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Mehr grüner Wasserstoff nötig Böckler Impuls

Energieversorgung: Mehr grüner Wasserstoff nötig

Ausgabe 18/2022

Die Kapazitäten zur Erzeugung von grünem Wasserstoff müssen stärker ausgebaut werden als bislang geplant. Gerade wegen der Gasknappheit.

Die Nachfrage nach klimafreundlich erzeugtem Wasserstoff in Deutschland dürfte bis 2030 schneller wachsen als vielfach angenommen – auch, weil Erdgas infolge des Ukrainekrieges teilweise ausfällt. Daher sollten bereits in den kommenden Jahren deutlich größere Kapazitäten zur grünen Wasserstoffproduktion im Inland geschaffen werden als bislang beabsichtigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie. Die Bundesregierung hat zwar im Koalitionsvertrag das Kapazitätsziel für die Wasserstoffelektrolyse auf zehn Gigawatt bis 2030 angehoben. Damit ließe sich pro Jahr rund eine Million Tonnen grüner Wasserstoff erzeugen. Notwendig wären jedoch deutlich größere Mengen, da allein für die Umstellung der aktuellen Stahlproduktion auf klimafreundliche Technik rund zwei Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr erforderlich sind, so André Küster Simic, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hamburg School of Business Administration sowie Unternehmensberater, und sein Mitarbeiter Janek Schönfeldt. 

Die Forscher stützen ihre Untersuchung auf eine umfangreiche Literaturanalyse sowie Interviews mit 25 Fachleuten, überwiegend Praktikerinnen und Praktikern aus Stahlindustrie und Energieanlagenbau sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dabei haben sie sowohl Vertreterinnen und Vertreter des Managements als auch der Beschäftigtenseite befragt.

Importe aus sonnen- und windreichen Drittländern werden zwar künftig eine große Rolle bei der deutschen Wasserstoffversorgung spielen, vor allem kurz- und mittelfristig aber nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, erwarten Küster Simic und Schönfeldt. Zumal Wasserstoff in etlichen Industriebranchen wichtiger werde. Explodierende Preise und Knappheit bei Erdgas beschleunigten die Entwicklung. Außerdem sei die Verfügbarkeit von per Schiff über weite Strecken transportiertem Wasserstoff unsicher und in Deutschland erzeugter Wasserstoff vermutlich wettbewerbsfähig. 

Dementsprechend muss die Erzeugung erneuerbarer Energie im Inland den Experten zufolge deutlich ausgebaut werden. Hier böte sich für deutsche Anlagenbauer, die Einrichtungen zur Elektrolyse herstellen, die Möglichkeit, sich über Referenzprojekte im Inland im internationalen Wettbewerb Vorteile zu verschaffen. Mit folgenden Mitteln könnte dies wirtschaftspolitisch gestützt werden: Unternehmen, die mit aufwendigen Investitionen auf umweltfreundliche wasserstoffbasierte Techniken umstellen, bräuchten Investitionshilfen, wofür es beispielsweise auf EU-Ebene erste geeignete Ansätze gebe. Entscheidend sei zudem die Etablierung von „grünen Leitmärkten“, etwa durch eine verlässliche Zertifizierung klimafreundlicher Produkte und einen Vorrang für solche Produkte bei der öffentlichen Beschaffung. Flankiert werden müsse der Umbau Richtung wasserstoffgestützte Produktion durch einen wirksamen Schutz gegen Importe, die weiterhin klimaschädlich produziert werden. Die EU plant dazu einen sogenannten CO₂-Grenzausgleichsmechanismus, dessen konkrete Ausgestaltung aber noch diskutiert wird. 

Schließlich zeigt die Studie, dass die schrittweise Umstellung auf eine Produktion mit Wasserstoff in der Stahlindustrie in den kommenden zehn Jahren große Qualifizierungsanstrengungen erfordert und temporär zu einer etwas höheren Beschäftigung in der Branche führt. Denn für eine Übergangszeit bestehen neue und alte Techniken parallel, beispielsweise müssen Kokereien so lange weiterbetrieben werden, bis die komplette Produktion auf die wasserstoffbasierte Direktreduktion anstelle traditioneller Hochöfen umgestellt ist. Danach sinkt der Personalbedarf, was sich aber nach Erwartung der Autoren sozialverträglich dadurch regeln lässt, dass Beschäftigte in den Ruhestand gehen. Für eine erfolgreiche Transformation sei es aber erforderlich, schreiben Küster Simic und Schönfeldt, neue Mitarbeitende in größerem Umfang zu gewinnen. Insgesamt komme „auch der betrieblichen Mitbestimmung eine große Rolle zu, den Transformationsprozess auf Betriebsebene aktiv zum Wohle der Mitarbeitenden zu gestalten“. Zudem sei es wichtig, dass die Montanmitbestimmung auch in wasserstoffbasierten Konzernen erhalten bleibe.

Grüner Stahl


Anders als in traditionell betriebenen Hochöfen kommen bei der Stahlerzeugung mit Wasserstoff weder Kohle noch andere fossile Energieträger zum Einsatz. Bei der sogenannten Direktreduktion wird das Eisen nie flüssig, es wird stattdessen in einem Elektrolichtbogenofen zu Rohstahl veredelt. Dafür sind vollkommen neue Anlagen notwendig – und eine ausreichende Menge an Wasserstoff als Energieträger.

André Küster Simic, Janek Schönfeldt: H₂-Transformation der Stahlindustrie und des Energieanlagenbaus, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 260, November 2022

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