdriften der Belegschaft verhindern

In der Wirtschaftskrise haben Manager zwar demonstrativ das Gespräch mit Betriebsräten gesucht und die Bedeutung der Mitbestimmung unterstrichen. Der Druck auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen dürfte aber kaum abnehmen. Forscher und Betroffene rechnen vielmehr damit, dass die Arbeitgeber weiter auf Einschnitte bei den Arbeitsbedingungen und der Vergütung drängen und im Gegenzug Standort- und Jobgarantien anbieten. So sind in vielen Firmen Beschäftigungspakte zustande gekommen, die vor allem die Vergütung von später eingestellten Kräften reduzierten. Weil außerdem verstärkt Leiharbeiter zum Einsatz kamen, bildete sich in den Betrieben eine Randbelegschaft. Die Betriebsräte empfinden die Spaltung als großes Problem. Folglich stehen sie vor der Aufgabe, das Auseinanderdriften der Belegschaft zu verhindern, schreibt Kuhlmann. Die Voraussetzungen sind nicht  günstig: Die Betriebsräte haben wenig Hoffnung, dass Renditeerwartungen und Kostendruck nach der Krise sinken.

2. Einfluss auf Kennzahlensteuerung gewinnen

Unternehmen steuern ihre Abläufe zunehmend mittels aus Finanzzielen abgeleiten Kennzahlen. Meist ohne Mitsprache der Belegschaften, berichtet der Forscher: "Die Ausgestaltung und der Umgang mit Kennzahlensystemen vollziehen sich weitgehend außerhalb der Einflusssphären und teilweise auch der Aufmerksamkeit der Interessenvertretungen." Nur wo sich die Vergütung an Kennzahlen anlehnt, hat sich eine Beteiligung der Arbeitnehmervertreter entwickelt. Die Betriebsräte sehen hier großen Handlungsbedarf. Kuhlmann prognostiziert: Eine Debatte um die betriebliche Kennzahlensteuerung - welche Zahlen geeignet sind und wie die Steuerung aussehen soll - dürfte zu einer zentralen Aufgabe der betrieblichen Mitbestimmung werden.

3. Eigene Konzepte zum Produktionssystem entwickeln

Arbeitswissenschaftler beobachten einen Trend zu rigiden Arbeitsabläufen. Im vergangenen Jahrzehnt gab es viele Versuche, Fabriken nach dem Vorbild von Toyota umzubauen. Die Betriebsräte berichten von einem "Nach- und Nebeneinander unterschiedlicher und teilweise wenig kompatibler Re-Organisationskonzepte". Sie gehen davon aus, dass die Unternehmen auch künftig immer wieder ihre Arbeits- und Firmenorganisation verändern werden. Das Management wünscht bei diesem Prozess zwar eine Beteiligung des Betriebsrats, es möchte sie aber gerne auf eine "rein legitimatorische" Funktion beschränken, so die Studie. Betriebsräte verfügen in diesem Gebiet zwar bereits über langjährige Erfahrung. Damit sie tatsächlich mitgestalten können, müssen sie sich auch künftig intensiv mit den neuen Produktionssystemen befassen, schreibt Kuhlmann.

4. Interessenvertretung von Angestellten ausbauen

Traditionell sind Industrie-Betriebsräte am Leitbild des qualifizierten Facharbeiters orientiert und widmen sich vor allem  gewerbliche Berufen. Viele Betriebsräte empfinden das jedoch als unzureichend, denn auch bei den Angestellten haben die Probleme zugenommen. "Die Umgestaltung von Arbeitsabläufen der Angestellten ist in vollem Gange", schreibt Kuhlmann. Formalisierte Abläufe und eine Orientierung an oft unrealistischen Zielvorgaben prägen zunehmend den Arbeitsalltag selbst von gut qualifizierten Beschäftigten. Für die Interessenvertretung von Angestellten fehle es noch an "konkreten Leitbildern guter Arbeit", um eigene Gestaltungskonzepte vorlegen zu können. Diese zu entwickeln, halten viele Betriebsräte für eine wichtige Aufgabe.  

  • Betriebsräte können Einfluss auf die Gestaltung der Arbeit im Betrieb nehmen – und dafür sorgen, dass traditionelle Formen nach und nach durch innovative Arbeitspolitik ersetzt werden. Zur Grafik

Martin Kuhlmann: Perspektiven der Arbeitspolitik nach der Krise, in: WSI-Mitteilungen 12/2009.

ders.: Perspektiven der Arbeits- und Leistungspolitik (pdf), in: Mitteilungen aus dem SOFI, April 2010.

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