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Magazin Mitbestimmung

: EGB warnt vor Brüsseler Lohnpolizei

Ausgabe 03/2011

EU-KOMMISSION Das Anti-Krisen-Paket der EU-Kommission entpuppt sich als Angriff auf Tarifautonomie und Arbeitsrecht. Von Wolfgang Kowalsky

Wolfgang Kowalsky ist Referent beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) in Brüssel

In Brüssel braut sich etwas zusammen. Marketingexperten der Europäischen Kommission haben sich jüngst merkwürdige Begriffe wie "Europäisches Semester" und "graduelle Erhöhung der Rechte" ausgedacht. Was damit gemeint ist, erschließt sich nur zögernd. Zunächst griff die Kommission im Verein mit dem IWF in Griechenland und Irland ein. Sie erarbeiteten mit der jeweiligen Regierung ein "Memorandum of Understanding", eine Übereinkunft über die Schritte zur Haushaltssanierung. Manche sprechen statt von Übereinkunft von Diktat. Bestandteil des irischen Rettungspakets ist neben Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst auch eine Kürzung des irischen Mindestlohns von 8,65 auf 7,65 Euro. In Rumänien und Griechenland wurden ebenfalls Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt und zugleich massiver Druck auf das Arbeitsrecht ausgeübt. De facto werden die Defizitländer von EU-Sparkommissaren regiert.

Dieses Beispiel macht Schule und soll nun im Windschatten der Krise auf alle Euroländer und sogar die gesamte EU ausgedehnt werden. Es geht um nichts Geringeres als um eine Zentralisierung der europäischen Lohnpolitik in den Händen der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen (ECFIN) und des Rats der Finanzminister. Die Kommission hat ihre Vorschläge in sechs Gesetzestexte gepackt. Die Erklärung wurde nachgeschoben im sogenannten "Jahreswachstumsbericht", der Anfang Januar vorgestellt wurde. Hinter diesem harmlos klingenden Etikett verbirgt sich die Begründung für die Eingriffe in die Haushaltshoheit der nationalen Parlamente sowie in die Tarifhoheit der Sozialpartner und das Arbeitsrecht. Hier werden Löhne und Lohnfindungssysteme als Problem ausgemacht. Die platte Empfehlung des Jahreswachstumsberichts lautet: Flexibilität erhöhen, "übertriebenen Kündigungsschutz" abbauen, Lohnindexierung (wie in Frankreich oder Luxemburg) abschaffen, weiter liberalisieren durch Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten und der Gewerbezonen. Aus Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit nimmt die Kommission auch die Kurzarbeit ins Visier: Sie führe zu "Perioden von jobless growth" und zu einem Rückgang der Produktivität pro Arbeitnehmer. Tarifverträge mit langer Laufzeit erhöhten die "Starrheit der Arbeitsmärkte". Die Kommission empfiehlt sogar die Ausweitung von unbefristeten Arbeitsverträgen, sofern "eine hinreichend lange Probezeit und eine graduelle Erhöhung der Rechte" vorgesehen ist. Mit anderen Worten: Nicht vom Tag eins an hat ein Arbeitender Rechte, sondern muss sie sich erst verdienen.

Fast ganz aus dem Visier geraten sind hingegen die Banken und die Finanzindustrie, weder von Finanztransaktionssteuer noch von Steuerharmonisierung ist in diesem Bericht die Rede. Das Verursacherprinzip ist auf den Kopf gestellt - zahlen müssen diejenigen, die die Finanzkrise nicht zu verantworten haben.

HEBEL FÜR MEHR INTEGRATION?_ Wo findet sich die Rechtsgrundlage für einen so weitreichenden Kompetenztransfer? Worauf gründet sich dieser grundlegende Eingriff in die Lohnpolitik und Tarifautonomie? Nach Auffassung des EGB ist diese Kompetenzanmaßung nicht durch den Lissabon-Vertrag abgedeckt. In den meisten Mitgliedstaaten gilt der Grundsatz, dass Lohnpolitik Aufgabe der Sozialpartner ist und ohne staatliche Einmischung erfolgen sollte. Die von der Kommission anvisierte Form von "Economic Governance" macht jedoch eine solidarische Lohnpolitik, die Lohn- und Einkommensdisparitäten abbaut, unmöglich. Ob "Economic Governance" nun mit "Wirtschaftsregierung" oder "wirtschaftspolitischer Steuerung" übersetzt wird, ist dabei zweitrangig.

