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Magazin Mitbestimmung

Einzelhandel: Voller Einsatz für die Schlecker-Frauen

Ausgabe 06/2013

Christina Frank, ver.di-Gewerkschaftssekretärin in Stuttgart, hilft ehemaligen Schlecker-Frauen, ihre eigenen Drogerien aufzumachen. Nach der Pleite wollte sie die Beschäftigten nicht sich selbst überlassen. Von Stefan Scheytt

Mit einem halb gefüllten Einkaufskorb in der Hand steht ver.di-Gewerkschafts­sekretärin Christina Frank in einem Drogeriegeschäft zwischen Regalen voller Seife, Shampoos und Wattestäbchen – und telefoniert. In ihrer Stimme liegt Empörung. „Die Volksbank weigert sich, einen Kredit der KfW-Bank um 12.000 Euro aufzustocken“, sagt sie ins Handy, was eine andere Kundin aufhorchen lässt, „und zufällig weiß ich, dass die Geburtstagsparty für einen Bankvorstand 15.000 Euro gekostet hat. Das ist doch unglaublich!“ Ihr Ton wird kämpferisch: „Wenn sich die Bank nicht bewegt, ziehen wir Konten ab. Dem Bürgermeister hab ich schon geschrieben. Kreissparkassen und Volksbanken sind dazu da, ihrer Kommune zu helfen, und eine funktionierende Nahversorgung ist Dienst an der Kommune. Wir geben nicht auf, wir haben immer einen Weg gefunden.“

Erdmannhausen, 25 Kilometer nördlich von Stuttgart. In der 5000-Einwohner-Gemeinde eröffnete im November 2012 das erste von ehemaligen Schlecker-Frauen betriebene Drogeriegeschäft im Südwesten. Etwa 25 000 Beschäftigte – vor allem Verkäuferinnen – verloren durch die spektakuläre Pleite Anton Schleckers Anfang 2012 ihren Arbeitsplatz, nur knapp 10 000 fanden wieder einen Job, und einige wenige Dutzend – die meisten in Baden-Württemberg – wagten den Schritt in die Selbstständigkeit als Mit-Eigentümerin eines Drogeriegeschäfts.

Das ist auch das Verdienst der ver.di-Landesbezirksleitung in Stuttgart und dort vor allem von Gewerkschaftssekretärin Christina Frank. Wenn man so will, arbeitet sie sich heute an zweierlei Vergangenheiten ab – an der unrühmlichen Hinterlassenschaft des einstigen Multimilliardärs und an ihrem eigenen Erbe: Christina Frank war es in den Jahren zuvor im Bezirk Stuttgart gelungen, gegen den massiven Widerstand von Schlecker Betriebsräte in acht Standorten mit rund 280 Filialen zu gründen; nach der Pleite konnte sie deshalb ihre „Schlecker-Familie“ nicht einfach sich selbst überlassen. „Das Abwickeln ist nicht unsere Aufgabe als Gewerkschaft, so habe ich meinen Job nie verstanden“, sagt Christina Frank.

HÄUFIGER TALKSHOW-GAST

Weil sie so denkt, ist ihr ein ungesundes Arbeits­pensum zugewachsen: Neben ihrer normalen Arbeit als Gewerkschaftssekretärin für den Einzelhandel mit so schwierigen Gegenübern wie esprit, H&M oder Ikea eilt die 58-Jährige nun für „ihre Schlecker-Frauen“ von Termin zu Termin, trommelt in Bürgerversammlungen für die Ladenidee und sammelt dort sogenannte „Stützlis“ ein – das sind Warengutscheine über 50 oder 100 Euro, die die Unterstützer jetzt erwerben, aber erst in zwei Jahren in Waren einlösen können; so lange steht das Geld als Startkapital für die Läden zur Verfügung. Sie verhandelt mit Banken, Lieferanten und Vermietern, organisiert Ladeneinrichtungen, schlägt sich mit neuen Kassensystemen herum, kämpft bei Arbeitsagenturen um Existenzgründerzuschüsse und Gewerbescheine für die Frauen und gibt ihnen dabei immer auch ein Stück ihrer Unerschütterlichkeit ab. So wenig sie Streit (und im normalen Geschäft Streik) scheut, so überlegt bleibt die Diplom-Pädagogin stets in Ton und Wortwahl, was ihr eine außergewöhnliche Medienpräsenz eingetragen hat: Schon mehrfach hat man die ehemalige Böckler-Stipendiatin in Talkshows von Anne Will bis Maybrit Illner für Arbeitnehmerinteressen streiten sehen, nicht zu reden vom immensen Interesse lokaler und regionaler Medien am Kampf um die Betriebsratsgründungen bei Schlecker damals und nun an den Nachfolge-Läden durch die ehemaligen Schlecker-Frauen.

