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Blick in eine Kantine

: Ab nach Hause: Insourcing als Chance für mehr Unabhängigkeit

In der Welt von Unternehmen herrscht eine hohe Dynamik. Manchmal wird dann Arbeit aus Kostengründen ausgelagert. Doch es geht auch umgekehrt. Welche Möglichkeiten bietet ein Zurückholen von outgesourcten Bereichen und welche Gründe gibt es dafür?

Willkommen zurück. Insourcing bedeutet, dass Produktionsteile, Prozesse oder Leistungen von externen Dienstleistern in ein Unternehmen zurückgeholt werden. Oft wurden sie vorher aus Kostengründen ausgelagert (Outsourcing).

Für Insourcing kann es viele Gründe geben. Der deutsche Stofftier-Hersteller Steiff holte 2009 zum Beispiel seine Produktion aus China zurück, weil es neben langen Lieferfristen wachsende Zweifel an der Qualität gab.

Vorteile des Zurückholens können zum Beispiel eine bessere Kontrolle, mehr hauseigenes Knowhow, Synergieeffekte, Produktivitätssteigerungen und bessere Qualität sein. Denn wer im Wertschöpfungsprozess viele Schritte auslagert, macht sich auch abhängig – von Zulieferern, Logistikunternehmen und der globalen Wirtschaftslage. Zum Null-Tarif ist Insourcing nicht zu haben. Die Investition kann sich aber langfristig auszahlen. Outsourcing wird es dennoch weiterhin geben, mit allen Chancen und Risiken.

„Insourcing ist keine neue Entwicklung“, betont der Wirtschaftswissenschaftler Professor Carsten Wirth von der Hochschule Darmstadt. Firmen hätten schon immer die Arbeitsteilung zwischen Betrieben und Unternehmungen überprüft und bei Bedarf auch verändert. „Insourcing ist eher Ausdruck einer fortwährenden Dynamik“, ergänzt der Forscher. Es gehe dabei um die Verteilung der Wertschöpfungsaktivitäten entlang der Wertschöpfungskette. Es gebe gewisse Indizien dafür, dass Unternehmungen nach der Corona-Pandemie, dem Beginn des Ukrainekriegs und einer veränderten Geopolitik sensibler für die Ausgestaltung ihrer Wertschöpfungsketten würden. Das gelte zumindest für eine Risikostreuung - auch durch Insourcing. Allerdings benötigten die Akteure Zeit, solche Vorhaben zu organisieren. Denn die Veränderung der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung tangiere zahlreiche Interessen im Management und bei Eigentümern.

Statistiken, wie oft Insourcing in der deutschen Wirtschaft praktiziert wird, sind rar. Wirth und Professor Markus Hertwig von der Ruhr-Universität Bochum haben in Zusammenarbeit mit ihrem Team zu Insourcing beim Verarbeitenden Gewerbe geforscht. „Wir haben Insourcing-Prozesse quantitativ im Rahmen einer für die Bundesrepublik Deutschland repräsentativen Managementbefragung mit mehr als 1000 Befragten und in mehreren Intensivfallstudien untersucht“, berichtet Wirth.  Vor allem in den Einzelfallstudien gehe es darum, Prozesse, in denen ein Insourcing hervorgebracht wird, detailliert zu untersuchen. Die Wissenschaftler wollen verstehen, wie ein solches Zurückholen gelingen kann. Eine weitere Frage dabei sei, wie Mitbestimmungsträger Insourcing-Prozesse mit anstoßen könnten, sagt Wirth.

  • Carsten Wirth

Interview

„Insourcing ist etwas für hochkompetente Interessenvertretungen“

Professor Carsten Wirth forscht mit dem Schwerpunkt Arbeitswissenschaft, Personal und Organisation an der Hochschule Darmstadt. In einem Sechstel bis zu einem Viertel der untersuchten Fälle werde eine Auslagerung wieder zurückgenommen, berichtet er.

Welche deutschen Brachen hatten Sie für die Forschung im Blick?

