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HBS Böckler Impuls

Staatsschulden: "Bestes Mittel gegen Schulden: Wachstum"

Ausgabe 08/2013

Die Geschichte mutet an wie „David gegen Goliath“: Ein Doktorand der University of Massachusetts in Amherst widerlegt eher durch Zufall eine der einflussreichsten Studien zum Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Staatsverschuldung – und damit die bekannten Harvard-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Ein Gespräch mit einem seiner Doktorväter, Robert Pollin, zur Bedeutung dieses Fundes – und dazu, was wirklich gegen Staatsverschuldung hilft.

Was waren Ihre ersten Gedanken, als Ihr Student Thomas Herndon Ihnen zeigte, dass Rogoff und Reinhart sich verrechnet hatten?

Pollin: Ich habe ihm nicht geglaubt. Ich dachte, er hat lediglich ein paar Fehler gemacht. Das passiert unseren Doktoranden häufig, wenn sie die Ergebnisse einer bereits veröffentlichten Studie nachvollziehen sollen. Aber Thomas überzeugte mich, dass er im Recht war – und dass Reinhart und Rogoff sich geirrt hatten.

Die beiden Harvard-Ökonomen haben einige ihrer Fehler inzwischen eingeräumt. An ihrer Aussage „Hohe Staatsschulden sind schädlich für das Wirtschaftswachstum“ scheinen sie jedoch festzuhalten. Können Sie das vor dem Hintergrund Ihrer Resultate nachvollziehen?

Pollin: Sie behaupten, dass die Beseitigung eines Fehlers in der von Ihnen benutzten Excel-Tabelle ihre Aussagen nur leicht verändert. Das stimmt. Doch in Kombination mit ihren anderen Fehlern – selektiver Ausschluss von Daten aus Kanada, Australien und Neuseeland sowie eine äußerst mangelhafte Methode zur Mittelung der Werte – lösen sich all ihre zentralen Aussagen einfach in Luft auf. Dennoch gibt es natürlich einen Punkt, ab dem das Anhäufen von Staatsschulden das Wirtschaftswachstum behindert. Aber auf der Grundlage der unsicheren Forschungsergebnisse von Reinhart und Rogoff wissen wir nicht, wann dieser Punkt erreicht ist. Außerdem: Nach einer schweren Rezession ist es von entscheidender Bedeutung, die Kosten hoher Staatsverschuldung abzuwägen gegen den Nutzen von Staatsausgaben, die die Wirtschaft wieder ankurbeln.

Welche Rolle spielt Statistik überhaupt in der Ökonomie? Geht es darum, vorgefasste Meinungen zu beweisen oder wirklich um neue Erkenntnisse?

Pollin: Prinzipiell sagen Ökonomen natürlich, dass sie Statistik als Rohmaterial einsetzen, um die wirtschaftlichen Zusammenhänge besser zu verstehen. Aber es ist wahr, dass Ökonomen bei ihrer Forschung bestimmten Ideen eher zuneigen als anderen. Davon nehme ich auch mich nicht aus. Das beeinflusst unsere Studienergebnisse, auch wenn es das nicht tun sollte. Genau wegen dieser möglichen Befangenheit ist es so wichtig, dass andere Leute unsere Forschung kritisch prüfen – damit wir sicher sein können, dass sie dieser Kontrolle standhalten.

Unabhängig von der Diskussion um die Rogoff-Studie: Seit Ausbruch der Finanzkrise haben viele Staaten hohe Schulden angehäuft, vielfach um den Finanzsektor zu retten. Das ist doch ein Problem, oder?

Pollin: Ja, das ist ein Problem, aber momentan ist es ein nachrangiges. Unsere Hauptprobleme sind zur Zeit die Massenarbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Stagnation, hervorgerufen durch die allgemeine Wirtschaftskrise und die dagegen eingesetzten Sparmaßnahmen. Der beste Weg, das Schuldenproblem zu lösen, besteht daher darin, unsere Volkswirtschaften aus dem Konjunkturtief auf einen hinreichenden Wachstumspfad zurückzuführen.

Wie könnte das aussehen?

Pollin: Die Regierungen müssen ihre Ausgaben steigern, und zwar so produktiv wie möglich. Zum Beispiel sollten wir hier in den USA nicht unsere Ausgaben für Bildung kürzen, sondern ausweiten. Neben anderen Vorteilen bringen Investitionen in Bildung nämlich mehr Jobs: Pro ausgegebener Million US-Dollar für Bildung entstehen ungefähr 27 Jobs. Die gleiche Summe bringt im Militärsektor nur 11 neue Jobs. Außerdem sollten die amerikanische und die europäische Notenbank weiter Maßnahmen ergreifen, die Unternehmen die Kreditaufnahme ermöglichen. Dann können auch die Unternehmen wieder mehr investieren.

Die Bundesregierung und auch die Europäische Kommission halten weiterhin Sparen für die beste Medizin. Was muss noch passieren, damit sie ihre Meinung ändern?

Pollin: Die dauerhaft schwache Wirtschaft und das damit verbundene menschliche Leid sollten sie dazu bewegen, ihre Haltung zu ändern. Nichts an den Sparplänen ist dazu geeignet, gegen eine Rezession anzukämpfen und eine gesunde Erholung anzustoßen. Darin besteht das grundsätzliche Problem der Positionen der Bundesregierung und der EU-Kommission.

Welche Konsequenzen hat es, wenn sie es nicht tun?

Pollin: Wir sehen doch schon das Leid und die Entsolidarisierung der Menschen, je tiefer die Sparpläne greifen. Das öffnet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Tür und Tor für jegliche Art sehr hässlicher politischer Trends, inklusive einer Stärkung von faschistischen, extrem rechten Anschauungen.

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„Staatsschulden von mehr als 90 Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes würgen das Wachstum ab“, lautete die zentrale Botschaft einer Studie von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Regierungen und Zentralbanker in der ganzen Welt beriefen sich auf die Aussagen der beiden Harvard-Ökonomen.

Die Crux: Der Zusammenhang lässt sich nicht belegen. In ihre Untersuchung ließen die beiden Forscher zum Beispiel Daten von Kanada, Australien und Neuseeland nicht einfließen. Diese Länder entwickelten sich jedoch trotz hoher Schulden gut. Besonders peinlich: Aufgedeckt hat die Sache ein Doktorand einer weitaus weniger renommierten Universität.

Robert Pollin ist Professor für Ökonomie und Ko-Direktor des Political Economy Research Institute an der University of Massachusetts in Amherst. Er war unter anderem Berater der US-Regierung und der Vereinten Nationen. Momentan berät er ein Projekt der EU-Kommission.

Die Studie:
Thomas Herndon, Michael Ash, Robert Pollin: Does High Public Debt Consistently Stifle Economic Growth? A Critique of Reinhart and Rogoff, Political Economy Research Institute (pdf), Working Paper Series, Number 322, April 2013. 

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