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HBS Böckler Impuls

Arbeitskosten: Deutsche Löhne im EU-Vergleich: Bisher systematisch überschätzt

Ausgabe 11/2006

Deutschlands Arbeitskosten liegen im europäischen Mittelfeld, so das Ergebnis einer Studie des IMK. Auf Basis neuer, vergleichbarer Daten für die EU-Staaten widerlegen die Wirtschaftsforscher damit die These, die deutschen Löhne seien zu hoch. Im Gegenteil: Im privaten Dienstleistungssektor sind sie im europäischen Vergleich sogar sehr niedrig.

Lange Zeit mussten die deutschen Arbeitskosten als Begründung für die hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit herhalten. Die These von den zu hohen Löhnen ließ sich zwar kaum belegen, denn für die Gesamtwirtschaft Deutschlands und seiner Wettbewerber lagen bisher keine eindeutig vergleichbaren Daten vor. Trotzdem ergaben Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) immer wieder, dass Deutschlands Arbeitskosten zu den höchsten in der Welt gehören.

Der Mangel: Das IW vergleicht regelmäßig die Arbeitskosten ausschließlich im Verarbeitenden Gewerbe (Industrie ohne Bergbau und Energie) je Arbeiterstunde - also ohne die Arbeitskosten der Angestellten - mit den entsprechenden Werten anderer Länder. Demnach gehörte Westdeutschland mit 27,60 Euro im Jahr 2004 international zu den Spitzenreitern, übertroffen nur noch von Dänemark mit 28,14 Euro. Wichtige Konkurrenten in der EU wie Frankreich, die Niederlande und Großbritannien hätten mit Werten zwischen rund 20 und 24 Euro deutlich geringere Arbeitskosten. Allerdings würden sie durch die niedrigen ostdeutschen Arbeitskosten von 17,15 Euro noch einmal deutlich unterboten.

Die Datenaufbereitung des IW ist in vielerlei Hinsicht problematisch, so das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK):

  • Das IW weist lediglich die Arbeitskosten je Arbeiterstunde aus, lässt die Angestelltengehälter also unberücksichtigt. Dies ist nicht nachvollziehbar. Die nationalen Statistischen Ämter in Europa weisen seit der Arbeitskostenerhebung aus dem Jahr 1992 die Arbeitskosten nicht einmal mehr getrennt nach Arbeitern und Angestellten aus, so dass das IW die entsprechenden Zahlen seitdem schätzen muss.
  • Die Beschränkung auf die Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe begründet das IW im Wesentlichen mit der herausgehobenen Bedeutung des Sektors im internationalen Handel. Dieser hat jedoch in Deutschland nur noch einen Anteil von 23 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung. Und selbst das IW stellt fest, dass die unterschiedliche Abgrenzung - Verarbeitendes Gewerbe oder Gesamtwirtschaft - maßgeblichen Einfluss auf die Arbeitskostenposition der deutschen Wirtschaft hat.

Bislang war es schlichtweg nicht möglich, die europäischen Arbeitskosten aufgrund einer fehlenden Datenbasis zu vergleichen. Denn die Arbeitskosten pro Stunde wurden nicht nach einem einheitlichen Standard erfasst. Insbesondere bei den Arbeitsstunden gab es zwischen den einzelnen Ländern große Lücken und Unterschiede in der Abgrenzung. Doch inzwischen liegt mit dem Arbeitskostenindex von Eurostat eine konsistente Datenbasis vor. Sie zeigt: Deutschland liegt im Jahr 2004 mit Arbeitskosten im privaten Sektor von 26,22 Euro die Stunde im Mittelfeld der EU-15-Länder. Somit hat Deutschland keine Wettbewerbsnachteile gegenüber seinen wichtigsten Handelspartnern Frankreich, Österreich und den Niederlanden.

Der Vergleich der Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe zeigt: Diese sind in Deutschland relativ hoch. Das bedeutet für die Bundesrepublik aber keine alleinige Spitzenposition in Europa. Vielmehr gibt es eine große Gruppe europäischer Länder, deren Arbeitskosten deutlich über dem EU-15-Durchschnitt liegen. Laut Eurostat liegen die Arbeitskosten nämlich in den Nachbarländern um 14 bis 21 Prozent höher als das IW angibt. Hauptursache der unterschiedlichen Daten: Anders als das IW verwendet Eurostat die Arbeitskosten sowohl von Arbeitern als auch Angestellten.

