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HBS Böckler Impuls

Lohnsubventionen: Kombilöhne: Der Teufel steckt im Detail

Ausgabe 01/2006

Mehr Arbeitsanreize, mehr Jobs, mehr Chancen für gering Qualifizierte - wie weit werden diese Grundannahmen über Kombilöhne von Studien oder Erfahrungen mit Modellprojekten gestützt? In einer aktuellen Untersuchung setzt sich die Arbeitsmarktexpertin Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Technik (IAT) mit den befürwortenden Argumenten kritisch auseinander.

Nach Meinung der IAT-Forscherin "krankt die aktuelle Kombilohn-Debatte daran, dass sie sich häufig auf allzu pauschale Annahmen stützt". Als wesentliche Grundannahmen nennt sie drei Punkte:

  • Es fehlen Niedriglohnjobs in Deutschland.
  • Mehr Niedriglohnjobs kämen vor allem gering Qualifizierten zugute.
  • Unternehmen haben Schwierigkeiten, gering entlohnte Stellen zu besetzen. Vor allem, weil es an Arbeitsanreizen für Bezieher von Sozialleistungen mangele.

Weinkopf argumentiert dagegen:

=> "Deutschland hat bereits einen umfangreichen Niedriglohnsektor, der durch staatliche Eingriffe nicht erst geschaffen werden muss."

Anders als zu Beginn der Kombilohndebatte vor mehr als zehn Jahren liegt die Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland inzwischen über dem EU-Durchschnitt. Eine Studie der EU-Kommission weist für 2000 15,7 Prozent Niedriglohnbeschäftigte aus. EU-Durchschnitt: 15,1 Prozent.

Nach aktuellen Berechnungen des IAT, die auch Teilzeitbeschäftigte und Minijobs einbeziehen, arbeiten sogar 22 Prozent der Beschäftigten (ohne Azubis) für einen niedrigen Stundenlohn im Sinne der OECD-Definition, das heißt sie verdienen weniger als zwei Drittel des Medianlohns. (Die eine Hälfte der Arbeitnehmer verdient mehr, die andere weniger als den Medianlohn.) Das IAT kommt damit auf knapp sieben Millionen Menschen. Selbst in Tarifverträgen gelänge es nicht immer, Niedriglöhne zu verhindern, konstatiert Weinkopf.

=> Die Formel "einfache, niedrig bezahlte Tätigkeit = Chance für gering Qualifizierte" stimmt längst nicht immer.

64 Prozent der Niedriglohn-Beschäftigten in Deutschland haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, knapp 10 Prozent sogar einen akademischen Abschluss. Auf der anderen Seite geht ein Drittel der gering Qualifizierten einer qualifizierten Tätigkeit nach. Übereinstimmend zeigten auch die Modellversuche, dass unter den Geförderten nur ein geringer Teil gering Qualifizierter war.

Gering Qualifizierte konkurrieren beispielsweise mit höher qualifizierten Berufsrückkehrern oder Schülern, Studierenden und bereits Beschäftigten, die einen Nebenjob suchen. Wenn es bei den Kombilöhnen um eine Förderung der Beschäftigung gering Qualifizierter gehen soll, argumentiert die Forscherin, müsste man die Maßnahmen auf diese Zielgruppe zuschneiden.

=> Einfachjobs werden in der Regel schnell besetzt. Manche Unternehmen klagen sogar über eine "Bewerberflut".

Aus Unternehmensbefragungen schliesst die Arbeitsmarktexpertin, dass Unternehmen in aller Regel keine Schwierigkeiten haben, Einfacharbeitsplätze zu besetzen. Eine eigene IAT-Studie im Dienstleistungsbereich fand kein einziges Unternehmen, das einen Mangel an Bewerbern beklagte. Im Gegenteil: Viele Firmen melden offene Stellen nicht der Arbeitsagentur, um sich vor der erwarteten "Bewerberflut" zu schützen, und schreiben Stellen deshalb nur intern aus. Besetzungsprobleme betreffen nicht die Zahl der Bewerbungen, sondern die Eignung der Bewerber. Weinkopf dazu: "Die Anforderungsprofile der Unternehmen für die meisten der untersuchten einfachen Tätigkeiten sind breiter und differenzierter als oftmals unterstellt."

=> Bei der Frage der Arbeitsanreize kommen die zahlreichen Modellrechnungnen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

"Je nachdem, welche Gruppen und Haushaltskonstellationen analysiert werden, lassen sich Belege für oder gegen einen zu geringen Lohnabstand zwischen Transferleistungen und Arbeitseinkommen finden." Die geringsten Lohnabstände werden für Haushalte mit mehreren Kindern diagnostiziert. Diese machten Mitte der 90er-Jahre jedoch nur gut zehn Prozent der Bedarfsgemeinschaften in der Sozialhilfe aus, sie beendeten zudem überdurchschnittlich schnell wieder den Sozialhilfebezug.

