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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Führungskräfte lernen Betriebsrat schätzen

Ausgabe 06/2009

Die traditionelle Distanz zwischen Führungskräften und Betriebsrat wird kleiner. In Zeiten großer wirtschaftlichen Unsicherheit nehmen leitende Angestellte den Wert der betrieblichen Interessenvertretung stärker wahr als zuvor.

Führungskräfte sitzen in den Betrieben häufig zwischen den Stühlen. "Obwohl sie formal abhängig beschäftigt sind, verorten sich die meisten von ihnen auch sehr stark auf der Unternehmerseite", schreiben Hermann Kotthoff und Alexandra Wagner in einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung. Außertarifliche Angestellte gehen davon aus, ihre Interessen selbst vertreten zu können und nutzen darum den Betriebsrat nur sehr selten. Zugleich jedoch haben etliche Führungskräfte "ein diffuses Defizitempfinden in Bezug auf die eigene Interessenvertretung". Zu der Einschätzung gelangten die Wissenschaftler nach Interviews mit 80 hochqualifizierten Angestellten in großen Unternehmen.* Eine Minderheit aus dem mittleren Management wünscht sich sogar, dass sich der Betriebsrat ihnen offensiver zuwendet - ein Bedarf, der so  Mitte der 1990er-Jahre nicht geäußert wurde.

Mehr Belastung, weniger Sicherheit. Die Führungskräfte begründen ihr neues Defizitempfinden mit der zunehmenden Unsicherheit: Längst haben auch Hochqualifizierte keine Stellung auf Lebenszeit mehr in den Firmen; Karrierewege werden schwieriger. "Indem der Anteil der hochqualifizierten Angestellten in den Betrieben steigt, verlieren sie ihre vormals privilegierte Stellung", erklären die Forscher. Nicht  jeder Akademiker wird Führungskraft. Die Anforderungen an das mittlere Management haben sich zwischen einer ersten Untersuchung im Jahr 1994 und der Folge-Studie 2006 spürbar verändert. Fast alle 80 Befragten sagen, dass es weniger Personal und höhere Leistungsanforderungen gibt, mehr Verantwortung der Führungskräfte und ein ausgefeiltes Controlling. "Man kann keinen mitziehen", sagt ein Befragter.

Etwa jede dritte Führungskraft erklärte, dass sie an der Grenze der Belastbarkeit arbeite. In Unternehmen, die am Markt schlecht da stehen, sagten das sogar fast zwei von drei Führungskräften. Eine Hochqualifizierte sprach von "Arbeiten bis zum Anschlag". Über 40 Prozent der Interviewten gehen davon aus, dass es zur hohen Arbeitsbelastung keine Alternative gibt, wenn das Unternehmen Erfolg haben und die Arbeitsplätze erhalten bleiben sollen. Sobald es an Arbeitsplatzsicherheit fehlt, an materieller Anerkennung oder sozialem Zusammenhalt im Arbeitsteam, werden die Anforderungen jedoch auch als Last empfunden. Bei einer positiven Unternehmensentwicklung und mehr Sicherheiten falle es den Beschäftigten hingegen deutlich leichter, die Arbeit positiv zu erleben, schreiben Kotthoff und Wagner. Das gelte besonders, wenn die Aussicht auf eine persönliche Karriere besteht. Allerdings öffnen sich weniger Türen als noch in den 1990er-Jahren, viele Hierarchien und Führungspositionen wurde seitdem abgebaut.

Sowohl Umfang wie Dichte der Arbeit haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Die Arbeitszeiten der Hochqualifizierten liegen der Studie zufolge deutlich über denen  anderer Beschäftigtengruppen. Als Belastung empfinden die Manager das vor allem, wenn sie gleichzeitig wenig Einfluss auf Lage und Verteilung der Arbeitszeit haben, berichten die Soziologen. Mit dem Verhältnis von Arbeit und Privatleben sind dennoch über 85 Prozent mehr oder weniger zufrieden. Der Lebensschwerpunkt der Führungskräfte liegt meist in der Arbeit - was zur Folge hat, dass die Familienarbeit in der Regel die Partnerin leisten muss.

Ambivalentes Verhältnis zur Interessenvertretung. Der Betriebsrat ist bei den hoch qualifizierten Angestellten eine anerkannte Institution. "Wir brauchen das Gegengewicht hier, und das läuft sehr gut", sagt ein Manager. Es sei hilfreich, bestimmte Punkte aus einer anderen Perspektive zu hören. Sich in eigener Sache an das Gremium zu wenden, das ist indes unüblich. Aber die traditionelle Distanz wird kleiner, zeigt die Studie. Sobald es um Abbau und Verlagerung von Arbeitsplätzen geht, wird der Betriebsrat unter Umständen auch für Führungskräfte interessant. Die Betriebsratsarbeit habe sich stark gewandelt, räumen die Manager ein. Das Gremium sei für die Unternehmen und damit auch für sie selbst deutlich wichtiger geworden. Ein Interviewter berichtet: Vor 20 Jahren mussten Betriebsräte für außertariflich Bezahlte nur klären, wer auf Dienstreisen erste Klasse fahren darf. Heute verhandeln sie über die Arbeitsplätze von 7.000 Menschen. Spezifische Anliegen von Führungskräften könnten künftig stärker zum Thema der Betriebsräte werden, schreiben die Autoren der Studie - etwa die Auswahl der High-Potentials, die Konzipierung von Karrierewegen, die Regelung von leistungsabhängigen Entgeltfragen.

  • Führungskräfte haben größere Spielräume als andere Beschäftigte und sind arum häufiger mit ihrer Arbeit zufrieden. Zur Grafik
  • Führungskräfte arbeiten mehr, als sie gerne möchten. Solange die Aussicht auf eine Karriere besteht, fällt ihnen das leicht. Zur Grafik

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