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HBS Böckler Impuls

Einkommen: Das Lohngefälle wird steiler

Ausgabe 14/2007

Die Löhne driften in Deutschland mittlerweile ebenso auseinander wie in den USA. Geringverdiener verlieren seit den 90er-Jahren den Anschluss - sie leiden vor allem darunter, dass die Tarifbindung in der Bundesrepublik ihre Kraft einbüßt.

Die Lohnschere klafft zunehmend weiter auseinander. Gut verdienende Arbeitnehmer konnten in den 90er-Jahren Zuwächse verbuchen - die 15 Prozent der Westdeutschen mit den höchsten Arbeitsentgelten erhielten über zehn Prozent mehr. Geringverdiener mussten hingegen Verluste hinnehmen: In den Jahren 1991 bis 2001 büßte das untere Viertel der Beschäftigten real bis zu zwölf Prozent ein. Das zeigen Berechnungen von Christian Dustmann und Uta Schönberg vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) sowie Johannes Ludsteck vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Wissenschaftler haben die Ursachen der Lohnspreizung in Deutschland und in den USA analysiert.

Der technische Fortschritt hat die Anforderungen an Arbeitnehmer in Deutschland und den Vereinigten Staaten deutlich verändert - und damit die Lohnspreizung befördert. Einfache Routinetätigkeiten sind immer weniger gefragt. Zugenommen hat dagegen der Bedarf an nicht-standardisierten und analytischen Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an die Zusammenarbeit der Beschäftigten stellen. Diese Entwicklung erklärt in erster Linie die Lohnsteigerungen im oberen Segment.

Die rückläufige Tarifbindung hat deutliche Spuren vor allem bei den unteren Einkommen hinterlassen. 1995 wurden noch 66,5 Prozent der Beschäftigten von Tarifvereinbarungen erfasst; 2004 war es nur noch 52,1 Prozent. Bei Arbeitern sank die Bindung besonders stark, von 87,4 auf 71,7 Prozent. Die Wissenschaftler führen den Rückgang vor allem auf den abnehmenden Organisationsgrad der Arbeitnehmer zurück.

Wäre dieser über die 90er-Jahre konstant geblieben, dann wäre die Lücke zwischen niedrigen und mittleren Einkommen um ein Drittel kleiner, so die Berechnungen der Forscher. Für Beschäftigte am unteren Ende der Einkommenspyramide hätte das Lohnniveau - gleiche Bindewirkung der Tarifverträge vorausgesetzt - 2004 um 8 Prozent höher gelegen. Am oberen Ende der Einkommenspyramide wären die Einkommen immerhin noch um 0,5 Prozent höher gewesen.

Die deutsche Einheit hat zu einem deutlichen Druck auf die Arbeitsmärkte geführt. Die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Ostdeutschland und Osteuropa habe sich ebenfalls vor allem in den unteren Einkommenssegmenten ausgewirkt, da viele Zuwanderer eher schlecht ausgebildet seien. Die Forscher berechneten auch, ob die gestiegene Arbeitslosigkeit dazu beigetragen hat, dass die Einkommensverteilung ungleicher geworden ist. Dafür haben sie jedoch keine Bestätigung gefunden.

Die Löhne entwickelten sich in Deutschland wie in den USA auseinander - mit Verzögerung von einem Jahrzehnt. Die Polarisierung erfolgte in zwei Schritten:

=> In den 80er-Jahren stiegen die Löhne noch in allen Einkommensgruppen, im Schnitt jährlich um 0,8 Prozent. Die Verdienste der mittleren und geringeren Einkommensgruppen wuchsen etwa gleichmäßig, aber die Besserverdienenden setzten sich bereits in dieser Phase ab.

=> In den 90er-Jahren verlor die untere Gruppe den Anschluss an das Mittelfeld. Gutverdiener konnten zwischen 1993 und 2001 noch Zuwächse von real 9 Prozent erzielen, mittlere Einkommen um 4 Prozent. Niedrigverdiener mussten indes mit 4 Prozent weniger auskommen.

Die These, dass in Deutschland die Spreizung der Einkommen zu gering sei und darunter die Beschäftigungsaussichten in den unteren Lohngruppen besonders leiden, lasse sich nicht aufrechterhalten, erklären die Forscher von IZA und IAB. Dieser Befund sei "gerade vor dem Hintergrund der Debatte um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland von hoher Aktualität". Ein Mindestlohn könne dazu beitragen, dass die Einkommen wieder näher zusammenrücken. Wichtig sei aber auch, Anreize für mehr und bessere Ausbildung zu setzen. Das sei wichtig "für ein Land, dessen Standortvorteil von der Qualifikation der Arbeitnehmer abhängt". 

  • Die Löhne Angelernter gehen verglichen mit der Bezahlung ausgebildeter Facharbeiter zurück. Zur Grafik
  • Die unteren Lohngruppen verlieren. Zur Grafik

Christian Dustmann, Johannes Ludsteck, Uta Schönberg: Revisiting the German Wage Structure, IZA Discussion Paper No. 2685, März 2007.

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