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HBS Böckler Impuls

Verteilung: Die egoistischen Eliten

Ausgabe 09/2008

Die Herkunft der Entscheidungsträger hat großen Einfluss auf die Gesellschaft: In Europa ist die soziale Ungleichheit dort besonders hoch, wo Spitzenpolitiker und Topmanager vor allem aus den gehobenen Schichten stammen.

Der Trend zu mehr sozialer Ungleichheit ist in vielen europäischen Ländern zu beobachten. Jedoch in unterschiedlichem Ausmaß: Die Armutsquote liegt in Irland und Spanien bei etwa 20 Prozent und damit doppelt so hoch wie in Skandinavien und Tschechien. Und das Risiko, als Alleinerziehender arm zu sein, ist in Deutschland und Großbritannien dreimal höher als in Dänemark und Ungarn. Die Ungleichheit in einer Gesellschaft fällt größer aus, wenn die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft überwiegend aus wohlhabenden Schichten stammen. Darauf weist der Soziologe Michael Hartmann von der TU Darmstadt hin. Hartmann untersucht seit Jahren die europäischen Eliten in Politik und Wirtschaft - als Elite versteht er den Zirkel jener Menschen, die maßgeblichen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung haben. Nun hat er seine Erkenntnisse in Bezug zu Resultaten der Verteilungsforschung gesetzt. Dabei zeigt sich, "dass es einen relativ direkten Zusammenhang zwischen der sozialen Exklusivität und Homogenität nationaler Eliten und dem Ausmaß der Einkommens- und Vermögensunterschiede gibt." Der Soziologe sieht dafür vor allem einen Grund: Die Entscheidungsträger verfolgen durchaus eigene Elite-Interessen. Sie sind keine neutralen Sachwalter, die allein das gesellschaftlich Erforderliche umsetzen.

Der Darmstädter Elitenforscher unterscheidet in Westeuropa vier Ländergruppen. Mit Ausnahme Frankreichs passt das Ausmaß der Einkommensungleichheit zum Elitentyp:

Skandinavien: Hier ist der Zugang zur Elite vergleichsweise offen. Weil Kinder von Arbeitern und Mittelschicht mit entscheiden, ist auch das Maß an Ungleichheit relativ gering.

Spanien, Portugal und Großbritannien bilden das Gegenmodell. In den Ländern stammen die Entscheidungsträger von Politik und Wirtschaft aus dem privilegierten Bürgertum, in Großbritannien besuchen sie Eliteschulen. Dementsprechend ist die soziale Spaltung sehr scharf.

Frankreichs Elite ist in Europa die homogenste. Sie rekrutiert sich aus dem Großbürgertum, genießt eine einheitliche Ausbildung in Eliteschulen und wechselt zwischen den Führungsaufgaben in Politik und Wirtschaft. Dennoch ist die  Einkommensverteilung in Frankreich ausgeglichener als in Spanien und Großbritannien. Das liegt an der besonderen Rolle des französischen Staates, erklärt Hartmann. Die Bevölkerung fordere ihre Ansprüche mittels Generalstreiks, Demonstrationen und Unruhen ein. So setze sie den Eliten Grenzen. "Die latente und auch immer wieder manifest werdende Protestbereitschaft erheblicher Teile der Bevölkerung engt den Spielraum für extreme Einkommensdifferenzen nach angelsächsischem Muster spürbar ein."

In Deutschland und Italien rekrutieren sich die Entscheidungsträger aus den oberen Schichten, nehmen aber unterschiedliche Ausbildungsgänge. Die Ungleichheit in beiden Ländern wächst, reicht jedoch nicht an die zwischen den Iberern und Briten heran. Die Topmanager in Deutschland kommen ebenso wie in Frankreich, Großbritannien und Spanien aus bürgerlichem Elternhaus. Politische Spitzenpositionen dagegen wurden traditionell oft von Mittelschicht- und Arbeiterkindern eingenommen. Doch da die Verankerung der Parteien in der Bevölkerung abnimmt, werden diese Karrieren seltener. Das Kabinett Kiesinger bestand noch zu zwei Dritteln aus Kindern der Mittelschicht und der Arbeiterklasse, das Kabinett Merkel nicht einmal zu einem Drittel. Hartmann beobachtet einen "Verbürgerlichungsprozess der politischen Eliten".

Den Zielen der oberen Gesellschaftsschicht entsprach in den vergangenen Jahren in Deutschland der Verzicht auf die Vermögensteuer und die mehrfache Senkung der Spitzensteuersätze, schreibt der Wissenschaftler. Entlastet worden seien bei den Steuerreformen der vergangenen Jahre in erster Linie die gut verdienenden Angestellten, Freiberufler und Unternehmer. Nicht entlastet, sondern stärker belastet worden seien dagegen allein erziehende Geringverdiener. Sachzwänge spielten für solche Entscheidungen kaum eine Rolle, erklärt Hartmann - selbst die OECD habe die soziale Schieflage der Steuerreformen kritisiert.  

  • Wer es bis ins obere Management schafft, ist in Großbritannien und Deutschland eine Frage der Herkunft. Die Chancen für Arbeiterkinder stehen schlecht. Zur Grafik
  • Reiche Briten haben deutlich mehr Einkommen als arme – aber auch in Deutschland ist der Unterschied groß. Zur Grafik

Michael Hartmann: Elitenstruktur und soziale Ungleichheit in Europa, in: WSI-Mitteilungen 3/2008

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