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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: 'Der Staat fördert die falschen Jobs'

Ausgabe 10/2007

Wer eine reguläre Arbeitsstelle hat, soll nicht auf Arbeitslosengeld II angewiesen sein, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Er plädiert für einen Umbau des Niedriglohnsektors - indem der Staat nicht Minijobs subventioniert, sondern Vollzeitstellen unterstützt.

Herr Bofinger, Sie haben gemeinsam mit einem Forschungsteam ein Konzept für den Umbau des Niedriglohnsektors entworfen. Im Zentrum ihres Vorschlags steht eine negative Einkommensteuer. Wollen Sie den Niedriglohnbereich ausweiten?

Bofinger: Nicht ausweiten, sondern verändern. Deutschland braucht auf keinen Fall mehr Niedriglöhne, es ist im westeuropäischen Vergleich bereits ein ausgeprägtes Niedriglohnland. Aber wir schlagen vor, im Niedriglohnbereich die Beschäftigung umzuschichten - von Minijobs zu regulären Arbeitsplätzen. Im Moment sorgt der Staat für die falschen Jobs: Er fördert atypische statt reguläre Beschäftigung. Die subventionierten Minijobs verdrängen oder blockieren richtige Stellen. Es entstehen neue Beschäftigungspotenziale im Dienstleistungsbereich. Die Nachfrage dafür ist da, aber sie wird durch den Staat in die völlig falsche Richtung gelenkt. Wie unsinnig das ist, erkennt man daran, dass es in keinem anderen Land der Welt eine Subvention wie die 400-Euro-Jobs gibt.

Sind am Arbeitsmarkt überhaupt Subventionen nötig?

Bofinger: Ja, weil die Globalisierung besonders die Geringverdiener dem Druck der internationalen Konkurrenz aussetzt. Deutschland profitiert als Volkswirtschaft insgesamt stark von seiner Einbettung in die Weltwirtschaft und verdient sehr gut an den Exporten. Den Preis dafür zahlen im Moment jedoch die Menschen im Niedriglohnsektor. Die sollte man meiner Meinung nach nicht damit allein lassen.

Profitieren von einer negativen Einkommensteuer nicht vor allem die Arbeitgeber, die ihre Kosten auf den Staat überwälzen?

Bofinger: Diesen Effekt können Sie kaum vermeiden. Aktuell ist dieser Anreiz allerdings noch größer, weil die Beschäftigten zu niedrige Stundenlöhne mit ALG II aufbessern können. Eine negative Einkommensteuer ist da die bessere Variante. Und um ein Absinken der Löhne zu verhindern, schlagen wir zugleich einen gesetzlichen Mindestlohn vor.

Ihr Vorschlag fällt mit 4,50 Euro eher bescheiden aus. Ein Mindestlohn könnte sich aber auch an bereits gesetzlich verankerten Lohnuntergrenzen wie der Pfändungsfreigrenze orientieren. Dann kommt man auf etwa 7,50 Euro je Stunde.

Bofinger: Zusammen mit der negativen Einkommensteuer entsprechen die 4,50 einem heutigen Bruttolohn von 5,75 Euro. Den Betrag kann man aber durchaus noch etwas höher ansetzen, als wir es getan haben. Ich bestehe nicht auf den einzelnen Beträgen unseres Konzeptes. Aber: Mit einem Mindestlohn von 4,50 oder 5,00 Euro hätte man immerhin schon einmal einen Fuß in der Tür. Und wir brauchen in Deutschland einen Mindestlohn, weil die Lohnspreizung nach unten sehr groß ist. Da wäre es sinnvoll, möglichst bald einen Boden einzuziehen und ihn dann bei Bedarf anzuheben. Die Briten sind dabei sehr klug vorgegangen. Sie haben eine Low Pay Commission installiert, in der Vertreter von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Wissenschaftler sitzen. Diese Kommission verschafft dem Mindestlohn eine hohe Legitimität. Sie überprüft regelmäßig seine Effekte und hat ihn in den letzten Jahren deutlich angehoben.

Manche Forscher warnen vor Arbeitsplatzverlusten, sollte ein Mindestlohn eingeführt werden. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Bofinger: Das Risiko wird oft überzogen dargestellt. Ich kann mir sogar vorstellen, dass keine Stellen wegfallen, wenn wir einen Mindestlohn von 7,50 Euro einführen - die Arbeit in den Hotels oder im Einzelhandel muss ja erledigt werden. Über die Effekte können wir derzeit nichts Genaues sagen. Immerhin ist bemerkenswert, dass Luxemburg den höchsten Mindestlohn in Europa hat und gleichzeitig die geringste Arbeitslosenrate von Geringqualifizierten. Und umgekehrt: Obwohl ausgerechnet wir in Deutschland keinen gesetzlichen oder tariflichen Mindestlohn haben, verzeichnen wir im westeuropäischen Vergleich die höchste Arbeitslosigkeit gering Qualifizierter. Insgesamt verläuft die Debatte in Deutschland schon etwas seltsam, wenn der Eindruck erweckt wird, mit dem Mindestlohn werde ein exotisches Instrument eingeführt, von dem man eigentlich nur weiß, dass es zu steigender Arbeitslosigkeit führe.

