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HBS Böckler Impuls

Niedriglohn: Lohnspreizung ohne Beispiel

Ausgabe 12/2009

Seit Jahren wächst der Niedriglohnsektor in Deutschland. Noch im Aufschwung 2007 erhöhte sich die Zahl der Geringverdiener deutlich.

Mehr als jeder fünfte abhängig Beschäftigte in Deutschland arbeitete vor der Wirtschaftskrise zu einem Niedriglohn - das heißt: im Westen für weniger als 9,62 Euro je Stunde, im Osten für unter 7,18 Euro. Insgesamt 6,5 Millionen Menschen waren 2007 somit Geringverdiener. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ), die auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) die Größe des Niedriglohnsektors in Ost und West berechnet haben. Die Wissenschaftler definieren Niedriglöhne nach den Konventionen der OECD als Verdienste, die weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns (Medianlohn) aller Beschäftigten betragen. In beiden Landesteilen war der Anteil der Niedriglöhner etwa gleich groß. Würde man für die neuen Bundesländer die gesamtdeutsche Marke von 9,19 Euro als Maßstab anlegen, dann müssten 40 Prozent der Ostdeutschen als Geringverdiener angesehen werden.

Deutschland habe in den vergangenen Jahren "eine fast beispiellose Ausdifferenzierung der Löhne nach unten" erlebt, schreiben Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom IAQ. Die bundesweite Niedriglohnquote ist zwischen 1998 und 2007 enorm gestiegen - von 14,2 auf 21,5 Prozent aller Beschäftigten. Obwohl die Niedriglohnschwelle 2007 sogar unter der von 2003 lag, verpassen weiterhin viele Niedrig­löhner den Anschluss. Selbst während der Boomphase von 2006 bis 2007 wuchs der Niedriglohnsektor um rund 350.000 Beschäftigte.

Das Lohnspektrum franst nach unten aus. Immer mehr Beschäftigte verdienen schlecht. "Stundenlöhne von weniger als 6 Euro brutto sind längst keine Seltenheit mehr", beobachten die Forscher. In Deutschland arbeiten 1,2 Millionen Menschen für weniger als 5 Euro die Stunde, 2,2 Millionen für keine 6 Euro - und das im Hauptberuf. Zählt man noch Schüler, Studenten und Rentner hinzu, dann gibt es rund 1,9 Millionen Beschäftigte mit weniger als 5 Euro je Stunde und 3,3 Millionen unter 6 Euro. Gerade bei Minijobs und unter Teilzeitkräften sind besonders niedrige Stundensätze stark verbreitet, so die Studie. Die Wissenschaftler halten das für ebenso problematisch wie bei Vollzeitkräften, denn rund zwei Drittel der Teilzeitbeschäftigten geben an, für ihren Lebensunterhalt auf den Verdienst angewiesen zu sein.

Der Staat schränkt den Niedriglohnsektor nicht ein. Die Forscher stellen mit Blick auf EU-Nachbarn fest: "Die meisten anderen Länder haben verbindliche Lohnuntergrenzen in Form gesetzlicher Mindestlöhne, die zwischen 38 und 50 Prozent des jeweiligen Medians liegen." So niedrige Löhne wie in Deutschland seien in Frankreich oder Großbritannien gar nicht erlaubt - beispielsweise ein Stundenlohn von 5 Euro, der nur 36,3 Prozent des Medianlohns beträgt und einer Vollzeitkraft gerade 800 Euro im Monat bringt. In Deutschland setze die Politik sogar gegenteilige Anreize, schreiben Kalina und Weinkopf: "In nicht unerheblichen Maß übernimmt der Staat eine Ausfallbürgschaft für Niedriglöhne, weil das Einkommen eben nicht zur Deckung des Existenzminimums ausreicht." Viele der so genannten Aufstocker - Beschäftigte, die zusätzlich Arbeitslosengeld II beziehen - arbeiten zu extrem niedrigen Stundenlöhnen. Fast 30 Prozent der westdeutschen und 40 Prozent der ostdeutschen Aufstocker verdienen weniger als 5 Euro die Stunde.

  • Stundenlöhne von weniger als sieben Euro sind keine Seltenheit - fast jeder achte Beschäftigte arbeitet für so wenig. Zur Grafik
  • Vier von zehn gering Qualifizierte bekommen nur einen Niedriglohn. Doch auch in andere Gruppen finden sich zunehmend mehr Geringverdiener. Zur Grafik

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