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HBS Böckler Impuls

Pflegeversicherung: Hilfe aus vielen Quellen

Ausgabe 08/2006

Die gesetzliche Pflegeversicherung verzeichnet seit 1999 fast durchgehend steigende Defizite. Der Grund: Die Ausgaben steigen stärker als die Einnahmen. Damit die Pflegeversicherung dauerhaft Bestand hat, plädiert Heinz Rothgang von der Universität Bremen für einen Mix neuer Finanzierungsquellen.

Konzipiert in Anlehnung an das deutsche Krankenversicherungssystem, leidet auch die Pflegeversicherung unter einer Reihe ähnlicher Probleme. Arbeitslosigkeit und der Abbau von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ließen die Einnahmen nur spärlich wachsen. Verschärft haben dies sozialversicherungsrechtliche Änderungen: Die Beitragszahlungen für Arbeitslosenhilfeempfänger wurden abgesenkt, die Möglichkeiten zur Gehaltsumwandlung über die "Eichel-Rente" verringerten die beitragspflichtigen Einkommen. Auch die Reformen auf dem Arbeitsmarkt mit Ich-AGs und Minijobs, Lohnzurückhaltungen und Nullrunden bei der Rentenversicherung bremsten das Einnahmewachstum. Der Durchschnitt der Jahre 1997 bis 2004 brachte gerade einmal eine Steigerung von 0,8 Prozent, so Rothgang.

Die Ausgaben hingegen wuchsen im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 2,2 Prozent pro Jahr. Zwischen dem Anstieg von Einnahmen und Ausgaben klafft zunehmend eine Lücke. Dabei sind die Leistungen pro Pflegebedürftigem seit dem Beginn der Versicherung 1995 nicht erhöht worden. Sprich: Trotz stetig steigender Pflegesätze schießt die Versicherung eine gleich bleibende Summe zu den Pflegekosten zu. Schon jetzt liegt die Eigenbeteiligung in der stationären Pflege bei über 50 Prozent - Tendenz steigend.

Die zunehmende Zahl älterer Menschen wird auch zu einer steigenden Anzahl Pflegebedürftiger führen. Pro Jahr könnten 1 bis 1,5 Prozent neue Patienten hinzukommen. Dieser Anstieg könnte aber geringer ausfallen, denn möglicherweise konzentriert sich mit wachsender Lebenserwartung die Pflegebedürftigkeit auf einen kürzeren Zeitraum vor dem Tod. Auch können mit verstärkter Prävention und Rehabilitation mehr Ältere länger fit bleiben.

Andererseits ist zu erwarten, dass immer mehr ältere Menschen nicht zu Hause (was finanziell günstiger ist), sondern in entsprechenden Einrichtungen gepflegt werden. Die Gründe: Veränderungen von Haushaltsstrukturen, steigende Frauenerwerbstätigkeit und Veränderungen im Verhältnis der
Generationen mit rückläufiger Pflegebereitschaft. Daneben werden derzeit auch Leistungsverbesserungen für Demente diskutiert. Würde dieser Personenkreis ausreichend berücksichtigt, stiegen die Ausgaben allerdings nur einmalig an.

Bereits 2007 könnte die gesetzliche Pflegeversicherung in Finanznöte geraten. Langfristig ist eine Reform der Finanzen unausweichlich, schreibt der Gesundheitsökonom. Er plädiert dafür, die Leistungen der Pflegeversicherung an die steigenden Kosten anzupassen, um steigende Zuzahlungen - oder eine steigende Abhängigkeit von Sozialhilfe - zu vermeiden. Rothgang schlägt dafür keinen radikalen Systemwechsel, sondern das Erschließen neuer Finanzierungsquellen vor:

  • die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung - also auch der bislang privat Versicherten - in die gesetzliche Pflegeversicherung,
  • die Anrechnung aller Einkommensarten für die Beitragspflicht (bislang bleiben Kapitaleinkünfte außen vor),
  • eine moderate Steigerung des Beitragssatzes bei eingefrorenem Arbeitgeberbeitrag,
  • aus Steuern finanzierte Beiträge für bislang beitragsfreie Kinder,
  • eventuell ein Zusatzbeitrag für Rentner.

"Eine solche Strategie ist einem Systemwechsel vorzuziehen", urteilt Rothgang. Ein solcher trage entweder wenig zur Lösung der Finanzprobleme bei - oder er bedeute Umstellungskosten, "die nicht mehr sozialverträglich sind".

  • Die Finanzen der Pflegeversicherung sind zuletzt in einer Schieflage geraten. Zur Grafik
  • Einnahmen und Ausgaben der Pflegversicherung entwickeln sich nicht im Gleichklang. Zur Grafik

Heinz Rothgang: Finanzierungsalternativen der Pflegeversicherung zwischen Eigenverantwortung und Solidarität, in: WSI-Mitteilungen 4/2006.

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