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HBS Böckler Impuls

Ungleichheit: Ängstliche Arbeitslose, ärgerliche Chefs

Ausgabe 02/2013

Soziale Unterschiede wirken sich auch auf das Gefühlsleben aus: Menschen mit niedrigem Einkommen haben häufiger Angst. Gebildete und Führungskräfte ärgern sich öfter.

Zahlreiche theoretische Ansätze vermuten seit langem einen Zusammenhang zwischen dem sozialen Status und den erlebten Emotionen. Empirische Studien gibt es dazu bislang aber nur wenige. Katja Rackow und Christian von Scheve von der Freien Universität Berlin haben nun zusammen mit Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung untersucht, wie sich soziale Ungleichheiten auf das Empfinden von Angst und Ärger auswirken. Dazu haben sie Daten des Sozio-oekonomischen Panels ausgewertet, einer repräsentativen Haushaltsbefragung mit mehr als 20.000 Teilnehmern. Die Forscher beziehen sich auf die seit 2007 abgefragte Kurzskala zu Emotionen und errechnen statistische Zusammenhänge zu Indikatoren sozialer Ungleichheit.

Das Ergebnis: Niedrige Einkommensgruppen empfinden verstärkt Angst. Die Erklärung der Sozialwissenschaftler: Angehörige dieser Gruppe sehen wenig Möglichkeiten, die gesellschaftlichen Umstände etwa durch politisches Engagement zu ändern. Ärger empfinden vor allem höher Gebildete in Führungspositionen. Die Forscher erklären das damit, dass das Empfinden von Ärger den eigenen, gehobenen Status verstärkt und so auch der Machtsicherung dient. Auf diese Weise könne „die soziale Strukturierung des emotionalen Empfindens vorhandene soziale Ungleichheiten reproduzieren oder sogar verstärken“.

Laut den Autoren konzentrierten sich Untersuchungen zu den Zusammenhängen von sozialen Unterschieden und Emotionen bislang hauptsächlich auf generelle Empfindungen wie Glück oder Zufriedenheit. Konkrete Emotionen wie Angst und Ärger verraten hingegen mehr über daraus folgende Handlungen. Beide Emotionen zählen zu den zentralen Gefühlen des Menschen. Zudem führen sie zu nahezu konträren Konsequenzen: Während „Angst tendenziell zu einem Rückzugsverhalten oder dem untätigen Verharren in einer unangenehmen Situation“ führe, motiviere „Ärger zum Handeln und zur potenziellen Beseitigung emotionsauslösender Umstände“.

Ärger: Um dahinter zu kommen, wie Ärger mit dem sozialen Status zusammenhängt, haben die Forscher zahlreiche Faktoren wie Geschlecht, Herkunft, Alter oder Familienstand untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass sich vor allem Bildung auf das Empfinden von Ärger auswirkt: Befragte mit einem höheren Abschluss berichten deutlich häufiger, dass sie sich ärgern, als Befragte mit einem niedrigeren Abschluss. Auch Beschäftigte mit Leitungsaufgaben und Personalverantwortung empfinden vergleichsweise häufig Ärger. Hinsichtlich des Einkommens haben die Wissenschaftler beobachtet, dass die Wahrscheinlichkeit, sich zu ärgern, bis zu einem Verdienst von etwa 20.000 Euro im Jahr abnimmt und bei höheren Einkommen wieder ansteigt.

Angst: Laut den Untersuchungen ängstigen sich weibliche Befragte deutlich häufiger als männliche. Auch ein Migrationshintergrund oder ein Wohnort in den neuen Bundesländern erhöht die Wahrscheinlichkeit, Angst zu empfinden. Mit steigendem Alter nimmt die Angst dagegen ab. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass diese Beobachtungen vor allem auf Einkommenseffekte zurückzuführen sind. Arbeitslose empfinden häufiger als alle anderen Berufsklassen Angst. „Je höher der Status, je höher das Einkommen, desto seltener erleben Befragte Angst“, analysieren die Sozialwissenschaftler. „Hinsichtlich des Status ist es aber ausschließlich der unfreiwillige Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt, der die Häufigkeit des Erlebens von Angst maßgeblich erhöht.“

Dass insbesondere Arbeitslose häufig Angst empfinden, sehen die Forscher als Reaktion auf die Erfahrung, ausgeschlossen zu sein. Da das Fehlen eines Arbeitsplatzes oft als „persönlicher Makel“ angesehen werde, sei Arbeitslosigkeit deutlich mehr „als nur ein Mangel an finanziellen Ressourcen“. Dass mit dem unfreiwilligen Ausschluss aus dem Erwerbsleben negative Emotionen zunehmen, betrachten die Sozialwissenschaftler als Beleg für die „große Bedeutung einer erfolgreichen Eingliederung in den Arbeitsmarkt“.

  • In Deutschland sind die Einkommen zunhemend ungleich verteilt. Das liegt auch daran, dass das Steuersystem nicht mehr so stark verteilungspolitisch wirkt wie noch in den 1980er Jahren. Zur Grafik

Katja Rackow, Jürgen Schupp, Christian von Scheve: Angst und Ärger: Zur Relevanz emotionaler Dimensionen sozialer Ungleichheit, in: Zeitschrift für Soziologie 5/2012.

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