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HBS Böckler Impuls

Arbeitsrecht: Ein Fachgebiet auf dem Rückzug – Arbeitnehmerschutz in Gefahr

Ausgabe 06/2011

Das Arbeitsrecht als eigenständiges Rechtsgebiet verliert an den Universitäten an Bedeutung. Gravierende Folgen sind absehbar.

Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einen Rechtsstreit treten, dann soll das auf gleicher Augenhöhe geschehen. Das ist der spezifische Anspruch des deutschen Arbeitsrechts, wie er sich in der Weimarer Republik entwickelt und in der Bundesrepublik als Standard etabliert hat. Doch diese Profilierung ist in Gefahr, zeigt die Politikwissenschaftlerin Britta Rehder in einer Untersuchung.

Als „Vater des deutschen Arbeitsrechts“ gilt Hugo Sinzheimer, ab 1920 Juraprofessor in Frankfurt am Main. Sein Ansatz: Justitia muss zwar unabhängig urteilen. Sie darf aber nicht blind dafür sein, dass ein Unternehmer im Umgang mit seinen Beschäftigten meist am längeren Hebel sitzt. Für Sinzheimer „war die Machtasymmetrie zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite das zentrale Problem auf den Arbeitsmärkten, das es zu lösen gab“, schreibt die Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Damit grenzte sich das Arbeitsrecht ab vom bürgerlichen oder Privatrecht, so Rehder, die sich mit einer Arbeit zur Arbeitsgerichtsbarkeit habilitiert. Denn unter Privatrechtlern herrsche damals wie heute eine andere Sicht vor: Dass Arbeitsverträge Verträge seien wie andere auch, von freien und gleichen Vertragspartnern geschlossen.

Als prominentes Beispiel für die rechtspraktischen Folgen dieser Unterschiede nennt die Wissenschaftlerin das so genannte Günstigkeitsprinzip. Es besagt, dass ein individueller Arbeitsvertrag nur dann von einem geltenden Tarifvertrag abweichen darf, wenn der Arbeitnehmer davon einen Vorteil hat. So steht es im Tarifvertragsgesetz. Doch wie die Günstigkeit definiert ist oder wie sie gemessen wird, legt das Gesetz nicht fest. Daher beschäftigt die Interpretation häufig die Justiz. Oft geht es um ebenso schwierige wie weit reichende Abwägungen: In den 1990er-Jahren mussten die Arbeitsgerichte etwa entscheiden, ob es für einen Arbeitnehmer günstiger ist, auf im Tarifvertrag garantierten Lohn zu verzichten, um seinen Arbeitsplatz zu sichern.

Für einen Privatrechtler wäre das keine Frage, so Rehder. Für ihn gelte die Maxime: „Der Arbeitnehmer soll möglichst frei entscheiden dürfen.“ Ein Arbeitsrechtler würde das nicht so einfach gelten lassen. Schließlich sei der Beschäftigte durch die Drohung mit Arbeitsplatzverlust hochgradig erpressbar, eine freie Entscheidung kaum möglich. Daher werde der Arbeitsrechtler argumentieren, dass das Günstigkeitsprinzip erst oberhalb der tariflichen Standards angewendet werden dürfe, schreibt Britta Rehder. Denn „erst auf der Basis dieser Mindeststandards hätten auch Arbeitnehmer eine freie Wahl“. Dementsprechend sahen die Arbeitsgerichte den unkontrollierten Handel Lohneinbußen gegen Arbeitsplatz­erhalt kritisch – bis hinauf zum Bundesarbeitsgericht.

Nach Rehders Analyse würde die Position von Arbeitnehmern daher tendenziell geschwächt, wenn das Arbeitsrecht als eigenständiges Rechtsgebiet an Gewicht verlöre. Genau das aber geschehe. An den Universitäten beobachtet die Wissenschaftlerin ein „schleichendes Ausbluten“, das sich an einigen Zahlen verdeutlichen lasse. Zwar habe sich die Zahl der Professuren, die eine Widmung für das Arbeitsrecht im Titel tragen, zwischen 1968 und 2009 verdreifacht – auf 96. Doch gleichzeitig sank der Anteil der Lehrstühle rapide, die sich ausschließlich mit Arbeitsrecht befassen – von 23 auf nur noch 4 Prozent.
Die große Mehrzahl der deutschen Arbeitsrechtsprofessoren widmet sich auch, und oft in erster Linie, dem bürgerlichen Recht, so die Wissenschaftlerin. Die arbeitsrechtliche Forschung und Lehre an den Hochschulen werde somit zunehmend von Juristen betrieben, „die sich den grundlegenden Annahmen des Rechtgebiets nicht unbedingt verpflichtet fühlen“. Angehende Arbeitsrechtler würden „nur marginal in diesem Rechtsgebiet ausgebildet“, warnt Rehder. Ein gewisses Gegengewicht leisteten zwar traditionell Arbeitsrichter, die an den Universitäten mitwirken. Doch der Typus des „forschenden Richters“ mit einem wissenschaftsnahen Profil, Promotion oder gar Habilitation werde seltener. So drohe eine „gefährliche Entwicklung, in der sich das Privatrecht das Arbeitsrecht zurückholt“, resümiert die Politikwissenschaftlerin.

  • Das Arbeitsrecht verliert an den Universitäten an Gewicht. Zur Grafik

Britta Rehder: Verschwindet das Arbeitsrecht? In: Magazin Mitbestimmung, Heft 1/2 2011; dieselbe: Die Politik der Rechtssprechung. Der Beitrag der Arbeitsgerichtsbarkeit zum Werden und Wandel des deutschen Kapitalismus. Campus Verlag, Frankfurt a. Main, erscheint im Frühsommer 2011

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