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HBS Böckler Impuls

Mindestlohn: Löhne am Bau auf stabilem Fundament

Ausgabe 10/2011

Mindestlöhne nützen nichts, wenn sie nur auf dem Papier stehen. Es muss auch sichergestellt sein, dass sich Arbeitgeber daran halten. Eine Untersuchung in der Baubranche zeigt: Unterschreitungen sind selten.

In Deutschland ist die Baubranche der Vorreiter. Bereits 1997 wurde der erste Mindestlohn-Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt. Allerdings ist es gerade im Baugewerbe schwierig, die Einhaltung von Mindeststandards zu überwachen. In der arbeitsintensiven Branche herrscht seit dem Abklingen des Wiedervereinigungsbooms harter Preiswettbewerb, die meisten Unternehmen sind klein, die Baustellen über das Land verteilt. Gerhard Bosch, Claudia Weinkopf und Georg Worthmann vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung versucht herauszubekommen, inwieweit Firmen sich tatsächlich an Tarifstandards, insbesondere Mindestlöhne halten. Dazu haben sie über 1.000 ausführliche Interviews ausgewertet, die TNS Infratest 2008 mit Beschäftigten im Bauhauptgewerbe geführt hat. Das Ergebnis: In der Praxis bekommen viele Bauarbeiter nicht alle Leistungen, die im Tarifvertrag stehen. Unterschreitungen der Mindestlöhne sind jedoch relativ selten. „Zumindest bei den legal Beschäftigen“ haben die per Tarifvertrag und Entsendegesetz vorgeschriebenen Lohnuntergrenzen „eine hohe effektive Regulierungswirkung entfaltet“, schreiben die IAQ-Forscher.

Derzeit beträgt der Bau-Mindestlohn in Ostdeutschland 9,50 Euro pro Stunde. Im Westen 10,90 für Angelernte und 12,95 Euro für Fachkräfte. Diese Mindestbezahlung gilt für alle am Ort der Arbeitsstelle tätigen Unternehmen – egal ob sie ihren Firmensitz in Ost- oder Westdeutschland, Polen oder Portugal haben.

Das Lohngefüge im Baugewerbe unterscheidet sich zwischen alten und neuen Ländern erheblich. Besonders deutlich wird das beim Mindestlohn: Während fast 70 Prozent der Bau-Beschäftigten in Westdeutschland oberhalb des für sie geltenden Mindestlohns eingestuft sind, gibt die allgemeine Lohnuntergrenze im Osten die Standardbezahlung vor: Knapp drei Viertel der Beschäftigten bekommen den Mindestlohn oder einen Betrag, der zwar etwas darüber, aber unter der nächsthöheren Lohngruppe liegt.

Nur drei Prozent der Befragten in Westdeutschland gaben an, nicht auf den Mindeststundenlohn zu kommen, im Osten waren es sechs Prozent. Damit erweist sich der Mindestlohn als „wirksame Untergrenze, die von den von den Arbeitgebern nur selten durchbrochen wird“, urteilen die IAQ-Forscher. Allerdings gilt dies nicht für alle im Tarifvertrag festgelegten Normen, wie die Befragungsergebnisse deutlich machen. So erhielt insgesamt rund ein Drittel der bei tarifgebundenen Arbeitgebern Beschäftigten einen zu niedrigen Stundenlohn. Tarifunterschreitungen können außerdem darin bestehen, dass Beschäftigte „unter Wert“ eingestuft werden. So waren mehr als die Hälfte der Befragten mit Zusatzqualifikationen, die eigentlich zu Führungsaufgaben befähigen, als Facharbeiter oder niedriger eingruppiert – was nicht in jedem Fall ein Verstoß gegen den Tarifvertrag sein muss, aber zumindest auffällig ist.

Bei anderen Lohnbestandteilen sind Abweichungen eindeutiger zu beurteilen. Leistungen für auswärtige Verpflegung und Fahrtkostenzuschüsse beim Einsatz auf weit entfernten Baustellen, vermögenswirksame Leistungen oder tarifliche Zusatzrenten, das 13. Monatsgehalt: all dies bekommen viele Bauarbeiter nicht in voller Höhe. Lediglich bei sechs Prozent der Befragten stellten die IAQ-Forscher keinerlei Abweichung vom Tarifvertrag fest. Die Wissenschaftler vermuten, dass Arbeitgeber Abstriche vom Tarifvertrag am leichtesten bei Leistungen vornehmen können, die für die Arbeitnehmer – im Gegensatz zum Mindeststundenlohn – weniger transparent sind.

  • Der Bau-Mindestlohn funktioniert: Nur sehr wenige Bauarbeiter bekommen einen niedrigeren Stundenlohn. Das ist das Ergebnis einer Intensivbefragung von 1.000 in der Branche Beschäftigten. Zur Grafik

Gerhard Bosch, Claudia Weinkopf, Georg Worthmann: Tarifstandards im Bauhauptgewerbe – wie weit werden sie eingehalten?, In: Reinhard Bispinck (Hrsg.): Zwischen „Beschäftigungswunder“ und „Lohndumping“?, VSA-Verlag 2011.

Mehr Infos zum Projekt

dies.: Die Fragilität des Tarifsystems Einhaltung von Entgeltstandards und Mindestlöhnen am Beispiel des Bauhauptgewerbes, Edition Sigma, Mai 20.

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