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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Kopfarbeit im Takt der Globalisierung

Ausgabe 10/2010

Die Internationalisierung von Unternehmen hat die Arbeitswelt der Hochqualifizierten stark verändert, auch Kopfarbeit wird zunehmend industrialisiert. Gut Ausgebildete verlieren Freiräume und Sicherheit.

Die Globalisierung setzt nicht allein Deutschlands Industriearbeiter und Geringqualifizierte weltweiter Konkurrenz aus. Sie macht sich inzwischen auch in den Büros bemerkbar - selbst bei Hochqualifizierten, deren Aufgaben lange als verlagerungsresistent galten. Auf diesen Wandel weisen die Industriesoziologen Andreas Boes und Tobias Kämpf hin. So sind in den vergangenen Jahren zum einen Routineaufgaben wie die Buchführung und Reisekostenabrechung unter Verlagerungsdruck geraten. Zum anderen kann sogar die Arbeit von Software-Entwicklern, anderen IT-Experten und Fachleuten in Forschungsabteilungen großer Unternehmen inzwischen fern von der Firmenzentrale erledigt werden.

Die Möglichkeit der Verlagerung verändert die Situation von Spitzenkräften grundlegend, das machen Boes und Kämpf in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten explorativen Studie deutlich. Denn die Hochqualifizierten büßen nicht nur ihre Arbeitsplatzsicherheit ein. Eine wichtige Rolle spielt für sie auch, dass die weltweite Arbeitsteilung innerhalb der Firmen erheblich zunimmt. Um die Zusammenarbeit reibungslos zu gestalten, versuchen Unternehmen nun, die Aufgabenprofile und Arbeitsprozesse vieler gut Ausgebildeter zu standardisieren. Jenseits des Taylorismus suchen sie nach einem "neuen Typ der Industrialisierung", der auch die Kopfarbeit erfasst - mit der Folge, dass die Arbeit auch besser kontrollierbar wird. Die Globalisierung der Angestelltenarbeit ist folglich für die Hochqualifizierten mit einem Verlust von Freiräumen, Privilegien und Sicherheit verbunden. All das zwingt sie zu einem neuen Selbstverständnis. Um diesen Wandel zu beschreiben, haben die Wissenschaftler vom ISF München über 100 Manager, Personaler, Betriebsräte, internationale Projektleiter und betroffene Beschäftigte interviewt. Sie erstellten acht Fallstudien in multinationalen Unternehmen.

Die neue Phase der internationalen Arbeitsteilung ist eng mit dem Internet verbunden, sagen Boes und Kämpf. Das Netz stellt den Unternehmen einen "weltweiten Informationsraum" zur Verfügung und damit auch einen globalen Produktionsraum für geistiges Arbeiten. Die Firmen können hier viele Angestellten-Tätigkeiten zusammenführen, die einen digital repräsentierbaren Gegenstand bearbeiten. Kopfarbeit kann ebenso wie Industriearbeit im Prinzip auf verschiedenen Kontinenten geleistet und anschließend zusammengefügt werden. Der globale Informations- und Produktionsraum gestaltet das Wirtschaftsmodell der Industrieländer entscheidend um. Die Soziologen bezeichnen das neue dominante Produktionsmodell darum in Abgrenzung zum Fordismus als "Informatisiertes Produktionsmodell". Charakteristisch für das Informatisierte Produktionsmodell ist, dass die Firmen fast alle von ihnen erfassten Daten wie etwa ständig neue Marktsignale in den Produktionsprozess einspeisen können.

In diesem Produktionsmodell verändert sich der Status von Kopf- und Angestelltenarbeit. Sie kann aus der Firma ausgegliedert (Outsourcing) oder aus dem Land verlagert (Off­shoring) werden. Das verschlechtert die strategische Position der Hochqualifizierten in Deutschland. Und tatsächlich legen die Unternehmen ihnen gegenüber einen neuen Umgang an den Tag, stellen die Forscher fest. Die Wissenschaftler beobachten derzeit "eine grundsätzliche Reorganisation und Rationalisierung der Arbeit von Hochqualifizierten". In ihrer Studie beschreiben sie die beiden dominanten Firmenstrategien: Einerseits eine relativ schlichte Verlagerungsstrategie, die allein auf Kostensenkung abzielt und kaum Erfolg verspricht. Andererseits die Strategie des global integrierten Unternehmens, das die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung dauerhaft zu nutzen versteht.

Verlagern, um Kosten zu senken. "Schlichtes Offshoring" nennen die Studienautoren die erste Variante der Internationalisierung von Kopfarbeit. Firmen reduzieren Personal am Stammsitz und verlagern die Aufgaben aus Kostengründen in Niedriglohnländer. Die Soziologen schildern dies am Fall eines internationalen IT- und Telekommunikations-Unternehmens: Das Management baut nach dem Einbruch der New Economy Entwicklungsarbeit in Deutschland ab, von 1.800 Software-Entwicklern bleiben nur noch 300 übrig. Im Gegenzug eröffnet die Firma neue Standorte in Indien, die als verlängerte Werkbank dienen sollen. Die Nähe zum indischen Markt spielt für diesen Schritt keine Rolle, die indischen Programmierer sollen gerade nicht mit dem dortigen Vertrieb zusammenarbeiten. Die Zentrale verfolgt vielmehr das Ziel, "mit genau detaillierten Vorgaben die Arbeit am indischen Standort zu lenken und zu steuern", so Boes und Kämpf. Die Verlagerung hat laut Management die Arbeitskosten gesenkt, Beschäftigte und Betriebsräte bezweifeln jedoch, dass es unter dem Strich wirklich zu einer Ersparnis gekommen ist.

