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Rolf Schmachtenberg bereitet maßgeblich die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 vor. Der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium erklärt, warum die Arbeitnehmerrechte dabei auf der Agenda stehen werden und was passieren muss, um diese Rechte schon jetzt besser zu sichern. Magazin Mitbestimmung

Interview: "Lohndrücker müssen ihr Geschäftsmodell verlieren"

Ausgabe 02/2019

Rolf Schmachtenberg bereitet maßgeblich die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 vor. Der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium erklärt, warum die Arbeitnehmerrechte dabei auf der Agenda stehen werden und was passieren muss, um diese Rechte schon jetzt besser zu sichern. Das Gespräch führte Ines Gollnick

Rolf Schmachtenberg, in der EU werden die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen teilweise missachtet. Beispielsweise spricht ver.di-Chef Frank Bsirske von zum Teil mafiösen Zuständen bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen, die sich in der Paketzustellbranche etabliert haben. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Wir haben innerhalb der EU enorme ökonomische Unterschiede. Praktisch größer als zwischen den verschiedenen Bundesstaaten der USA. Dieses ökonomische Ungleichgewicht, verbunden mit Arbeitnehmerfreizügigkeit, führt natürlich zu größeren Wanderungen auf dem Arbeitsmarkt. Will heißen: Gut Qualifizierte verlassen die Länder mit relativ niedrigen Löhnen und strömen tendenziell in die Mitte und in die nordwestlichen Mitgliedstaaten. Ihnen folgen dann allerdings auch Arme. Viele von ihnen werden in verschiedensten Formen ausgenutzt, wie aktuell in der Paketbranche. 

Wie wollen Sie den Schutz der Beschäftigten verbessern?

Wir haben bereits Regelungen bei den Arbeitsentgelten. Wir wollen nun bei der Haftung für Sozialversicherungsbeiträge nachlegen. Wir lassen prüfen, inwieweit wir die Erfahrungen der Unternehmen der Bauwirtschaft besser nutzen können. Dies soll mit einer Stärkung des Prüfdienstes der Rentenversicherung kombiniert werden. Bei den Berufsgenossenschaften kann man gut ansetzen, weil sie die Betriebe auch kontrollieren. Alles ergänzt durch Zollprüfungen. Ein paarmal systematisch zuzugreifen kann das Bewusstsein erhöhen, dass in der Branche anständig bezahlt werden muss.

Könnte denn die Generalunternehmerhaftung, die Sie hier ansprechen, das Problem wenigstens zum Teil lösen?

Nicht für sich allein. Sie muss auch durchgesetzt werden. Dafür sind bestimmte Anforderungen an Dokumentationspflichten erforderlich, die bei Betriebsprüfungen erfüllt sein müssen. Wenn die Dokumente nicht vorliegen, ist das bereits eine Ordnungswidrigkeit. Und wenn sie vorliegen, müssen sie mit Kontrollunterlagen abgleichbar sein. Kombiniert wieder mit verstärkten Prüfkapazitäten, sprich mehr Personal. Ich gehe davon aus, dass rigoroses Handeln die Branche zu Veränderungen bringen kann. Und wir dürfen nicht vergessen: Es gibt viele gute Betriebe, die sich an die Regeln halten. Es geht also immer darum, Wettbewerbsverzerrungen abzubauen. Insofern ist das, was wir machen, im Sinne der Wirtschaft. Wir müssen schnell dafür sorgen, dass Lohn- und Sozialdumper ihr Geschäftsmodell verlieren.

Desaströse Zustände gibt es ja nicht nur bei den Paketzustellern, sondern zum Beispiel auch im Baugewerbe, bei den Transportunternehmen oder auch in der Gastronomie. Wo sehen Sie auf EU-Ebene den dringendsten Handlungsbedarf?

Sicherlich bei der Entsendung. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – die Regeln gibt es, aber die Bekämpfung von Missbrauch ist ganz wichtig. Da ist es gut, dass es die Europäische Arbeitsbehörde (ELA) geben wird.

