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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Industrialisierung der Kopfarbeit

Ausgabe 20/2016

Die Digitalisierung macht auch vor kreativen Köpfen nicht halt. Unternehmen setzen auf Konzepte, mit denen sich Büroarbeit neu organisieren lässt.

Die Arbeitswelt steht vor einem Umbruch: Neue Methoden der Arbeitsorganisation, die durch digitale Technologien getrieben werden, dürften nicht nur die industrielle Fertigung, sondern auch die sogenannte Kopfarbeit verändern. Im besten Fall bringt das den Beschäftigten mehr Selbstbestimmung, im schlechtesten Fall noch mehr Druck. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher um Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München).

In vielen Unternehmen wird derzeit nach Konzepten gesucht, wie sich Arbeitsabläufe schlank und agil – „lean and agile“ – organisieren lassen. Als Vorbilder dienen Prinzipien agiler Methoden wie zum Beispiel „Scrum“, die bei der Programmierung von Software bereits seit den 1990er-Jahren zum Einsatz kommen. Sie beruhen auf der Erkenntnis, dass sich komplexe Projekte kaum durch einen von oben herab verordneten Plan umsetzen lassen, sondern in vielen Schritten erarbeitet werden müssen. Anfangs wird dabei nur das Ziel festgelegt, der Weg dahin ergibt sich im Verlauf. Die Arbeit wird in Einzelteile zerlegt und von kleinen, selbstorganisierten Einheiten erledigt. An die Stelle langer Projektzyklen treten kurze Intervalle. Am Ende jeder Entwicklungsphase – zum Beispiel nach zwei oder vier Wochen – präsentiert jedes Team ein fertiges Ergebnis, das dann in der nächsten Phase erweitert werden kann.

Die Teammitglieder sind in diesem Konzept gleichberechtigt, jeder kann innerhalb des Teams alle Aufgaben übernehmen, jeder teilt sein Wissen mit den anderen. Der aktuelle Arbeitsstand ist jederzeit für die gesamte Organisation transparent. Alle sollen am sogenannten „Flow of Information“ teilhaben. So soll sichergestellt sein, dass mehrere Tausend Beschäftigte „in einem Takt schwingen“. Spezialisten, die in ihrer Nische vor sich hin werkeln, soll es nicht mehr geben. „Mit der neuen Bedeutung des Teams vollzieht sich ein Paradigmenwechsel weg vom Prinzip der individuellen Expertise hin zu kollektiven Wissensdomänen“, schreiben die Wissenschaftler. Die Arbeit werde öffentlich, indem die Beschäftigten „aus ihren Silos herausgeholt werden und neue Formen der Kollaboration etabliert werden, die das bisherige Spezialistentum durchbrechen“.

Betroffen von diesen Veränderungen seien gerade die kreativen Kopfarbeiter, zum Beispiel Ingenieure. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt dieser Bereich zwar oft als geschützte Insel in einer sich stark wandelnden Arbeitswelt. „Unsere Untersuchungen zeigen jedoch, dass auch hier die Wucht der digitalen Transformation spürbar wird“, so die Forscher. Nach ihrer Ansicht steht ein ähnlich tiefgreifender Wandel bevor wie zur Zeit der Industrialisierung: So wie im 19. Jahrhundert die Handarbeit in einzelne Arbeitsschritte unterteilt worden sei, gehe es nun darum, Arbeitsprozesse im Büro zu strukturieren und unabhängig vom individuellen Geschick des Einzelnen zu organisieren. Ermöglicht werde ein so durch und durch synchronisierter Arbeitsprozess durch moderne Kommunikationsmittel.

Was diese Entwicklung für die Arbeitnehmer bedeutet, ist noch nicht absehbar. Nach bisherigen Erfahrungen überwiegen eher die negativen Folgen: Mit der Einführung von „agilen Teams“ etwa in der Software-Entwicklung seien die Belastungen für die Beschäftigten „erheblich gestiegen“, schreiben die Autoren und zitieren Betroffene: Man komme „sich so ein bisschen vor wie jemand, der am Fließband steht und nur kleine Teile entwickelt“, schildert einer. Ein anderer berichtet von „Dauerstress“, weil alle vier Wochen „irgendwas gezeigt werden muss“.

Es sei „dringend notwendig“, die Menschen bei der Gestaltung des Wandels einzubeziehen, erklären die Wissenschaftler. Nur durch ihre aktive Beteiligung sei gewährleistet, dass die digitale Transformation nicht zum Nachteil der Beschäftigten ausfällt. Dabei komme es insbesondere auch auf die Selbstbestimmung der Beschäftigten im Arbeitsprozess an. Denn ohne ein „echtes Empowerment“ fehle den Teams die entscheidende Ressource, die steigenden Belastungen zu kompensieren. Konkret heißt das: Betriebsräte müssen bei der Einführung neuer Konzepte der Arbeitsorganisation mitbestimmen. Dann könnte die Stärkung eigenverantwortlicher Teams auch ihr Gutes haben, indem sie den Beschäftigten größere Freiheiten erlaubt.

Die empirische Basis der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie bilden 13 Kurzfallstudien auf Grundlage von 38 explorativen Experteninterviews sowie sechs Intensivfallstudien, für die insgesamt 190 Beschäftigte, Manager und Betriebsräte befragt wurden.

  • "Scrum" ist eine Methode im Projekt- und Produktmanagement: Zuerst werden Anforderungen für ein Projekt festgelegt, dann die Arbeit in Teilaufgaben gegliedert. Diese bearbeitet ein Team in eigener Verantwortung. Die Teammitglieder treffen sich täglich, um den Fortschritt zu besprechen. Ist eine Arbeitsphase (Sprint) abgeschlossen, wird das Ergebnis präsentiert. Zur Grafik

Andreas Boes u. a.: „Lean“ und „agil“ im Büro. Neue Formen der Organisation von Kopfarbeit in der digitalen Transformation (pdf), Working Paper der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 23, Oktober 2016

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