zurück
Investieren für den Neustart/Deutschland muss klotzen Böckler Impuls

Öffentliche Investitionen: Deutschland muss klotzen

Ausgabe 19/2021

Bei den öffentlichen Investitionen klafft hierzulande eine große Lücke. Die zusätzlichen Ausgaben im Rahmen der Corona-Krisenpolitik können den Rückstand nicht wettmachen.

Das deutsche Gemeinwesen zehrt von seiner Substanz: Die staatlichen Bruttoinvestitionen waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten überwiegend niedriger als die Abschreibungen. Darauf weisen Katja Rietzler und Andrew Watt in einer aktuellen Analyse hin. Die IMK-Ökonomin und ihr Kollege kommen zu dem Schluss, dass auch die geplanten Mehrausgaben in den kommenden Jahren bei Weitem nicht dafür ausreichen werden, den Investitionsrückstand auszugleichen. 

Den größten Substanzverlust machen Rietzler und Watt bei den öffentlichen Gebäuden aus: Hier seien die Nettoinvestitionen zwischen 2003 und 2015 durchgehend negativ gewesen. Das Problem betreffe vor allem die Gemeinden, die sich unter anderem um Schulgebäude und Straßen kümmern und gut 60 Prozent sämtlicher Bauinvestitionen tätigen. Nach einem zwischenzeitlichen Anstieg seien die staatlichen Bauinvestitionen 2020 infolge der Corona-Pandemie wieder gesunken, aktuell befänden sie sich immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Auch auf anderen Feldern habe die Dynamik nachgelassen.

Begrüßenswertes Konjunkturpaket

Grundsätzlich zu begrüßen ist laut der IMK-Analyse vor diesem Hintergrund das Konjunktur- und Zukunftspaket, das die Bundesregierung im Juni 2020 geschnürt hat. Dieses Paket sieht unter anderem Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung und Gesundheitswesen in Höhe von insgesamt 57,8 Milliarden Euro vor.  

Diese Summe erscheine zwar auf den ersten Blick beeindruckend, schreiben Rietzler und Watt. Sie entspreche aber nur etwa 12 Prozent des Investitionsbedarfs von 457 Milliarden Euro, den das IMK 2019 gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft für die kommenden zehn Jahre veranschlagt hat. Zudem seien rund 10 Milliarden für ohnehin geplante Projekte vorgesehen, die lediglich vorgezogen werden. Hinzu komme, dass die Umsetzung in manchen Bereichen ziemlich schleppend verläuft: Von den 7 Milliarden Euro, die für die nationale Wasserstoffstrategie eingeplant sind, dürften bis Ende 2021 nur 600 Millionen Euro ausgezahlt werden. Allerdings seien indirekte positive Effekte durch bestimmte Maßnahmen zu erwarten: Dass der Bund 2020 gemeinsam mit den Ländern die Mindereinnahmen der Kommunen bei der Gewerbesteuer ausgeglichen und seinen Anteil an den Wohn- und Heizkostenzuschüssen für Empfängerinnen und Empfänger von Hartz-IV erhöht hat, dürfte den Gemeinden mehr Spielraum für Investitionen verschafft haben.  

EU-Aufbaufonds: Vor allem die Automobilindustrie profitiert

Das Volumen des „Deutschen Aufbau- und Resilienzplans“, der die Verwendung der Mittel aus dem EU-Aufbaufonds festschreibt, sei mit insgesamt 25,6 Milliarden Euro oder weniger als 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschaubar, heißt es in der Studie. Volkswirtschaftlich sei nur ein recht begrenzter Effekt zu erwarten. Allerdings profitiere Deutschland indirekt auch durch die EU-Aufbaupläne anderer Mitgliedsstaaten. Die geplanten Projekte sollen zu 40 Prozent dem Klimaschutz dienen, zu 50 Prozent die Digitalisierung voranbringen. Vorgesehen ist zum Beispiel, die Entwicklung von Wasserstoff-Technologie mit 2,2 Milliarden Euro und die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mit 3 Milliarden Euro zu fördern. Auffällig ist laut Rietzler und Watt der Fokus auf die Automobilindustrie: 1,9 Milliarden sind für Digitalisierungsprojekte in dieser Branche eingeplant, 2,5 Milliarden Euro als Kaufprämien für Elektroautos. Alles in allem werde der Aufbauplan zum größten Teil nicht zum Anlass für zusätzliche Investitionen genommen, sondern dafür, bereits geplante Vorhaben umzubuchen. Immerhin trage das zur Entlastung der öffentlichen Haushalte bei.

Grundsätzlich, so die Expertin und ihr Kollege, brauche Deutschland eine nachhaltige Investitionsstrategie, die sich an langfristigen Zielen orientiert und nicht allein an der Budgetsituation. Besonders die Kommunen seien auf Planungssicherheit angewiesen, um Kapazitäten für mehr Investitionen aufbauen zu können. Daher sollten die EU-Fiskalregeln reformiert und die Fixierung auf starre Schuldengrenzen aufgegeben werden.

Katja Rietzler, Andrew Watt: Public Investment in Germany: Much More Needs to Be Done, in: Floriana Cerniglio, Francesco Saraceno, Andrew Watt (Hrsg.): The Great Reset, European Public Investment Outlook 2021, Cambridge, Open Book Publishers, November 2021

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen