zurück
HBS Böckler Impuls

Steuern: Entlastung für die Starken

Ausgabe 19/2013

Das Steuersystem trägt immer weniger zur Korrektur von Ungleichheit bei. Stattdessen werden Transferzahlungen wichtiger.

Steuern haben im modernen Wohlfahrtsstaat verschiedene Funktionen: Unter anderem, schreibt Andreas Kammer, sollen sie zur Finanzierung von Staatsaufgaben dienen, Konjunkturzyklen glätten, Raucher vom Rauchen abhalten – und die Gesellschaft gerechter machen. Inwieweit Letzteres gelingt, hat der Politikwissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und der Universität zu Köln im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht. Seiner Analyse zufolge hat die Umverteilungswirkung der Steuerpolitik zwischen 1991 und 2010 deutlich nachgelassen. Transferprogramme, also individualisierte Geldleistungen wie beispielsweise Kindergeld, Arbeitslosengeld, Grundsicherung oder Renten, seien zwar effektiver geworden. Alles in allem reiche das aber nicht aus für eine Korrektur der gestiegenen Ungleichheit bei den Markteinkommen.

Die Einkommensteuer hat grundsätzlich einen progressiven Charakter: Da der Steuersatz mit dem Einkommen wächst, schrumpfen die relativen Einkommensabstände. Wie stark sie schrumpfen, misst der sogenannte Reynolds-Smolensky-Index. Positive Werte stehen für sinkende, negative für zunehmende Ungleichheit. Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass die Indexwerte der Einkommensteuer zwar stets im positiven Bereich waren. Seit 2001 gebe es aber einen abnehmenden Trend. Er führt das darauf zurück, dass der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesunken ist. Zudem habe die Politik Kapitaleinkünfte begünstigt, etwa durch die steuerliche Förderung der Riester-Rente oder die Einführung der pauschalen Abgeltungsteuer. Nutznießer waren die Bezieher mittlerer und hoher Einkommen.

Das System der Sozialversicherungsbeiträge sei regressiv ausgestaltet, verschärfe also die Ungleichheit, stellt der Forscher fest. Denn zum einen gebe es eine Bemessungsgrenze. Zum anderen seien Beamte und Selbstständige – Gruppen mit überdurchschnittlichem Einkommen – von der Sozialversicherungspflicht befreit. Entsprechend haben die Indexwerte durchgehend ein negatives Vorzeichen. Darüber hinaus weisen sie der Analyse zufolge eine fallende Tendenz auf. Die Umverteilung von Unten nach Oben hat also zugenommen. Der Grund: Eine Entlastung der Arbeitgeber bei den Sozialversicherungsbeiträgen ging mit einer Mehrbelastung der Beschäftigten einher.

Auch die Mehrwertsteuer hat prinzipiell eine regressive Verteilungswirkung: Geringverdiener müssten einen größeren Teil ihres Einkommens für den Lebensunterhalt aufwenden als Wohlhabende, erklärt der Politikwissenschaftler. Empirisch lässt sich eine Zunahme der regressiven Wirkung im Zeitverlauf belegen. Laut Kammer hat dazu die kontinuierliche Erhöhung des Regelsatzes beigetragen, der seit 1992 von 14 auf 19 Prozent gestiegen ist. Außerdem dürften neue Ausnahmeregelungen, zum Beispiel für Hotelübernachtungen, eher einer betuchten Klientel zugutegekommen sein.

Berechnet man den Verteilungseffekt für das Steuersystem insgesamt, zeigt sich: Der Indexwert liegt zwar noch knapp über Null. Seit Ende der 1990er-Jahre bewegt sich die Kurve allerdings deutlich nach unten. Der Wohlfahrtsstaat sei daher zunehmend auf Transferprogramme angewiesen, um Ungleichheit und Armut zu reduzieren, konstatiert der Experte. Tatsächlich deuten seine Berechnungen darauf hin, dass die Wirksamkeit der Transferpolitik im Untersuchungszeitraum zugenommen hat. Die Zahlungen, so die Erklärung, konzentrierten sich stärker auf die Ärmsten, so dass die relativen Abstände am unteren Rand der Einkommensverteilung abnehmen. Dieser statistische Effekt kann die nachlassende Umverteilungswirkung der Steuerpolitik ausgleichen: Zusammen weisen Steuern und Einkommenstransfers sogar leicht steigende Indexwerte auf.

Das Problem: Während die Ausgleichswirkung staatlicher Maßnahmen damit bestenfalls schwach angestiegen ist, hat sich die Ungleichheit bei den Markteinkommen in den vergangenen zwei Dekaden deutlich vergrößert. Die Entwicklung der mittleren Realeinkommen stagniere seit Beginn der 1990er, schreibt der Autor. Dagegen seien die Einkünfte von Selbstständigen und die Kapitalerträge merklich gestiegen. Trotz zunehmender Effektivität der Transferprogramme sei es nicht gelungen, die fortschreitende Einkommensspreizung zu verhindern.

Zudem untergrabe die Verlagerung der Umverteilungsleistung von der Steuer- auf die Transferpolitik die Legitimität des Wohlfahrtsstaates: Es bestehe die Gefahr, dass Sozialpolitik zu einer Alimentierung von Bedürftigen verkommt. Die Mittelschicht nehme sich immer weniger als Adressat wohlfahrtsstaatlicher Leistungen wahr, Transferempfängern drohe Stigmatisierung. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt Kammer, den Reformtrend bei der Steuerpolitik umzukehren, hohe Einkommen stärker zu belasten und auch die Interessen der Mittelschicht bei der Transferpolitik nicht aus dem Auge zu verlieren.

  • Die Steuerpolitik trägt immer weniger zur Korrektur von Ungleichheit bei. Zur Grafik

Andreas Kammer: Steuer- und Transferpolitik auf dem Weg in die Sackgasse – Eine Analyse der Umverteilungswirkung (pdf), Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, WISO Diskurs, September 2013

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen