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HBS Böckler Impuls

Kündigungsschutz: 'Ein Beitrag zum inneren Frieden'

Ausgabe 09/2005

Klagefreudige Arbeitnehmer, schleppende Verfahren, Abfindungen am laufenden Band - "verbreitete Annahmen" in der Debatte um den Kündigungsschutz müssten korrigiert werden, meinen Forscher der Universität Halle-Wittenberg nach der ersten empirischen Untersuchung seit 26 Jahren.

Mehr als 1.600 Kündigungsschutz-Verfahren aus dem Jahr 2003 hat ein Team um Professor Dr. Armin Höland analysiert und mit der letzten ähnlichen Untersuchung von 1979 verglichen. Die Praxis vor den Gerichten ist danach wenig dramatisch.

2003 fochten doppelt so viele Arbeitnehmer ihre Kündigung an wie 1979 - 16 statt damals 8 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg allerdings auch die Arbeitslosigkeit rapide. Der Verlust des Arbeitsplatzes wiege deshalb "schwerer als in besseren Zeiten mit einem größeren Angebot an Alternativen", so Höland. Trotzdem nimmt die große Mehrheit - 84 Prozent - den Jobverlust hin, ohne vor Gericht zu ziehen.

Üblich sind schnelle Verfahren. Knapp die Hälfte ist in drei Monaten erledigt, drei Viertel spätestens nach einem halben Jahr. Eine Erklärung liefert die Studie: Lediglich 11 Prozent der Verfahren enden überhaupt mit einem streitigen Urteil (60 Prozent zu Gunsten der Beschäftigten, 40 Prozent mit Abweisung der Klage). Viel häufiger sind Vergleiche: Zwei Drittel der Prozesse enden so.

Bei diesen Vergleichen fließen heute tatsächlich häufiger Abfindungen. Nach Einschätzung der Forscher hat das einen einfachen Grund: Kündigten Arbeitgeber 1979 überwiegend mit Verweis auf mangelnde Leistung oder pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers, häufen sich jetzt betriebsbedingte Kündigungen - genau jene Fälle, in denen sich die Gekündigten wenig Hoffnung machen können, ihren Job längerfristig zu behalten, auch wenn sie den Kündigungsschutzprozess gewinnen. "Das verstärkt die Bedeutung der Abfindung als Entschädigung", erklärt Höland.

Abfindungen bleiben auch bei Kündigungen durch den Arbeitgeber die Ausnahme. Von allen Gekündigten erhalten lediglich 8 Prozent im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine Abfindung. Rechnet man noch jene hinzu, die sich schon vorher - ohne Einschaltung eines Gerichts - mit ihrem (Ex-) Arbeitgeber einigen, bekommen von allen Gekündigten 15 Prozent eine Abfindung, ermittelte dazu das WSI. Unkalkulierbare Risiken für den Arbeitgeber berge das Kündigungsschutzgesetz nicht, resümiert Höland, es wirke vor allem präventiv. Wer einem Beschäftigten kündigen wolle, müsse diese Entscheidung gegenüber den "werthaften und rationalen Maßstäben des Gesetzes" rechtfertigen können: "Kündigungsschutz und Arbeitsgerichtsbarkeit leisten damit einen Beitrag zum inneren Frieden."

  • Klagefreudige Arbeitnehmer, schleppende Verfahren, Abfindungen am laufenden Band - "verbreitete Annahmen" in der Debatte um den Kündigungsschutz müssten korrigiert werden, meinen Forscher der Universität Halle-Wittenberg nach der ersten empirischen Untersuchung seit 26 Jahren. Zur Grafik

Armin Höland u.a.: Kündigungspraxis und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis aus der Sicht des arbeitsgerichtlichen Verfahrens.
Download (pdf)
Ein Beitrag für die WSI-Mitteilungen ist in Vorbereitung

Heide Pfarr u.a.: Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit. Betriebliche Erfahrungen mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, München/Mering 2005
mehr Infos zum Buch

Kündigungen, Abfindungen, Kündigungsschutzklagen - Wie sieht die Praxis aus?
REGAM-Auswertungen zum Download (pdf)

 Projekt "Regulierung des Arbeitsmarktes" (REGAM) des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, 2002-2007

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