Die Zumutbarkeitskriterien von Arbeitsangeboten wurden in den vergangenen Jahren bereits mehrfach verschärft. Häufig werde allerdings völlig ausgeblendet, dass selbst deutlich erhöhte Arbeitsanreize nicht automatisch dazu führen, dass Bewerber auch eingestellt werden, bemerkt die Forscherin.
 
=> Mit Blick auf die Entwicklung der Niedriglohnbeschäftigung erscheint der Autorin eine sozial-  statt arbeitsmarktpolitische Begründung von Kombilöhnen überzeugender.

Könnten Kombilöhne nicht wenigstens verhindern, dass eine neue Klasse der "working poor" entsteht? Aber auch zu diesem Aspekt führt  die IAT-Analyse kritische Argumente an:

Kosten: Bei fast sieben Millionen Betroffenen müssten  Milliarden aufgebracht werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Niedrig-löhner in Teilzeit arbeiten, die auszugleichende Differenz zwischen Verdienst und Existenz sicherndem Einkommen also besonders groß ist.

Abgrenzungsprobleme: Niedriglohn und Armut sind nicht deckungsgleich: Viele Niedriglohnbezieher leben in Haushalten, deren Gesamteinkommen nicht gering ist. Typisch: Ein Elternteil geht einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung nach, der andere hat einen Minijob. Soll das gesamte Einkommen der Haushaltsgemeinschaft berücksichtigt werden, zeichnet sich ein hoher bürokratischer Prüfaufwand ab - wie schon beim ausgiebig erprobten  Mainzer Modell.

Lohndumping: Das Lohnniveau kann unter Druck geraten, wenn Arbeitgeber wie Arbeitnehmer darauf vertrauen können, dass der Staat die Lücke zwischen Arbeitslohn und lebensnotwendigem Einkommen schließt. Um solche Mitnahmeeffekte auszuschließen, sollten Kombilohnregelungen nur zusammen mit einem gesetzlichen Mindestlohn eingeführt werden, wie in Großbritannien oder den USA.

Zielgruppenbeschränkungen: Eine Begrenzung der Förderung auf Neueinstellungen - um Mißbrauch durch Arbeitgeber zu verhindern -  wirkt ungerecht gegenüber allen, die bereits in Niedriglohnjobs arbeiten. Eine Befristung ließe sich nur rechtfertigen, wenn es den Betroffenen bald gelänge, in besser bezahlte Jobs aufzusteigen.

=> Ungeklärte Grundsatzfragen

Unabhängig von der Intention, mit der Kombilöhne gefordert werden, können - trotz zahlreicher abgeschlossener  Modellversuche - viele Fragen bisher nicht ausreichend beantwortet werden.

Wie kann das Kombilohnmodell nahtlos in das bestehende Steuer- und Transfersystem eingefügt werden? Im Zusammenhang mit Mini-, Midi- und Ein-Euro-Jobs, die selbst Kombilohncharakter haben, zeichnen sich schon heute Probleme ab, die sich durch weitere subventionierte Beschäftigungsverhältnisse verschärfen könnten: Weil die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs abnimmt, während immer mehr Minijobs entstehen, schrumpft die Einnahmebasis der Sozialversicherungen.

"Hier scheinen Vorschläge bedenkenswert, die die problematischen Auswirkungen des Wachstums der geringfügigen Beschäftigung mit in die Blick nehmen, wie etwa der Vorschlag des DGB, diese zugunsten eines allgemeinen Freibeitrags bei den Sozialabgaben abzuschaffen", so die Studie.

Weitere Fragen sind offen:  Wir wirkt sich eine dauerhafte Subventionierung von Niedriglöhnen langfristig auf den Arbeitsmarkt aus? Müsste - angesichts der "Bewerberfluten" - nicht bei den Unternehmen angesetzt werden statt neue Arbeitsanreize für Arbeitslose zu schaffen - wenngleich Modellversuche in dieser Richtung bisher nicht erfolgreich waren? Bleiben Anreize zur Qualifizierung erhalten, die für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit wichtig sind?

  • Die gesamte Beschäftigung hat zwischen 1999 und 2004 kaum zugenommen, die Zahl der Minijobs allerdings ist stark gewachsen. Zur Grafik
  • Eine Übersicht über Kombilohn-Modelle. Zur Grafik

Claudia Weinkopf: Studie zu Kombilohn; die Studie erscheint demnächst in einem Sammelband des WSI. 

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