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Operndirektorin Ursula Benzing: „Die Stiftung fördert ja Leute mit einer so schrägen Biographie wie meiner.“ Stipendien

Altstipendiatin: Die Vielseitige

Ausgabe 07/2015

Von der Krankenschwester zur Opernchefin am Kasseler Staatstheater – Ursula Benzing ist ihrem Idealismus treu geblieben.

Von Joachim F. Tornau

Der Lapsus ist ihr nur einmal passiert. Ein einziges Mal, sagt Ursula Benzing, habe sie die beiden Rollen, die sie in ihrem beruflichen Leben gespielt hat, vermengt – und Theaterzuschauer bei einem Podiumsgespräch beinahe als ihre „Patienten“ bezeichnet. Benzing ist Operndirektorin am Kasseler Staatstheater. Doch bevor sie zur promovierten Musikwissenschaftlerin und gefragten Fachfrau in der Welt des Musiktheaters wurde, war sie ... Krankenschwester. Größer könnte ein Sprung zwischen den Sphären kaum sein. Aber die 50-Jährige sieht das ganz unspektakulär: „Ich glaube, dass ich als Krankenschwester nicht anders war als heute als Operndirektorin“, sagt sie. Und das heißt: engagiert bis in die Spitzen ihres kurz geschnittenen, dunklen Haars, mit ganzer Seele dabei, eine Kämpferin, die tut, was sie sich vornimmt. Geboren als Tochter eines Pfarrers in Schwäbisch Hall, wuchs Benzing mit fünf Geschwistern auf in einem Haushalt, in dem das Musizieren zum Alltag gehörte. Aber sie entwickelte schon früh ihren ganz eigenen Kopf: „Ich wollte immer Krankenschwester werden, das war klar“, erzählt sie. Und als sie diesen Plan in die Realität umsetzte, fasste sie gleich den nächsten Vorsatz: sie wollte aufhören, sobald ihr der Idealismus abhanden käme.

So weit sollte es allerdings nie kommen. Nach mehr als zehnjähriger Berufstätigkeit war Benzing nicht minder idealistisch als am Anfang. Gleichwohl hatte sie Lust, ihre Energie in neue Bahnen zu lenken. Auf dem zweiten Bildungsweg holte sie das Abitur nach, studierte Musikwissenschaft, Romanistik und Kulturwissenschaft, erwarb schließlich sogar den Doktortitel – mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. „Die Stiftung fördert ja Leute mit einer so schrägen Biografie wie meiner“, sagt sie – und ist noch heute des Lobes voll für die „super Seminare“, die sie besuchen durfte, die Unterstützung, die sie erfahren hat.Seit 2007 ist Benzing nun, nach Stationen in Stuttgart, Düsseldorf, Berlin und Heilbronn, am Staatstheater in Kassel. Als Operndirektorin und leitende Musikdramaturgin kümmert sie sich um den Spielplan, um die Zusammensetzung des Ensembles, ums Finden der richtigen Sänger, aber auch ums Budget.

„Eine Operndirektorin sucht 24 Stunden am Tag nach Lösungen“, erklärt sie. Bei anderen würde solch ein Satz vielleicht wie ein Klagelied klingen. Benzing aber strahlt dabei. „Die Oper“, sagt sie, „ist mein Leben.“ Persönlich ins Rampenlicht drängt es sie dabei nicht. „Eigentlich kann ich es überhaupt nicht leiden, in der Öffentlichkeit zu stehen.“ Ein Fototermin wie für dieses Porträt ist ihr spürbar unangenehm. Theater – das bedeutet für Benzing: Fragen zu stellen über den Zustand der Welt. Zum Nachdenken anzuregen. Zu berühren. „Wir verhandeln auf der Opernbühne keine abstrakten Gegenstände, sondern zutiefst Menschliches“, sagt sie. „Wie gut Mozart beispielsweise die Menschen kannte – das überwältigt mich immer wieder aufs Neue.“ Diese ihre eigene Begeisterung dem Publikum zu vermitteln ist eines ihrer größten Anliegen.

Fast jede Opernvorstellung besucht die Chefin selbst, geht in der Pause auf die Zuschauer zu, sucht den Dialog. Regelmäßig bietet sie Einführungsveranstaltungen an und scheut auch vor unorthodoxen Wegen der Kunstvermittlung nicht zurück: Bei einer Matinee zu Richard Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ ließ sie Nürnberger Rostbratwürschtel auftischen, zum „Barbier von Sevilla“ kreierte ein Kasseler Chocolatier Rossini-Trüffel. Und zu Wagners „Fliegendem Holländer“ schrieb Benzing einen Kurzgeschichtenwettbewerb aus, bei dem die Story fortgeschrieben werden sollte. Nichts, findet sie, sei schlimmer als Gleichgültigkeit. „Für mich ist Theater dann erfolgreich, wenn die Menschen darüber ins Gespräch kommen.“ Für die Kulturpolitik aber bemesse sich der Erfolg eines Hauses allein an den Auslastungszahlen. Leider. 

Es ist der erste Moment des Gesprächs, in dem Benzing ihre Stimme erhebt, laut wird. „Fassungslos“ sei sie, wenn gewachsenes Kulturgut dem Rotstift geopfert werde. „Dass man Bildung verteidigen muss, ist ein Skandal“, ruft sie. Und so wenig ihr erstes und ihr zweites Berufsleben sonst miteinander verbinden mag, eines kennt die Kulturschaffende noch aus dem Gesundheitswesen: den ständigen Sparzwang. An dessen Alternativlosigkeit glaubt sie nicht: „Ich bin überzeugt, dass es genügend Geld gibt“, sagt Benzing. „Nur die Verteilung stimmt nicht.“

Als politisch interessiert beschreibt sich die Kasseler Operndirektorin. Ungerechtigkeit und Unvernunft bringen sie in Rage. Blind vor Wut aber will sie nicht sein. Ihr Betreuer bei der Hans-Böckler-Stiftung, erzählt sie, habe ihr einen Satz mit auf den Weg gegeben: Einen kühlen Kopf bewahren bei brennendem Herzen. „Das“, sagt sie, „bin ich.“

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