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HBS Böckler Impuls

Dienstleistungsrichtlinie: Mehr Wettbewerb auch ohne Lohndruck

Ausgabe 05/2005

Die Proteste gegen die geplante europäische Dienstleistungsrichtlinie haben Wirkung gezeigt: die EU-Kommisssion wird den Entwurf gründlich überarbeiten. Das IMK sieht darin eine Chance: Mehr Wettbewerb bei den Dienstleistungen lässt sich nämlich auch anders durchsetzen als mit dem umstrittenen Herkunftslandprinzip, sagt Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts.

Herkunftslandprinzip oder Bestimmungslandprinzip? Diese reichlich abstrakten Begriffe stehen nach wie vor im Zentrum der Auseinandersetzung. Das Herkunftslandprinzip im zurück genommenen EU-Entwurf hätte bestimmt, dass Architekten, Krankenpflegerinnen und Dienstleister aus zahlreichen anderen Branchen EU-weit arbeiten dürfen, wenn sie die Richtlinien erfüllen, die in ihrem Heimatland gelten. Ökonom Horn hält das für falsch. Er empfiehlt, grundsätzlich lieber das Bestimmungslandprinzip anzuwenden. Danach müssen alle Unternehmen die Regeln des Landes einhalten, in dem sie ihre Dienste anbieten.

Mehr Wettbewerb bei Dienstleistungen, den die EU-Kommission will, ließe sich auch so durchsetzen, argumentiert Horn. Jedenfalls, wenn die europäischen Länder eine zentrale Voraussetzung erfüllen: Sie müssten endlich sicherstellen, dass jeder Anbieter aus einem anderen EU-Staat sich bei ihnen niederlassen darf und so behandelt wird wie ein inländischer Dienstleister. Das heißt: diskriminierende Vorschriften streichen, von denen es noch viele gibt. Der IMK-Experte weiß, dass das nicht einfach wird. Trotzdem kommt er zu dem Schluss: Ein "Bestimmungslandprinzip Plus" wäre für die gesamte europäische Wirtschaft besser als die Ursprungsland-Regel.

Damit grenzt sich der Makroökonom von Prognosen der EU-Kommission ab. Die Kommissare hatten EU-weit bis zu 600.000 neue Jobs versprochen, wenn die Richtlinie wie ursprünglich geplant umgesetzt würde. Ihren Optimismus stützten sie auch auf eine Studie des Forschungsinstituts Copenhagen Economics. Horn hat die Untersuchung analysiert - und warnt vor Defiziten. Sie liefere nur eine "unvollständige Analyse der Anpassungsprobleme" beim grenzüberschreitenden Handel von Dienstleistungen, da sie die Rückwirkungen auf Löhne und Beschäftigung nicht berücksichtigt.

Copenhagen Economics rechnet damit, dass eine Liberalisierung nach dem alten Entwurf die wirtschaftliche Nachfrage EU-weit spürbar stimulieren werde: Um 0,6 Prozent im Jahr. Grund dafür: Fallende Preise für Dienstleistungen durch mehr Wettbewerb. Unternehmen und Verbraucher könnten das eingesparte Geld anderweitig ausgeben. 
Von sinkenden Preisen geht zwar auch Horn aus. Bei der Kalkulation von Job-Effekten ist er aber zurückhaltender. Denn zwei Probleme, die beide aus dem Herkunftslandprinzip erwachsen, könnten einen Nachfrageschub bremsen:

  • Die Konsumenten halten sich trotz niedrigerer Preise
    zurück, weil das Herkunftslandsprinzip unter anderem Reklamationen kompliziert macht. Im Extremfall, so Horn, müsse sich ein Konsument bei Anwendung des Herkunftslandprinzips "mit 25 verschiedenen Systemen auskennen".

  • Anbieter aus Ländern mit vergleichsweise hohen Löhnen und einem gut ausgebauten Sozialsystem haben automatisch einen Wettbewerbsnachteil, wenn sie mit Anbietern aus billigeren Ländern konkurrieren müssen, die aus guten Gründen, etwa wegen mangelnder Produktivität, noch kein ausgebautes Sozialsystem haben. Die Folge: Entweder sind Unternehmen und Arbeitsplätze bedroht oder Löhne und soziale Sicherung geraten unter Druck. In beiden Fällen können die Betroffenen weniger Geld ausgeben. Anders als die Studie suggeriert, steigen die Realeinkommen dann nämlich nicht - die Nachfrage leidet. 

Zusätzlich zu diesen direkten Wirkungen befürchtet der IMK-Experte eine weitere Negativ-Entwicklung wegen des Herkunftslandprinzips: Firmen aus teureren EU-Ländern könnten ihren Firmensitz in billigere Länder verlegen, um ihre Leistungen günstiger anzubieten. Dieser vergleichsweise bequeme Ausweg reduziere aber den Innovationsdruck auf die Unternehmen, gibt Horn zu bedenken. Und weniger Innovationsfähigkeit schmälere das Wachstumspotenzial des gesamten Wirtschaftsraums EU.

  • Die Proteste gegen die geplante europäische Dienstleistungsrichtlinie haben Wirkung gezeigt: die EU-Kommisssion wird den Entwurf gründlich überarbeiten. Das IMK sieht darin eine Chance: Mehr Wettbewerb bei den Dienstleistungen lässt sich nämlich auch anders durchsetzen als mit dem umstrittenen Herkunftslandprinzip, sagt Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts. Zur Grafik

IMK - Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung

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