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Minijobs sind ein Irrweg Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Minijobs sind ein Irrweg

Ausgabe 05/2022

Die Coronakrise legt die Probleme geringfügiger Beschäftigung offen. Viele Minijobberinnen stehen ohne Arbeit und ohne Absicherung da. Besonders verbreitet sind Minijobs in bestimmten Regionen in Westdeutschland. Frauen sind stärker betroffen als Männer.

Die Bundesregierung hebt die Verdienstgrenze bei Minijobs an. Ab Oktober dürfen Minijobber und Minijobberinnen 520 Euro statt 450 Euro verdienen. Doch die Anhebung der Verdienstgrenze birgt Gefahren: Weitere sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse könnten durch Jobs ersetzt werden, die schnell gekündigt werden und kaum soziale Absicherung bieten. Wie problematisch das ist, hat sich in der Coronakrise einmal mehr gezeigt. Hunderttausende verloren ihren Minijob, vor allem in Branchen wie Gastronomie und Handel. Diese Menschen konnten nicht über Kurzarbeit abgesichert werden und hatten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. „Geringe Stabilität und mangelnde soziale Sicherheit sind keine Schönheitsfehler, sondern integraler Bestandteil des Konzepts Minijob“, sagt Eric Seils vom WSI. „Unter den Bedingungen von Corona wird das nur besonders deutlich.“

Eine aktuelle Auswertung des WSI zeigt, wie verbreitet Minijobs insgesamt sind und welche Regionen besonders betroffen sind. Sie liefert detaillierte Daten für alle 400 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland. Grundlage sind die neuesten vollständig verfügbaren Daten der Bundesagentur für Arbeit. Demnach gab es in Deutschland zum 30. Juni 2021 rund 7,15 Millionen Beschäftigte, die einen 450-Euro-Job haben. Für rund 3 Millionen Personen war geringfügig entlohnte Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt ein Nebenjob. Etwa 4,15 Millionen oder knapp 11 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland übten ausschließlich einen Minijob aus.

Insgesamt gab es Ende Juni 2021 gut 435 000 weniger geringfügig entlohnte Beschäftigte als zwei Jahre zuvor, was an den Stellenstreichungen während der Pandemie lag. Diese trafen vor allem Menschen, für die der Minijob die Hauptbeschäftigung war: Die Zahl der Minijobs im Hauptjob ging gegenüber Juni 2019 um rund 495 000 zurück. Dagegen ist die Zahl der Minijobs, die als Nebenjob ausgeübt werden, nach einem Rückgang im ersten Corona-Jahr wieder gestiegen: Sie lag knapp 60 000 höher als zwei Jahre zuvor.

Trier-Saarburg ist die Hochburg der Minijobs

Von den ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sind etwa 60 Prozent Frauen. Generell sind 450-Euro-Jobs als Hauptbeschäftigung in Westdeutschland mit 11,6 Prozent aller Beschäftigten verbreiteter als in Ostdeutschland mit 7,7 Prozent. Die Differenz hängt eng mit der deutlich höheren Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen im Osten zusammen. Entgegen diesem Muster liegt aber der Kreis mit dem kleinsten Anteil an ausschließlich geringfügig Beschäftigten in Westdeutschland: In Wolfsburg gehen nur 4,3 Prozent aller Beschäftigten ausschließlich einer 450-Euro-Beschäftigung nach. Bundesweit die höchsten Anteile finden sich in den Landkreisen Trier-Saarburg mit 22,9 Prozent, Kusel mit 19,0 Prozent und Plön mit 18,8 Prozent. 

Neben-Minijobs: Höchste Quoten in Bayern

Die Zahl der Neben-Minijobs hat über die Jahre stark zugenommen. Rund 55 Prozent wurden Ende Juni 2021 von Frauen ausgeübt, 45 Prozent von Männern. Auch hier bestehen beachtliche regionale Unterschiede: In Westdeutschland haben 7,9 Prozent der Beschäftigten einen Mini-Nebenjob, in Ostdeutschland sind es nur 4,2 Prozent. Die drei Kreise mit dem höchsten Anteil von Beschäftigten in 450-Euro-Nebenjobs lagen Mitte 2021 alle in Bayern. Es handelt sich um Dachau mit 16,0 Prozent, Fürstenfeldbruck mit 15,0 Prozent und Bad Tölz-Wolfratshausen mit 14,6 Prozent. In Dessau-Roßlau mit 2,8 Prozent sowie Wolfsburg und der Uckermark mit jeweils 2,9 Prozent sind die Nebenjobs in Relation zur Gesamtbeschäftigung am wenigsten verbreitet.   

Als Ersatz für reguläre Arbeit missbraucht

„Problematisch sind Minijobs auch deshalb, weil den Beschäftigten wichtige Rechte wie der Mindestlohn, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub teilweise versagt bleiben“, erklärt WSI-Experte Seils. „Außerdem setzen sie Anreize, die es für viele geringfügig entlohnte Beschäftigte kurzfristig unattraktiv machen, ihre Beschäftigung auszuweiten. Das wirkt sich insbesondere bei verheirateten Frauen negativ auf die Alterssicherung aus.“ Dass Minijobs meist keinen Übergang in stabilere Beschäftigung bieten, hat zuletzt auch eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gezeigt. Allein in kleinen Betrieben dürften Minijobs der Analyse zufolge rund 500 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt haben. Dabei wäre das Gegenteil notwendig: Geringfügig entlohnte Beschäftigung müsste nach Möglichkeit in reguläre sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt werden, betont Seils. So wie das bis zum Beginn der Corona­krise schon geschah, allerdings relativ langsam. 

Sorgen bereitet dem Forscher auch der fortgesetzte Anstieg der Nebenjobs. „Eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung durch einen Minijob bei einem anderen Arbeitgeber zu ergänzen, mag im Vergleich zu einer Ausdehnung der Arbeitszeit im Hauptjob individuell steuerlich vorteilhaft sein“, so Seils. Volkswirtschaftlich sei dies aber problematisch, weil es sich beim Nebenjob oft um Hilfs­tätigkeiten handelt, die das Potenzial der Beschäftigten ungenutzt lassen. Das Vorhaben der Ampelkoalition, die Verdienstgrenze anzuheben, gehe in die falsche Richtung. Und das nicht nur mit Blick auf die individuelle Situation von Minijobberinnen und Minijobbern, sondern auch für Wirtschaft und Sozialstaat in Deutschland.

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