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HBS Böckler Impuls

Tarifliche Öffnungsklauseln: Kritisches Urteil der Betriebsräte

Ausgabe 11/2005

Drei von vier tarifgebundenen Betrieben nutzen inzwischen die Möglichkeiten der Flächentarifverträge, von Standards abzuweichen und bei Arbeitszeit und Einkommen betriebsspezifische Lösungen auszuhandeln. Das zeigen die Ergebnisse der jüngsten Betriebsräteumfrage des WSI. Aber auch: wie überaus kritisch die Betriebsräte diese Entwicklung sehen.

Die Tarifverträge haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Neben Gestaltungsspielräumen auf Tarifniveau ("Differenzierung") halten sie für besondere betriebliche Erfordernisse eine Vielzahl von "Öffnungsklauseln" parat - Möglichkeiten, die Tarife befristet zu unterschreiten. Etwa um Beschäftigung zu sichern oder Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Seit 2002, so der Vergleich mit der vorherigen Betriebsräteumfrage, dürfte sich der Anteil der Betriebe verdoppelt haben, die tarifvertragliche Vorgaben flexibel anwenden.

In der öffentlichen Debatte heißt es: Die Betriebsräte benötigen mehr tarifpolitische Gestaltungsspielräume. Nach mehrjähriger Erfahrung damit hat sich deren Skepsis aber nur verstärkt. Die Mehrheit findet den Trend generell problematisch. Je größer der Betrieb, desto ablehnender die Haltung. Ein Grund liegt nahe: Arbeit, Konflikte und Druck kommen in unkalkulierbarem Ausmaß auf sie zu. Bisher halten meistens noch die Tarifverträge die harten Verteilungskonflikte aus den Betrieben heraus. Nicht ohne Grund gehört Deutschland zu den Ländern mit den wenigsten Streiktagen. Wegen der "Verbetrieblichung" der Tarifpolitik befürchten die meisten Betriebsräte, dass künftig vor allem die Arbeitgeber ihre Interessen durchsetzen. Sie wollen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber als Tarifparteien ihre wichtige Aufgabe behalten und verbindliche Standards für Arbeits- und Einkommensbedingungen festsetzen. Aktuell geht es ihnen vor allem darum, Jobs zu sichern und die Arbeitszeit- und Einkommensniveaus der Beschäftigten zu erhalten.

Die Pläne der Oppositionsparteien passen dazu nicht: Sie haben vor, die Verschlechterung der Tarifnormen im Betrieb auch ohne Zustimmung der Tarifparteien zu ermöglichen. Verfassungsrechtlich ist das sehr bedenklich (siehe Seiten 6 bis 7). Und die vielbeschworene Praxis, die Betriebsräte vor Ort senden Alarmsignale: Jeder zweite von ihnen fühlt sich bereits heute mit den Aufgaben überfordert.

Reinhard Bispinck und WSI-Tarifarchiv: Immer flexibler - und immer länger ?
Tarifliche Regelungen zur Arbeitszeit und ihrer Gestaltung. Eine Analyse von 24 Tarifbereichen, April 2005
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WSI-Mitteilungen 6/2005, Schwerpunktheft: "Zur Lage der Interessenvertretung: Die aktuelle WSI-Befragung von Betriebs- und Personalräten"
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Frank Bauer, Eva Munz: Arbeitszeiten in Deutschland: 40plus und hochflexibel
in: WSI-Mitteilungen 01/2005

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