In fast allen betrachteten Ländern steigen die Arbeitskosten wegen der Einbeziehung der Angestellten stärker als in West- und Ostdeutschland, so dass der Abstand zwischen den Arbeitskosten der großen europäischen Volkswirtschaften geringer wird.

Im privaten Dienstleistungssektor entsprechen die Arbeitskosten in Deutschland gerade einmal dem EU-15-Durchschnitt. Damit liegen sie deutlich unter dem Niveau der anderen großen europäischen Länder (mit Ausnahme Spaniens). "Dieses Ergebnis ist erstaunlich", urteilen die Forscher des IMK, "weil alle anderen Länder, die überdurchschnittliche Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe aufweisen, auch überdurchschnittlich hohe Arbeitskosten im Dienstleistungssektor verzeichnen."

Im Handel rangieren die deutschen Arbeitskosten 20 Prozent, im Kredit- und Versicherungsgewerbe sogar 25 Prozent unter dem Land mit den jeweils höchsten Arbeitskosten.

Nirgendwo sonst in Europa ist der Abstand zwischen den Löhnen des Verarbeitenden Gewerbes und denen der privaten Dienstleistungen so groß wie in Deutschland. Hier liegen die Arbeitskosten für private Dienstleistungen insgesamt 20 Prozent unter denen des  Verarbeitenden Gewerbes. Dagegen wird in vielen europäischen Ländern im Dienstleistungssektor sogar besser verdient als in der Industrie.

"Damit nimmt Deutschland im Kreis der EU-Länder seit Jahren eine absolute Sonderstellung ein", schreibt das IMK. Die Erklärung: Die Lohnhöhe entwickelt sich sehr stark in Abhängigkeit zur Nachfrage nach den im jeweiligen Sektor produzierten Gütern. Voraussetzung für den starken Einfluss der Nachfrage ist allerdings immer auch die Wettbewerbsfähigkeit einer Branche.

So können Branchen relativ hohe Arbeitskosten haben - trotzdem wettbewerbsfähig sein und somit von einer hohen weltweiten Nachfrage profitieren. So lagen beispielsweise im Kreditgewerbe Luxemburgs 2004 die Arbeitskosten 25 Prozent, im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands zwischen 16 und 20 Prozent über dem EU-15-Durchschnitt. Dass beide Wirtschaftszweige dennoch wettbewerbsfähig sind, zeigen Wachstum beziehungsweise Exporterfolge.

Ein Negativbeispiel bildet dagegen der deutsche Dienstleistungssektor: Hier entwickelten sich die Arbeitskosten deutlich unterproportional sowohl im Vergleich zu den europäischen Handelspartnern als auch in Relation zum Verarbeitenden Gewerbe. Dies ist zu einem großen Teil der schwachen Binnennachfrage geschuldet; die internationale Wettbewerbsfähigkeit spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Der Vergleich der Arbeitskosten in der EU zeigt, dass die Lohnzuwächse in der deutschen Industrie nicht niedriger ausfallen müssen als in den Nachbarländern. Bei den Dienstleistungen können die Löhne sogar stärker steigen. "Nicht zu hohe Löhne im Verarbeitenden Gewerbe sind Deutschlands Problem, sondern zu niedrige bei den Dienstleistungen", so das abschließende Urteil des IMK.

  • Im Verarbeitenden Gewerbe sind Deutschlands Löhne vergleichsweise hoch; in den privaten Dienstleistungen aber nicht. Zur Grafik
  • In Deutschland kosten Dienstleistungen weniger als andernorts - gemessen an Industriearbeit. Zur Grafik
  • Am stärksten stiegen die Lohnstückosten in Großbritannien, in Deutschland sanken sie sogar geringfügig. Zur Grafik

Arbeitskosten in Deutschland: Bisher überschätzt. Auswertung der neuen Eurostat-Statistik, IMK Report Nr. 11 Juni 2006
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