Zehn solcher Läden könnten es im Südwesten einmal sein, allesamt in kleineren Gemeinden oder Stadtteilen, in denen nach dem Aus für Schlecker Lücken in der Nahversorgung entstanden, unter denen vor allem ältere Menschen leiden. Mit Unterstützung des auf Dorfläden spezialisierten Unternehmensberaters Wolfgang Gröll wurden nur wirklich aussichtsreiche Standorte ausgewählt; zu den Auswahlkriterien gehört auch, dass die neuen Dorfläden nicht in Konkurrenz zu bestehenden Geschäften treten, sondern deren Sortimente ergänzen und so die bedrohte Laden-Infrastrukur verschiedener Angebote insgesamt möglichst erhalten. Während die Läden der Schlecker-Frauen die Rechtsform der sogenannten Mini-GmbHs (UG) haben, bei denen die Haftung der Eigentümerinnen eingeschränkt ist, fungiert ein Verein als übergeordnete Servicegesellschaft, die Wareneinkauf, Buchhaltung und andere zentrale Aufgaben aller Läden steuert. Das macht derzeit ein arbeitsloser Betriebsleiter aus dem Lebensmittelhandel, der darauf hofft, dass seine ehrenamtliche Arbeit in eine Anstellung mündet, wenn die neuen Läden einmal gut laufen.

ÄRGER MIT DEN BANKEN

Doch „der Einzelhandel ist keine einfache Branche“, weiß Christina Frank, die Margen sind klein, die Verbraucher preisfixiert. Hinzu kommt der aufreibende Kampf mit den Banken um Kredite und Bürgschaften, der Christina Frank so empört: „Selbst wenn die Zusage von den Banken dann da ist, dauert es oft noch Wochen oder Monate, bis das erste Geld tatsächlich verfügbar ist, und so lange kann man keine Ware beziehen“, sagt Frank. So verstreicht wertvolle Zeit, in denen die Existenzgründerinnen von ihrem Arbeitslosengeld leben müssen und sich die früheren Schlecker-Kunden notgedrungen an andere Einkaufsmöglichkeiten gewöhnen. So kommt es, dass Ende April erst drei der geplanten zehn Läden regulär liefen, während die restlichen sieben zum Warten auf die bewilligten Geldmittel verurteilt waren.

Im „Drehpunkt“, so der Name der neuen Läden, in Erdmannhausen „war der Jahresanfang eher schleppend“, sagt Bettina Meeh, eine der beiden neuen Eigentümerinnen. „Aber das ist im Einzelhandel normal. Jetzt müssen wir mit besonderen Aktionen und Dienstleistungen die Kunden zurückholen, aber wir sind zuversichtlich.“ Mit Sortimentserweiterungen nach den Wünschen der Kunden, wie es bei Schlecker früher nicht möglich war, hofft Bettina Meeh, neue Kunden zu gewinnen. 17 Jahre arbeitete sie in einem Schlecker-Laden in der Nachbarschaft und gründete mithilfe von Christina Frank einen Betriebsrat, dessen stellvertretende Vorsitzende sie war. „Meine Familie hat sofort zugestimmt, dass ich mich selbstständig mache. In meinem Alter habe ich auf dem Arbeitsmarkt doch sowieso keine Chance“, sagt die 47-Jährige, „und daheim rumzusitzen ist nicht mein Ding.“ Über Christina Frank sagt sie: „Ohne sie stünden wir jetzt nicht hier. Sie ist unser Organisator, unser Motor.“ Eine andere ehemalige Schlecker-Frau, die bald einen „Drehpunkt“ eröffnen will, sagt: „Christina ist einfach genial. Damals bei den Streiks bei Schlecker stand sie hinter uns und jetzt auch wieder bei der Existenzgründung.“

Aber wie lange läuft dieser Motor noch rund? Auf dem Rückweg von Erdmannhausen ins Stuttgarter Gewerkschaftshaus, zwischen zig Telefonaten unter anderem mit einem Bürgermeister, der auch auf einen „Drehpunkt“ in seiner Gemeinde hofft, sagt ver.di-Sekretärin Frank: „Ich muss wieder raus aus dem Projekt, das muss jetzt von selber laufen. Ich weiß auch nicht, wie lange man so etwas aushält. Ja, ich betreibe Raubbau an mir.“ Es gibt Menschen, die nachts um 2 Uhr E-Mails von ihr erhalten, im Kofferraum ihres Autos liegt eine Sporttasche für den Fall, dass sie mal Zeit findet für den Besuch in einem 24-Stunden-Sportstudio. Jetzt, im Frühjahr 2013, nahm sie ihren Resturlaub aus dem Jahr 2011.

