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HBS Böckler Impuls

Arbeitsrecht: "Knallharte Handhabe gegen Diskriminierung"

Ausgabe 12/2018

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat klargestellt, dass Kirchen von ihren Beschäftigten nicht pauschal eine bestimmte Konfession als Einstellungs­voraussetzung verlangen können. Welche weitreichenden Folgen das hat, erklärt der Rechtswissenschaftler Johannes Heuschmid vom HSI.

Der EuGH hat im April den Fall Egenberger entschieden. Worum ging es in diesem Verfahren?

Geklagt hatte eine Berlinerin, die sich 2012 auf eine Stelle als Referentin beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte. Die Klägerin wurde nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, weil sie kein Kirchenmitglied war. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass dies eine unzulässige Diskriminierung sein kann. Kirchenmitgliedschaft darf nach seiner Auffassung nur bei sogenannten „verkündigungsnahen“ Tätigkeiten gefordert werden. Die Autonomie der Kirchen im Arbeitsrecht wird dadurch zum ersten Mal wirksam eingeschränkt, die Stellenanforderungen kirchlicher Arbeitgeber können jetzt gerichtlich überprüft werden. Bisher war das anders: Das Bundesverfassungsgericht hat den Kirchen auf diesem Gebiet traditionell freie Hand gelassen. 

Betrifft das Urteil nur das kirchliche Arbeitsrecht?

Die Bedeutung geht weit darüber hinaus. Der EuGH stärkt mit seinem Urteil den allgemeinen Diskriminierungsschutz in der Europäischen Grundrechtecharta. Schon 2005 hatte er in der Entscheidung Mangold einen Passus des Teilzeit- und Befristungsgesetzes für ungültig erklärt und sich dabei auf das Verbot der Altersdiskriminierung berufen. Das hatte zur Folge, dass die diskriminierende Regelung im nationalen Recht nicht mehr angewendet werden konnte. Jetzt haben die Richter klargestellt, dass dies für alle in der Grundrechtecharta verankerten Diskriminierungsverbote gilt. Die betreffen unter anderem Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts, der ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens oder der sexuellen Orientierung. Denkbar ist auch, dass Gerichte diese Liste noch erweitern und beispielsweise Diskriminierungen wegen Gewerkschaftsmitgliedschaft oder der Betätigung als Arbeitnehmervertreter ausdrücklich verbieten. Wer gegen entsprechende Ungleichbehandlungen juristisch vorgehen möchte, hat jetzt eine knallharte Handhabe: Nationales Recht, das gegen eines der Diskriminierungsverbote verstößt, ist künftig unanwendbar. 

Wo könnte die neue Rechtsprechung angewendet werden?    

Denkbar sind hier grundsätzlich zahlreiche Fälle. Voraussetzung ist stets, dass das Unionsrecht anwendbar ist. Sofern dies der Fall ist, könnten beispielsweise Studiengebühren eine Diskriminierung aufgrund des Vermögens oder der sozialen Herkunft darstellen. Das Gleiche gilt für erhöhte Versicherungsprämien, die Menschen aus prekären Stadtteilen zahlen müssen. 

Ist jetzt mit einer Klagewelle zu rechnen?

Das dürfte nicht zu befürchten sein. Sinnvoll wäre es, den neuen rechtlichen Hebel zielgerichtet einzusetzen. Für Klagen bieten sich Fälle an, bei denen die Ungerechtigkeit besonders augenfällig ist. Dann sind auch klare Urteile mit Signalwirkung zu erwarten.


  • Die Kirchen in Deutschland sind Arbeitgeber von etwa 1,5 Millionen Beschäftigten. Zur Grafik

Pluralität anerkennen und Diskriminierung abbauen – dafür spricht sich die von der Hans-Böckler-Stiftung initiierte Kommission „Arbeit der Zukunft“ aus. Betriebsräte sollten dabei eine aktive Rolle spielen. Mehr dazu in: Kerstin Jürgens, Reiner Hoffmann, Christina Schildmann: Arbeit transformieren!, Transcript Verlag 2017, ab Seite 185

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