zurück
HBS Böckler Impuls

Sozialstaat: Krankenversicherung: Solidarische Finanzierung senkt Beitragssatz

Ausgabe 07/2011

Die Gesetzliche Krankenversicherung bietet Spielräume, um die Gesundheitsfinanzierung zu sichern und Gerechtigkeitslücken zu schließen. Solidarbeiträge von Wohlhabenden können dazu beitragen.

Um mehr als zwei Prozentpunkte könnte der allgemeine Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch eine umfassende Finanzierungsreform sinken. Das haben die Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang und Robert Arnold in einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung ermittelt. Erreichen lässt sich das nach den Berechnungen des Professors an der Universität Bremen und seines Co-Forschers durch Maßnahmen, die auch in den Konzepten für die so genannte Bürgerversicherung enthalten sind: Erstens würden Gesetzliche und Private Krankenversicherung (PKV) in ein integriertes Versicherungssystem überführt. Zweitens würden über Löhne und Gehälter hinaus auch andere Einkommensarten beitragspflichtig. Drittens skizzieren die Wissenschaftler mehrere Möglichkeiten, die strikte Deckelung der Beiträge durch die Beitragsbemessungsgrenze zu flexibilisieren.

Traditionell ist die GKV ein Mischwesen ganz eigener Art. Stärker als die anderen Sozialversicherungen kombiniert sie das Solidar- mit dem Versicherungsprinzip. Das heißt: Jedes Mitglied hat den gleichen Anspruch auf medizinische Behandlung. Damit verteilen die Krankenkassen um – zwischen Gesunden und Kranken, zwischen besser und schlechter verdienenden Versicherten sowie zwischen Erwerbstätigen und kostenlos mitversicherten Familienangehörigen. Allerdings findet diese ­Solidarität bislang ihre Grenzen in den folgenden Bestimmungen:

  • Beiträge fallen bei Pflichtversicherten lediglich auf Arbeitseinkommen an. Andere Einnahmen, etwa aus Zinsen oder Vermietung, bleiben unberücksichtigt.
  • Zudem deckelt die Beitragsbemessungsgrenze die Zahlungspflicht bei derzeit 3.712,50 Euro monatlichem Bruttoeinkommen. Wer mehr Lohn oder Gehalt erhält, überweist vom Rest nichts an seine Krankenkasse. Darin drückt sich das Versicherungsprinzip aus: Anders als in der Rentenversicherung erwirbt das GKV-Mitglied durch zusätzliche Beiträge keine zusätzlichen Ansprüche. Deshalb liegt die Beitragsbemessungsgrenze bei der Krankenversicherung  deutlich niedriger als bei der Rente, wo bis zu einem Monatsbrutto von 5.500 Euro Beiträge fällig werden.

Noch stärkere Restriktionen bringt die hergebrachte Aufspaltung des deutschen Krankenversicherungsmarktes, die schon viele Ökonomen bis hin zu den Wirtschaftsweisen kritisiert haben: Rund zehn Prozent der Bevölkerung fallen aus der GKV heraus, darunter sind viele Gutverdiener. Zum sozialen Ausgleich tragen die Privatversicherten kaum etwas bei, betonen Florian Blank und Claus Schäfer, im WSI Experten für Sozialversicherungen und für Verteilung.

Die Wirkungen einer Reform veranschlagen Rothgang und Arnold auf der Basis von repräsentativen Daten aus dem sozio-oekonomischen Panel so: Wenn die PKV-Versicherten in die GKV einbezogen würden, hätte im Jahr 2007 der allgemeine Beitragssatz von damals 14,8 Prozent um etwa 1,2 Prozentpunkte sinken können. Würden zusätzliche Einkommensarten herangezogen, könnte der allgemeine Satz um 0,4 Punkte reduziert werden. Dabei ist für Zinseinnahmen bereits ein Freibetrag in Höhe des Sparerfreibetrags eingerechnet.

Schließlich würde eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der GKV auf das Niveau der Rentenversicherung 0,5 Punkte Spielraum beim allgemeinen Satz bringen, ihre komplette Streichung sogar 0,8 Punkte. Allerdings machen Juristen gegen eine Aufhebung Vorbehalte geltend: Weil sie das Versicherungsprinzip verletze, könnte sie verfassungswidrig sein.

Um solchen Bedenken zu begegnen, haben Rothgang und Arnold Varianten eines Alternativvorschlags kalkuliert. In diesen Szenarien bliebe eine Grenze erhalten. Doch auf Einkommen jenseits dieser Grenze würde ein abgesenkter Solidarbeitrag erhoben. Er könnte 10 oder 20 Prozent des regulären Beitragssatzes betragen. Die Wissenschaftler haben mehrere Varianten dieser Solidarbeiträge modelliert und ihre Wirkungen mit denen einer generell höheren Bemessungsgrenze verglichen. Ergebnis: Je nach Ausgestaltung lassen sich durch die Solidarbeiträge ähnlich hohe Einnahmen erzielen – und damit ähnlich viel Spielraum für eine Senkung des allgemeinen Beitragssatzes.

Schaut man auf die Wirkungen des gesamten Reformpakets inklusive Solidarbeitrag und Rückkehr zu einer paritätischen Beitragsaufteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zeigt sich eine Entlastung von Arbeitnehmern mit niedrigen und mittleren Einkommen: Alleinstehende Versicherte mit einem Haushaltsnettoeinkommen bis zu knapp 3.000 Euro hätten mehrheitlich niedrigere Beiträge als bisher. Jenseits dieser Grenze müssten Alleinstehende meist mehr zahlen als im alten System. Ehepaare mit zwei Kindern würden bis zu einem Haushaltsnettoeinkommen von etwa 5.000 Euro mehrheitlich entlastet, Verheiratete ohne Kinder stünden sich in allen Einkommensklassen überwiegend besser. Bei diesen Berechnungen wird unterstellt, dass Ärzte in einem integrierten Versicherungssystem auch für die bislang Privatversicherten nur noch die im Vergleich zu privaten Versicherungen niedrigeren Leistungssätze der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen können. Eine Kompensation dieses Einkommensverlustes der Ärzte würde den Beitragssatz wieder erhöhen.

Die Lastenverschiebung zugunsten von Arbeitnehmern mit niedrigen und mittleren Einkommen „kann aus verteilungspolitischen Gründen begrüßt werden“, schreiben die WSI-Experten Schäfer und Blank in ihrem Vorwort zu Rothgangs und Arnolds Berechnungen. Ein aufwändiger Systemwechsel – weg von der beitragsfinanzierten GKV, hin zu ­einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen oder Kopfpauschalen – sei überflüssig. „Es sind genügend Stellschrauben und Spielräume vorhanden, um das System weiterzuentwickeln und auf einen stabilen Sockel zu stellen“, analysieren die WSI-Forscher. 

  • Eine Bürgerversicherung bietet Spielräume, um die Gesundheitsfinanzierung zu sichern und Versicherte mit kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten. Dabei würden Gesetzliche und Private Krankenversicherung in ein einheitliches System überführt. Zudem würden über Löhne und Gehälter auch andere Einkommen beitragspflichtig. Einen weiteren Beitrag könnten Solidarbeiträge von Wohlhabenden darstellen. Zur Grafik

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen