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HBS Böckler Impuls

Finanzkrise: Deregulierung hat mehr zur Krise beigetragen als niedrige US-Zinsen

Ausgabe 12/2009

Die Finanzkrise ist nicht in erster Linie eine Folge zu lockerer Geldpolitik in den USA, sondern vor allem das Ergebnis der Deregulierung des Finanzsektors, sagt der Wirtschaftsforscher Sebastian Dullien.

Welche Faktoren haben den Zusammenbruch des globalen Finanzsystems ausgelöst? Von der Antwort auf diese Frage hängt auch die zukünftige Politik ab. Der Wirtschaftsprofessor Sebastian Dullien hat sich mit der Rolle der amerikanischen Geldpolitik auseinandergesetzt. Sein Fazit: Es gibt keine überzeugenden Belege für die These, vor allem die US-Notenbank sei verantwortlich, weil sie die Immobilienblase mit ihrer Niedrigzinspolitik aufgepumpt habe. Die Kernpunkte seiner Argumentation:

=> Langfristig niedrige Zinsen können einen Einfluss auf die Immobilienpreise haben, können jedoch keine Blase erklären. Niedrigere Zinsen könnten die Nachfrage nach Häusern erhöhen und damit zu höheren Preisen führen. Bei steigenden Zinsen sollte sich dieser Prozess aber umkehren. Dies war jedoch nicht der Fall. So stieg der US-Leitzins zwischen 2004 und 2007 um rund vier Prozentpunkte. Dennoch verzeichneten die US-Immobilienpreise gerade in diesem Zeitraum den stärksten Anstieg.
 
=> In der Finanzgeschichte gebe es keine eindeutigen Hinweise darauf, dass Spekulationsblasen während oder im Anschluss an Niedrigzinsphasen entstehen, sagt Dullien. Das gelte für den Aktiencrash von 1929, dem relativ hohe Realzinsen vorausgegangen seien, ebenso wie für die Aktienblase von 1987. Auch die US-Sparkassenkrise Mitte der 1980er-Jahre und die New-Economy-Blase der Jahrtausendwende ließen sich nicht auf besonders niedrige Leitzinsniveaus
zurückführen.

=> Banken vergeben nicht mehr Kredite an Schuldner mit zweifelhafter Bonität, wenn die Zinsen niedrig sind. Für eine solche Annahme gebe es keinen theoretischen Grund, erklärt Dullien. Im Gegenteil: Standardlehrbücher der Finanztheorie beschreiben sogar, dass die Kreditrisiken eher bei sehr hohem Zinsniveau steigen, weil sich dann nur noch besonders risikofreudige Bankkunden Geld leihen.

=> Fraglich ist dem Wirtschaftsforscher zufolge auch, ob es das relativ billige Geld war, das die Banken ermuntert hat, mit langem Hebel zu spekulieren - also sich viel Geld zu leihen, um die Eigenkapitalrendite zu erhöhen. Niedrige Notenbankzinsen erhöhten schließlich die Margen der Banken, so dass sie in Niedrigzinsphasen gute Geschäfte machen können, auch ohne große Verschuldungsrisiken einzugehen. Angenommen, Banken streben eine bestimmte Eigenkapitalrendite - von beispielsweise 25 Prozent - an: Rechnerisch müssen sie dafür bei niedrigeren Leitzinsen weniger Fremdkapital aufnehmen als bei hohen.

Eine überzeugendere Erklärung für steil angestiegene Immobilienpreise sowie massenhafte Kreditvergabe an Schuldner mit wenig Eigenkapital und Einkommen sind dem
Wissenschaftler zufolge Regulierungsdefizite: Die Aufsichts­behörden hätten versäumt, den irrational handelnden Marktteilnehmern Grenzen zu setzen. Herdentrieb und Risikoblindheit der Banker und Häuslebauer hätten zu den Verwerfungen geführt. Die These vom zu billigen Geld werde in der politischen Debatte aber bewusst eingesetzt, um vom eigentlichen Problem abzulenken und die Verantwortung für die Finanzkrise der staatlichen Zentralbank anstelle des unregulierten Marktes anzulasten, so Dullien.

  • Die Empirie liefert keine Anhaltspunkte dafür, dass die Immobilienpreise sich stets gegenläufig zu den Leitzinsen entwickeln. Zur Grafik

Sebastian Dullien: Die Mär vom zu billigen Geld (pdf), Vortrag bei der IMK-Tagung "Die Finanzmarktkrise und ihre Folgen", Juni 2009

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