„Wenn du etwas anfängst, musst du es auch richtig betreiben“, sagt sie lakonisch. „Ich hab mich schon immer verantwortlich gefühlt“, sagt die Frau, die mit vielen jüngeren Geschwistern aufgewachsen ist, und besondere Verantwortung empfinde sie für diejenigen, die unter der wachsenden Ungerechtigkeit leiden: Leiharbeiter, Teilzeitbeschäftigte, Geringverdiener, Arbeitslose. Deshalb hat sich Christina Frank, die aus einem traditionsreichen SPD-Haushalt stammt, von Linken-Chef Bernd Riexinger, der bis Mitte 2012 als Geschäftsführer des ver.di-Bezirkes Stuttgart ihr Chef war, zu einer Kandidatur auf der Linken-Liste für die Bundestagswahl überreden lassen.

Zurück aus Erdmannhausen im Stuttgarter Gewerkschaftshaus, kann sie nur kurz in ihr Büro schauen, in dem eine Postkarte auffällt mit Obama und einer Sprechblase: „Yes, we can! Schlecker-Bezirk 27 hat seinen Betriebsrat“. Kurz schaut sie auf das überquellende E-Mail-Postfach in ihrem Computer, dann muss sie in den „Service-Point“ ein Stockwerk tiefer: Wie alle Kollegen ist sie einmal im Monat „Sekretärin vom Dienst“ für Notfälle.

 

Daten zu Schlecker: Trübe Bilanz

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat aufgehört, Buch über den Verbleib der einst 27 000 Schlecker-Beschäftigten zu führen, die zwischen 2012 entlassen wurden. Die letzten Zahlen gab es im März 2013: Bis dahin waren 11 198 Frauen und Männer in Jobs vermittelt worden, 154 hatten sich selbständig gemacht.

Nur in ganz vereinzelten Fällen werden ehemalige „Schlecker-Frauen“ zu Erzieherinnen ausgebildet, wie es Arbeitsministerin Ursula von der Leyen vollmundig als Perspektive für die Entlassenen propagiert hatte. Dem stehen nicht nur die Wünsche und Eignungen der Betroffenen entgegen. Eein rechtlich darf die BA maximal zweijährige Ausbildungen finanzieren. Nach Verhandlungen und aufgrund des Personalmangels in den Kitas sind inzwischen allerdings einige Bundesländer bereit, für das dritte Ausbildungsjahr zu bezahlen.

3500 ehemalige Schlecker-Beschäftigte hatten sich gar nicht erst arbeitslos gemeldet, inzwischen sind weitere 3000 aus der Kartei der BA verschwunden, ohne dass ihnen eine Stelle vermittelt worden wäre. Nach und nach rutschen die rund 9000 Verbleibenden nun in den Hartz IV-Bezug. Damit gilt jede Stelle als zumutbar.

Viele Vermittler in der Bundesagentur für Arbeit sahen die Tariflöhne der Schlecker-Beschäftigten als Vermittlungshemmnis und „Problem“, weil die Betroffenen in den ersten Monaten der Arbeitslosigkeit zu Recht Niedriglöhne ablehnen konnten. Die BA-Mitarbeiter begreifen den „Arbeitsmarkt und seine Bedingungen (notgedrungen) als eine feststehende Ausgangssituation, der man sich für einen erfolgreichen Wiedereinstieg in Beschäftigung anpassen müsse“, heißt es in einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Bernhard Franke, ver.di-Landesfachbereichsleiter im Handel in Baden-Württemberg, kritisiert diese Perspektive. Dass eine gelernte Verkäuferin bei Schlecker zwischen 9,92 und 13,79 Euro pro Stunde verdient habe, lag daran, dass die Beschäftigten gemeinsam mit ver.di die Anwendung der Branchentarifverträge durchgesetzt hätten. Die gelten heute in weniger als der Hälfte der Einzelhandelsfirmen, nachdem es seit dem Jahr 2000 keine Allgemeinverbindlichkeit mehr gibt.

Text: Annette Jensen

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