Wir haben das Verarbeitende Gewerbe angeschaut, also fast alles jenseits der Grundstoff- und Bauindustrie sowie des Dienstleistungssektors. Da geht es zum Beispiel um die chemische Industrie, die Nahrungsmittelindustrie, den Fahrzeug- und Maschinenbau, die elektrotechnische Industrie, die Medizintechnik, aber auch um die Herstellung von Korbwaren. Produktion spielt dabei überall eine große Rolle. Und es gibt es jede Menge Dynamik. Wenn etwas ausgelagert wird, heißt das nicht, dass es ewig anderen Unternehmungen vorbehalten bleibt, diese Produkte oder Dienstleistungen zu erstellen. Es kann auch wieder zurückkommen, insbesondere dann, wenn sich günstige Gelegenheiten ergeben wie zum Beispiel im Zuge von Veränderungen bei einem Zulieferer. 

Von wo kommt etwas zurück, aus China oder eher aus Europa?

Nein, viel enger noch. 75 Prozent aller Insourcing-Fälle, die wir im Rahmen unserer quantitativen Befragung gefunden haben, erfolgen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, oft sogar regional. Es kann zum Beispiel zwischen der Firma Müller und der Firma Meier einen Liefervertrag geben, der dann wieder von der Firma Müller übernommen wird. Sie macht das dann eben wieder selbst.  Manchmal sitzen ausgelagerte Mitarbeitende nur ein Stockwerk tiefer im Betrieb, zum Beispiel im Rahmen so genannter Onsite-Werkverträge. In den 1980er und -90er Jahren war es Mode, alles outzusourcen, was nicht zum Kerngeschäft gehörte. Diese räumliche Nähe von Beschäftigten unterschiedlicher Unternehmungen war dann die Grundlage informeller Kontakte, an die Betriebsräte anknüpfen konnten und in bestimmten Fällen in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten des anderen Unternehmens Insourcing-Prozesse anstoßen konnten.

Was genau wird zurückgeholt - Güter, Logistik oder anderes?

In unseren Fallstudien geht es um unterschiedliche Aktivitäten. Einmal ging es um ein Callcenter als Dienstleistung. Auch der Einstieg in ein neues Produkt wie die Batteriefertigung kann eine Form des Insourcings sein, wenn Firmen Batterien bisher von Dritten bezogen haben. Ein anderes Beispiel ist das Insourcing einer Kantine. Im Fall eines Maschinenbaubetriebs ging es um den Einstieg in die Chipfertigung. Der Betrieb musste hier praktisch zwangsweise einsteigen. Denn der Großkonzern, der die Chips bisher zugeliefert hatte, stellte dieses Geschäftsfeld wegen „niedriger“ Kapitalrenditen ein. Ich hätte die übrigens gerne auf meinem Sparbuch. Kurzfristig gab es dafür keinen Ersatz - beziehungsweise der Maschinenbauer beugte mit dem Insourcing auch gleich zukünftigen Abhängigkeitsproblemen vor.

  • Chip-Produktion

Also spielen Lieferketten eine große Rolle?

Ja. Und gar nicht so sehr wegen des Ukrainekriegs oder der Coronapandemie. Ganz häufig spielen strategische Überlegungen der Lieferanten eine Rolle, wenn sie eine Sparte dichtmachen. Oder im Falle kleinerer Betriebe: Die gehen pleite oder der Eigentümer gibt sein Geschäft auf und geht in Rente.

Bei der Dynamik geht es also auch um Sicherheitsdenken?

Ja. Selbst wenn es nicht direkt um Insourcing geht, dann zumindest darum, sich besser abzusichern – also Zulieferungen zumindest aus zwei Quellen zu beziehen. Gut ist aber immer, auch eine eigene Produktionskapazität zu haben, über die eine Unternehmung lernt oder zumindest eine Steuerungsfähigkeit erhält.