Trotz des zweifelhaften Nutzens verfahren deutsche Manager weiterhin nach diesem Muster. Sie starten später als ihre ausländischen Konkurrenten die Internationalisierung der Unternehmen, verstehen sie aber nur als Instrument, um Kosten zu senken. Beim schlichten Offshoring spielen wichtige Aspekte der Internationalisierung - neue Märkte erschließen, gute Fachkräfte dazu gewinnen - noch keine Rolle. International erfolgreiche Unternehmen haben sich deshalb längst von dieser Strategie verabschiedet.

Das global integrierte Unternehmen. Das Beispiel eines deutschen Software-Produzenten zeigt, wie Unternehmen von der internationalen Arbeitsteilung stärker profitieren. Das untersuchte Unternehmen baut  zunächst auf den Wunsch von Kunden Vertriebsstandorte im Ausland auf. Weil die dort erzielten Umsätze die Erträge aus dem Inland überholen, errichtet die Firma nun auch Entwicklungsstandorte im Ausland. Die Standorte sollen sich inhaltlich profilieren und nicht durch Kostensenkung hervorheben, es entsteht ein Netzwerk von zahlreichen fast gleichrangigen Produktionsstätten. Letztlich internationalisiert sich auch das Management, am Firmensitz entwickelt sich Englisch zur gängigen Sprache.

Obwohl diese Strategie nahezu ohne Personalabbau auskommt, hat auch sie negative Folgen für die Beschäftigten: Sie führt in der Praxis zu einem rigideren Projektmanagement und beschneidet die Freiräume der Hochqualifizierten. Beides hat ihre Arbeitszufriedenheit erheblich beeinträchtigt. Die IT-Branche ist bei dieser Arbeitsweise Vorreiter, aber auch in anderen Unternehmen und Aufgabengebieten zeichnen sich mittlerweile ähnliche Tendenzen ab, so Boes und Kämpf. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von globalen Unternehmen (F&E) sind traditionell in der Zentrale angesiedelt; inzwischen folgen sie den Produktionsstätten. Obwohl in diesen Arbeitsbereichen eine Standardisierung schwieriger zu bewerkstelligen ist als bei der Entwicklung von Software, wird sie von den Managern angestrebt.

Die Standardisierung geht einher mit einem Ausbau des Controllings. Galten Arbeiten in der F & E und der Software-Entwicklung vor wenigen Jahren noch als Black Box, so werden auch sie heute von Controllern durchleuchtet. In den ­international vernetzten Firmen wird zunehmend ein einheitliches Informationssystem durchgesetzt, das die einzelnen Standorte nach ihrem Wertschöpfungsbeitrag vergleichbar macht. Kennzahlensysteme steuern die multinationale Arbeitswelt, eine örtlich ungebundene Kontrolle durchzieht die Konzerne. Doch die permanente Überprüfung belastet die Beschäftigten, stellen die Forscher fest. Sie gibt ihnen das Gefühl, einer ständigen Bewährungsprobe ausgesetzt zu sein. "Täglich gilt es neu zu zeigen, dass man es verdient hat, dazuzugehören", sagen mehrere Hochqualifizierte sinngemäß. Boes und Kämpf folgern: "Ein Teil der Gemeinschaft Unternehmen zu sein, ist keine Selbstverständlichkeit mehr." Die Identifikation der Hochqualifizierten mit ihren Unternehmen geht in der Folge zurück.

Lohnarbeiter wie andere auch. Laut Boes und Kämpf empfinden sich die gut ausgebildeten Beschäftigten in den Unternehmen immer weniger als hervorgehobene Gruppe, sondern eher als einfacher Arbeitnehmer. Noch vor etwa 10 bis 15 Jahren war die Situation der Hochqualifizierten anders: Da sahen sich die meisten als privilegierten Partner des Managements, der einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet. Die "Beitragsorientierung" galt als der Schlüsselbegriff zum Selbstverständnis der Hochqualifizierten. Dieses Selbstbild ist inzwischen weitgehend erodiert, auch unter dem Einfluss der Internationalisierung. Angedrohte Verlagerungen, die Einbuße an Freiräumen, ständige Kontrolle - die wenigsten Akademiker in den großen, internationalen Unternehmen gehen noch davon aus, mit den Top-Managern in einem Boot zu sitzen. Der Typ des so genannten beitragsorientierten Hochqualifizierten ist der Studie zufolge nur noch bei wenigen Führungskräften zu finden.

Boes und Kämpf liefern Skizzen der beiden neuen Typen, die sie bei ihren Fallstudien stattdessen angetroffen haben. Den einen nennen sie Arbeitnehmer wider Willen. Der Arbeitnehmer wider Willen nimmt den kollektiven Abstieg der Hochqualifizierten zwar wahr. Sein wehmütiger Blick zurück blockiert ihm jedoch neue Handlungsmöglichkeiten, er verleitet zu Konformität und Anpassung. Im Unterschied dazu reflektiert der manifeste Arbeitnehmer den Interessengegensatz von Arbeitgeber und -nehmer bewusst und versucht ihn für sich zu nutzen. Diese Haltung löst Blockaden und macht die Beschäftigten auch zufriedener.

  • Auch Büroarbeit kann globalisiert werden: Einfache Verwaltungsaufgaben werden dabei tendenziell von einer Zentrale an einer Außenstellen delegiert. Zur Grafik
  • In erfolgreichen Unternehmen wird hoch qualifizierte Arbeit nicht mehr nur in der Zentrale erledigt. Die Firmen bilden multinationale Netze, deren Knotenpunkte gleichwertig sind. Zur Grafik

Andreas Boes, Tobias Kämpf: Offshoring und eine neue Phase der Internationalisierung von Arbeit. Konsequenzen für Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmung, im Erscheinen

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