Kürzlich erläuterte Kommissionspräsident Barroso, wer die Triebkraft hinter den Vorstößen ist: "Die Märkte fordern Economic Governance." Es sei wichtig, die Krise als Hebel zu nutzen, um neue Instrumente für mehr Integration zu schaffen. Tatsächlich werden die Löhne zum einzigen Anpassungsinstrument. Auf- und Abwertungen, die in der Eurozone nicht mehr möglich sind, werden durch Lohnabwertungen ersetzt in der Form deflationärer Lohnkürzungen. Völlige Lohnflexibilität und Abschaffung jener Arbeitsmarktinstrumente, die "Starrheit" in die Löhne bringen, stehen auf dem Programm. Damit werden die Löhne zueinander in Konkurrenz gesetzt, mit dem Ziel einer Abwärtsspirale. Nicht zufällig hat die Kommission als Bezugsrahmen ihres Indikators ausgerechnet den Zeitraum ausgewählt, in dem die Lohnentwicklung in Deutschland unter dem europäischen Durchschnitt lag. Damit wäre Lohnmäßigung als Ziellinie zementiert.

Vorgenommen hat sich die Kommission auch, exzessive Ungleichgewichte aufzuspüren und zu korrigieren. Der von ihr geschaffene Indikator soll ein Warnsignal auslösen, wenn die Löhne zu schnell steigen. Dann schreibt sie "Empfehlungen", die quasi automatisch Sanktionen nach sich ziehen, wenn es nicht innerhalb von zehn Tagen gelingt, eine qualifizierte Mehrheit im Rat gegen die Empfehlung zustande zu bringen. Also: Demokratie auf dem Kopf, denn eine Minderheitsentscheidung gilt, falls sich dagegen nicht zügig eine Mehrheit zu Wort meldet. Während auf nationaler Ebene Gewaltenteilung herrscht und Korrekturmechanismen existieren, gibt es auf europäischer Ebene eine nie da gewesene Zentralisierung der Macht.

WIDERSTAND DER GEWERKSCHAFTEN_ Die Gewerkschaften fordern seit geraumer Zeit unter dem Schlagwort "Economic Governance" mehr wirtschaftspolitische Koordinierung. Der Begriff wurde jetzt zwar aufgegriffen, aber der Wein aus der Flasche gekippt und eine trübe Giftmischung hineingegossen. Die Gewerkschaften verstehen darunter eine Kombination von koordinierter Wirtschafts- und Industriepolitik, Steuerharmonisierung inklusive Mindestsätze für Unternehmen, Eurobonds, Zukunftsinvestitionen, Mitbestimmung, europaweite Mindestlöhne und nicht Turboflexibilisierung der Arbeitsmärkte oder staatliche Lohnpolitik, die Brüsseler Direktiven folgt.

Ob die nationalen Parlamente sich bieten lassen, dass ihr hoheitliches Recht, den Haushalt aufzustellen, ausgehebelt wird, wird sich zeigen. Die Gewerkschaften jedenfalls können sich diese Attacken der Kommission nicht bieten lassen. Die nächste Etappe ist die Debatte im Europäischen Parlament: Es geht darum, zu verhindern, dass der Kampf gegen Ungleichgewichte verkürzt wird auf Wettbewerbsfähigkeit und Löhne. Soziale Indikatoren müssen berücksichtigt werden, wie etwa soziale Ungleichheiten, die eine Ursache der extremen Verschuldung unterer und mittlerer Schichten sind. Die Grundrechtecharta muss respektiert werden, Gleiches gilt für Artikel 153 des Lissabon-Vertrags, der eine Zuständigkeit für Löhne explizit ausschließt. Zumindest müssen die Sozialpartner und das Parlament einbezogen werden, bevor Empfehlungen ausgesprochen werden. Es ist vom Prinzip her inakzeptabel, Sanktionen zu erlassen, um Empfehlungen zu Löhnen, Kollektivvertragssystemen oder Mindestlöhnen durchzusetzen. Über Sanktionen darf nur mit Mehrheit entschieden werden und nicht nach dem neu erfundenen Verfahren der umgekehrten Mehrheitsentscheidung.

Die Vertragsänderung, die als eine rein technische präsentiert wird, in Wirklichkeit aber weiter reichend ist als der Lissabon-Vertrag selbst, lehnt der EGB ab. Das ist ein Novum, da der EGB in der Vergangenheit Änderungen stets unterstützt hat. Jetzt hat er seine Mitgliedsgewerkschaften aufgerufen zu intervenieren. Nicht die Löhne haben die Finanzkrise ausgelöst, deren Kürzung nun künftige Krisen verhindern soll. Die helfende Hand Europas, die sogenannten Rettungspakete, erweist sich als eiserne Faust. Im Parlament steht die Abstimmung im Frühsommer an - noch ist es nicht zu spät für einen Kurswechsel.

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