Die ELA wird aber erst noch aufgebaut. Bis dahin müssen Kontrollen von Missständen nach bis­herigen Standards erfolgen. Wie steht es um die europaweite Zusammenarbeit beim Arbeitsschutz, gerade wenn dubiose Geschäftsbetriebe untersucht werden sollen?

Die Kontrolle der Unternehmen soll weiterhin auf nationalstaatlicher Ebene erfolgen. In Deutschland kontrollieren der Zoll, die Betriebsprüfer der Rentenversicherungen oder auch die Prüfer der Krankenversicherungen. Die ELA soll eine bessere Koordination und einen besseren Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen. Erkenntnisse, die in anderen Ländern vorliegen, sollen übermittelt werden. Die amtierende Kommission beginnt noch mit der Errichtung, damit die ELA auch schnell kommt. Ich möchte eines aber betonen: Nicht jeder EU-Ausländer, der hier ist, steht in einem betrügerischen Kontext. Vielmehr sind die betroffenen Arbeitnehmer oft Opfer dieser Systeme des Lohn- und Sozialdumpings. Der Großteil der EU-Zuwanderung ist nicht nur legal, sondern auch noch gut für unseren Arbeitsmarkt.

Was können EU-Arbeitnehmer und -Arbeitnehmerinnen selber tun, um sich vor miserablen Arbeitsbedingungen zu schützen?

Der erste Schritt ist, seine Rechte zu kennen. Wir beobachten, dass die Betroffenen Hilfe brauchen, um diese Rechte durchzusetzen. Dafür haben wir bereits 2011 ein gutes Projekt gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund ins Leben gerufen, das Projekt „Faire Mobilität“ mit insgesamt acht Standorten. Der Bund stellt ab diesem Jahr noch einmal deutlich mehr Mittel bereit. Damit sollen an weiteren Standorten Beratungsstellen finanziert werden. Häufig arbeiten dort EU-Bürger, die schon länger in Deutschland sind. Sie bringen nicht nur ihre Erfahrungen mit, die sie teilen, sondern sprechen die Sprache der Betroffenen. Bei Besuchen von Betrieben oder Baustellen machen diese Mitarbeiter häufig die Erfahrung, dass das Wissen um die Rechte allein nicht reicht. Die Menschen haben Angst, ihre Rechte einzufordern, weil sie Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren. Die Not ist oft sehr groß.

Sie sind maßgeblich in die Vorbereitungen für die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 eingebunden. Wenn es um die Agenda der Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen geht: Welche Rolle kommt Ihrer Ansicht nach Deutschland zu, damit der Beschäftigtenschutz auf EU-Ebene weiter verbessert werden kann?

Ich will zwei Schwerpunkte für die deutsche EU-Präsidentschaft nennen, die sich unmittelbar um die Einkommen der Arbeitnehmer und ihre Rechte drehen. Ein wesentlicher Baustein wird sein, die Europäische Säule sozialer Rechte, die 2017 in Göteborg unterzeichnet wurde, mit Leben zu füllen. Wir wollen daran arbeiten, einen EU-Rahmen zu schaffen, um angemessene Grundsicherungssysteme zu gestalten und faire Mindestlöhne durchzusetzen. Das soll vor allem unteren Einkommensgruppen zugutekommen. Es soll keinen Grund mehr geben, allein wegen des niedrigen Einkommens sein Land verlassen zu müssen. Selbstverständlich müssen Mindestlöhne und Grundsicherungssysteme der jeweiligen wirtschaftlichen Lage der Länder entsprechen, zugleich aber ausreichenden sozialen Schutz bieten. Dazu haben wir unsere Überlegungen konkretisiert. Wir setzen darauf, dass die EU-Kommission den Ball aufnimmt und wir im Idealfall über sie eine entsprechende Initiative während der deutschen Präsidentschaft voranbringen können.

