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HBS Böckler Impuls

Krankenversicherung: Gesundheitsfonds: Lösung mit Haken

Ausgabe 20/2008

Die jüngsten Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung haben einige alte Probleme gelöst. Sie schaffen jedoch auch neue.

Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung fließen ab 1. Januar 2009 nicht mehr direkt an die Kassen, sondern in einen Gesundheitsfonds. Die beiden Professoren Stefan Greß und Jürgen Wasem haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung das gesundheitspolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung untersucht. Problematisch ist aus Sicht der  Gesundheitsökonomen vor allem die geplante Konstruktion aus Zusatzbeitrag und Überforderungsklausel. Ihre Analyse der zentralen Veränderungen:

Der reformierte Risikostrukturausgleich beseitigt Wettbewerbsverzerrungen. Bislang hatten Krankenkassen mit überdurchschnittlich verdienenden und überdurchschnittlich gesunden Mitgliedern Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Konkurrenten. Der reformierte Strukturausgleich schaffe faire Wettbewerbsbedingungen: Chronisch Kranke seien für gesetzliche Krankenversicherungen nun "nicht mehr automatisch schlechte Risiken". Die Kassen erhielten dadurch Anreize, in die Versorgung chronisch Kranker zu investieren.

Mehr Steuerfinanzierung sorgt für gerechtere Finanzierung. Der Bund will sich 2009 mit vier Milliarden Euro an den Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen beteiligen. Bis 2016 soll der jährliche Zuschuss aus Steuermitteln auf 14 Milliarden Euro steigen. Dies bewerten Greß und Wasem als positiv. Das Steuersystem wirkt im Gegensatz zur Beitragserhebung der Krankenkassen progressiv, etwa die Hälfte des Gesamtaufkommens geht auf Steuerarten zurück, die nach dem Prinzip funktionieren: je höher das Einkommen, desto höher der prozentuale Steuersatz. Daher verbessern Steuerzuschüsse die Verteilungsgerechtigkeit - und außerdem steht die Finanzierung der Krankenkassen dann auf einer breiteren Basis. Allerdings können Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt bei schlechter Kassenlage leicht den Sparplänen der Regierung zum Opfer fallen, wie es in der Vergangenheit auch geschehen ist. Um solche "Zweifel an der Stetigkeit der Steuerfinanzierung zumindest teilweise zu zerstreuen", schlagen Wasem und Greß vor, den Ausbau der Steuerfinanzierung zu beschleunigen. Der Zielwert von 14 Milliarden Euro pro Jahr sollte bereits 2012 erreicht werden.

Problematische Konstruktion: Einkommensabhängiger Beitrag, Zusatzbeitrag, Überforderungsklausel. Für alle gesetzlich Krankenversicherten gilt ab Januar ein einheitlicher Beitragssatz von 15,5 Prozent des Bruttoeinkommens. Gezahlt wird an den Gesundheitsfonds; der reicht das Geld nach den Regeln des Risikostrukturausgleichs an die Kassen weiter. Krankenkassen, die mit den Zuweisungen nicht auskommen, dürfen einen Zusatzbeitrag erheben - von bis zu  einem Prozent des Bruttoeinkommens des jeweiligen Versicherten. Dieses Verfahren ist nach Ansicht der beiden Wissenschaftler jedoch noch nicht ausgereift:

Die Krankenkassen werden zunächst versuchen, ohne Zusatzbeitrag auszukommen, um nicht "als unwirtschaftlich gebrandmarkt zu werden", prognostizieren die Forscher. Die Kassen hätten nun einen Anreiz, an der falschen Stelle zu sparen. So könnten sie auf mittel- bis langfristig wichtige Investitionen verzichten, fürchten Greß und Wasem, insbesondere im Bereich der so genannten integrierten Versorgung.

Die Kombination aus einkommensabhängigem Beitrag und Zusatzbeitrag ist unter Verteilungsgesichtspunkten problematisch, schreiben die Wissenschaftler. Steigen die Gesundheitsausgaben, wird die Last ausschließlich auf die Versicherten verlagert - in Form höherer Zusatzbeiträge. Die Arbeitgeber müssen sich nicht an den zusätzlichen Kosten beteiligen, solange der prozentuale Beitragssatz für den Gesundheitsfonds unverändert bleibt. 

Die Konstruktion des Zusatzbeitrages, der nach der so genannten Überforderungsklausel höchstens ein Prozent des Einkommens ausmachen darf, halten Greß und Wasem für korrekturbedürftig. Einem "vergleichsweise bescheidenen Gewinn an Verteilungsgerechtigkeit" steht ein relativ hoher bürokratischer Aufwand gegenüber, schreiben die Autoren. Zudem würden Krankenkassen, die besonders viele Mitglieder mit niedrigen Einkommen haben, durch die Überforderungsklausel benachteiligt. Wenn sie ihre Einnahmesituation verbessern wollen, stoßen sie schneller als andere an die Obergrenze. Greß und Wasem empfehlen: Anders als derzeit vorgesehen sollten Finanzierungslücken, die Krankenkassen durch die Überforderungsklausel entstehen, mit Mitteln aus dem Gesundheitsfonds gestopft werden.

Grundsätzlich stehen den Wissenschaftlern zufolge zwei Wege offen, "das Zusammenspiel von einkommensabhängigem Beitragssatz und Zusatzbeitrag neu zu justieren": Die eine Möglichkeit wäre, den Zusatzbeitrag deutlich zu erhöhen und die Überforderungsklausel zu reformieren. Die andere bestünde darin, den Zusatzbeitrag abzuschaffen und zum alten System der ausschließlich einkommensabhängigen Beitragszahlung zurückzukehren.  

  • So funktioniert die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen – den Risikostrukturausgleich regelt der Gesundheitsfonds. Zur Grafik

Stefan Greß, Jürgen Wasem: Auswirkungen des Gesundheitsfonds und Optionen zur Weiterentwicklung (pdf), Policy Paper für die Hans-Böckler-Stiftung, November 2008

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