Eine Kantine zurückzuholen klingt einfacher als plötzlich selbst Chips zu produzieren. Gibt es verschiedene Insourcing-Modelle?

Nicht unbedingt. Der Übergabeprozess ist natürlich unterschiedlich, aber der Weg ist ähnlich. Letztendlich werden die neuen Beschäftigten der Kantine von dem bisherigen Anbieter übernommen. Bei der Chip-Produktion läuft das auch so – aber da geht es um einen zwei Jahre andauernden Prozess, in dem das Wissen vom Lieferanten an den Abnehmer übertragen wird. Die Technik beziehungsweise die Anlage und das Know-how des bisherigen Zulieferers werden dafür gekauft.

Das klingt wie eine übliche Investition?

Ja, aber unter Druck. Denn ohne Insourcing wäre der Maschinenbauer pleite gewesen, weil er ohne Chips keine einzige Maschine hätte ausliefern können. Der brauchte eben dieses eine Teil.

Wer hat Vorteile beim Insourcing?

Wo Insourcing klappt, profitieren ganz dominant die Unternehmen. Denn sie sind in der Regel wirtschaftlicher geworden. Durch das zurückgeholte Callcenter für technischen Support eines Erstausrüsters in der Automobilindustrie ließ sich zum Beispiel das Feedback von Autowerkstätten wieder für Produktion und Vertrieb verwerten. In diesem Fall war die interne Know-how-Generierung das Entscheidende für das Unternehmen. Ohne dieses Insourcing hätte der frühere Betreiber des Callcenters seine Leute, hochqualifizierte Techniker und Meister, rauswerfen müssen. Das wäre teuer für ihn geworden, darum war ein Betriebsübergang auch für den bisherigen Anbieter die bessere Lösung.

  • Call Center

Und was bedeutet das dann für die Beschäftigten?

Für die Beschäftigten haben sich durch Insourcing, das wir untersucht haben, die Arbeitsbedingungen zum Teil dramatisch verbessert. Ein Gehaltsplus, kürzere Arbeitszeiten, wirksamere Mitbestimmung und der Zugang zum internen Arbeitsmarkt eines Großunternehmens mit vielen Wechselmöglichkeiten machen Insourcing für Arbeitende attraktiv.

Gab es gar keine Nachteile?

Nur in den seltensten Fällen fand eine vollständige Angleichung an die Arbeitsbedingungen des insourcenden Unternehmens statt. Häufig war die Eingruppierung niedriger. Also zum Beispiel eine Meisterin, die in die Entgeltgruppe 8 gehört, kam dann in die Entgeltgruppe 7. Das Management machte Druck, indem es sagte: Sonst gründen wir eben eine Tochtergesellschaft mit noch deutlich niedrigerer Eingruppierung oder Bezahlung.

Kommt dann nicht Druck aus dem Unternehmen für die Angleichung?

Natürlich, das ist ein wichtiger Punkt. Man muss aber wie gesagt sehen: die Beschäftigten verdienen nach Insourcing in der Regel deutlich mehr, auch wenn es keine vollständige tarifliche Angleichung ist. Wenn zum Beispiel ein Metall-Unternehmen eine Logistik-Sparte zurückholt, verbessern sich die Arbeitsbedingungen deutlich. Denn dann gilt für dieselbe Tätigkeit wie vorher der Metall-Tarif. Das heißt rund 30 Prozent mehr Lohn, 14 Prozent Arbeitszeit weniger und dazu kommt der Schutz eines wirksamen Betriebsrats. Ich will die Unzufriedenheit nicht kleinreden, aber ein Stück weit Realismus im Kapitalismus ist auch nicht schlecht. Ich sehe dafür eine andere Gefahr: Dass ein Management diese Konzession nach dem Insourcing an einem Konzernstandort auf die anderen zu übertragen versucht - also dort die Betriebsräte unter Druck setzt. Das ist mehr als grenzwertig und dann schon einen Kampf wert. Insourcing ist deshalb etwas für hochkompetente Interessenvertretungen.

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