Mindestlohn und Kombilohn werden in Deutschland stets als gegensätzliche Ansätze diskutiert, Ihr Konzept verknüpft sie jedoch. Passen die beiden Elemente überhaupt zusammen?

Bofinger: Dass Mindestlohn und Kombilohn sich widersprechen, dafür gibt es keine vernünftige Begründung. Viele Länder - Schweden, Großbritannien, Frankreich, Vereinigte Staaten - haben beides, eine obligatorische Lohnuntergrenze und eine negative Einkommensteuer. Und diese Länder verzeichnen in der Beschäftigung Geringqualifizierter und in der Armutsvermeidung bessere Ergebnisse als wir.

Eine Reihe von Studien hat sich mit Ihrem Konzept und seinen Effekten befasst. Fast alle kamen zum Ergebnis: Es wird kaum Beschäftigungszuwachs geben.

Bofinger: Das liegt zunächst einmal darin, dass in diesen Studien die Bedeutung der 400-Euro-Jobs massiv unterschätzt wird. Der größte Zuwachs an Vollzeitarbeitsplätzen würde aus der Abschaffung der Minijobs kommen. Aber es geht nicht allein um die Zahl der neuen Stellen. Wir wollen zugleich ein anderes Ziel erreichen: Regulär arbeitende Beschäftigte sollen nicht mehr Arbeitslosengeld II beziehen müssen. Unser Ansatz will die Art verändern, wie der Staat mit Menschen im Niedriglohnbereich umgeht. Wenn die Leute in regulären Jobs mehr als 30 Stunden arbeiten und aufgrund der negativen Einkommensteuer davon leben können, dann halte ich das für besser als eine Kombination von Minijob und ALG II. Und ganz sicher wären auch viele Vollzeitbeschäftigte im Niedriglohnbereich froh, nicht mehr als "Aufstocker" auf den Bezug von ALG II angewiesen zu sein. Wenn sie sich nicht mehr der Bürokratie aussetzen, ihr Vermögen anrechnen lassen und ihre Lebensverhältnisse offen legen müssen, würde das für viele einen erheblichen Statusgewinn bedeuten.

Konzept für den Umbau des Niedriglohnsektors

Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre in Würzburg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Gemeinsam mit Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und weiteren Forschern hat Bofinger ein Konzept für einen Umbau des Niedriglohnsektors entworfen. Das Ziel des Bofinger-Walwei-Papiers: Der Staat soll nicht mehr geringfügige Beschäftigung fördern, sondern reguläre Beschäftigung mit mindestens 30 Arbeitsstunden je Woche.

Die Wissenschaftler schlagen darum vor, die Minijobs abzuschaffen und die Hinzuverdienstmöglichkeiten zum Arbeitslosengeld II (ALG II) zu reduzieren. Im Gegenzug kommt eine negative Einkommensteuer. Vollzeitbeschäftigte Geringverdiener erhalten nach diesem Modell Steuergutschriften - Ledige innerhalb einer Gleitzone von 750 bis 1.300 Euro, Verheiratete zwischen 1.300 bis 2.000 Euro. Zudem wird für sie das Kindergeld aufgestockt. Ein gesetzlicher Mindestlohn von 4,50 Euro sichert das Lohngefüge nach unten ab.

WSI und IMK haben das Konzept kritisiert: Der Mindestlohn sei zu niedrig angesetzt, um Armut zu vermeiden. Zudem stünde die Mehrzahl der heutigen ALG-II-Empfänger im Bofinger-Modell schlechter da, weil ihre Hinzuverdienstmöglichkeiten beschnitten werden. Da viele kaum Chancen auf eine Vollzeitstelle haben, käme eine große Gruppe nicht in den Genuss der negativen Einkommensteuer.

  • Prekäre Jobs werden stark subventioniert. Zur Grafik
  • Geringverdiener haben in Deutschland ein hohe Abgabenlast zu tragen. Zur Grafik
  • Die Lohnspreizung ist in Deutschland besonders ausgeprägt. Zur Grafik

IMK-WSI-Arbeitskreis Kombilohn: Was tun im Niedriglohnbereich? - Eine kritische Auseinandersetzung mit einem neueren Kombilohnkonzept, IMK Report Nr. 18 März 2007. Download (pdf)

Peter Bofinger, Martin Dietz, Sascha Genders, Ulrich Walwei: Vorrang für das reguläre Arbeitsverhältnis: Ein Konzept für Existenz sichernde Beschäftigung im Niedriglohnbereich, Gutachten für das Sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, August 2006. Download (pdf)

Niedriglohnsektor: Neues Puzzle alte Probleme, in: Böckler Impuls 05/2007.

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