Welche Rolle werden die Arbeitsbedingungen spielen?

Das ist der zweite Punkt. Wir wollen uns auch um faire Wettbewerbsbedingungen und Arbeitsbedingungen im globalen Wirtschaften kümmern, Stichwort globale Lieferketten. Dazu haben wir in Deutschland inzwischen einen nationalen Aktionsplan. Einige andere EU-Mitgliedstaaten haben das auch, aber viele nicht. Auch die EU selbst noch nicht. Wir würden sie gerne dazu bringen. Es geht einerseits – wie bei dem anderen Thema auch – um anständige Arbeitsbedingungen für die Menschen, aber auch um fairen Wettbewerb. Wichtig ist, dass nicht die Unternehmen, die zu fairen Bedingungen arbeiten lassen, vom Markt verschwinden, weil sie mit den Niedrigpreisen der Schmutzkonkurrenz nicht mithalten können. Sie sehen, bei allen Themen, die auf unserer Agenda für die Ratspräsidentschaft 2020 stehen, geht es um gute Arbeit, um gute Löhne, Arbeitnehmerrechte und um das Verhindern von Schmutzkonkurrenz.

Wenn Sie dies alles in Angriff nehmen wollen, ist die Vorbereitung der EU-Ratspräsidentschaft bestimmt ein absoluter Kraftakt?

Ein riesiger Kraftakt! Für das halbe Jahr der deutschen Präsidentschaft heißt das, dass wir in allen entsprechenden EU-Gremien den Vorsitz haben. Darauf muss man sich sehr gut vorbereiten. Man muss nicht nur die Vorschläge anderer lesen, sondern auch eigene, neue Vorschläge entwickeln. Von Vorsitzenden wird auch erwartet, die Verhandlungen zu den dann anstehenden Rechtsakten voranzutreiben. Das heißt auch, mit allen anderen EU-Ländern zu sprechen, ihre Positionen aufzunehmen und über das hinaus, was die Kommission vielleicht selbst erarbeitet hat, nochmals neue Vorschläge einzubringen. Man muss alle 27 Positionen gut kennen und vermittelnd agieren. Deutschland arbeitet mit Slowenien und Portugal für den EU-Ratsvorsitz zusammen und muss auch ein gemeinsames Leitbild formulieren. Das bringt ganz andere Perspektiven hinein. Wir stimmen uns gerade mit den Ländern ab, ob sie diese Schwerpunkte mit uns teilen wollen. 

Empfinden Sie das kraftraubende Managen der EU-Ratspräsidentschaft eigentlich auch als ein Privileg?

Natürlich, und das bedeutet mir sehr viel. Ich bin ein großer Anhänger der Idee der Europäischen Union und der europäischen Einigung. Geboren in Aachen, da, wo eine der ersten „Euregios“ gut funktionierte. Gerade in diesen Grenzregionen waren die Narben und die Erinnerungen an die Konflikte der Vergangenheit immer sichtbar. Dies zu überwinden ist die zentrale Aufgabe in Europa. Die EU ist ganz wichtig als Friedensprojekt und steht für mich für ein ganz spezifisches gesellschaftliches Modell, in Deutschland nennen wir es soziale Marktwirtschaft. Wir versuchen, eine Gesellschaft zu organisieren, in der man relativ effizient wirtschaftet. Dafür steht der Markt. Dies aber solidarisch, mitbestimmt und mit solidarischem Ausgleich. Dafür steht das Soziale. Es ist ein hohes Gut, diese soziale Marktwirtschaft weiterzuentwickeln mit all ihren Möglichkeiten, auch für den Einzelnen, Freiheit zu leben, in relativ hoher Sicherheit, sozialer wie innerer. Wir werden das nicht auf der Basis von einzelnen kleinen Nationalstaaten aufrechterhalten können, sondern nur als eine relativ geschlossene, tatkräftige EU.

  • Rolf Schmachtenberg ist seit März 2018 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Foto: Karsten Schöne)

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