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HBS Böckler Impuls

Konjunktur: Wohlstand wächst wenig

Ausgabe 12/2017

Der Wohlstand in Deutschland hat seit den 1990er-Jahren kaum zugenommen. Das liegt auch an der gestiegenen Ungleichheit. Erst seit kurzem deutet sich eine Trendwende an.

Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten kräftig gewachsen. Doch viele Menschen haben davon wenig gespürt. Das lässt sich ablesen am Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI), dem ein umfassendes Konzept von Wohlstand zugrunde liegt. Während das Bruttoinlands­produkt (BIP) zwischen 1991 und 2015 um knapp 32 Prozent stieg, nahm der NWI im gleichen Zeitraum nur um sechs Prozent zu. Aktuell berechnet wird der Index von Wissenschaftlern um Hans Diefenbacher vom Institut für Interdisziplinäre Forschung (FEST) in Zusammenarbeit mit Roland Zieschank (FU Berlin) im Auftrag des IMK.

Um ein realistischeres Bild der Wohlfahrtsentwicklung zu erhalten, lassen die Forscher insgesamt 20 Komponenten in den NWI einfließen. Zu den wichtigsten zählt der private Konsum, bei dem auch die Einkommensverteilung berücksichtigt wird. Wird die Verteilung ausgeglichener, geht das positiv in den Index ein, steigende Ungleichheit führt zu einem Abzug. Das begründen die Forscher ökonomisch: Wenn Menschen mit geringen Einkommen mehr Geld zufließt, entsteht dort ein höherer „Grenznutzen des Konsums“ als bei Reichen, bei deren Einkommen der gleiche absolute Zuwachs viel weniger ins Gewicht fällt.

Darüber hinaus erfasst der NWI auch die Wertschöpfung durch Hausarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten sowie einen Teil der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit und Bildung als wohlfahrtsstiftend. Von der Bilanz abgezogen werden Aufwendungen zur Beseitigung von Umweltbelastungen, Kosten für nicht erneuerbare Energieträger, Schäden durch Luftverschmutzung, Treibhausgase oder Lärmbelästigung sowie Kosten, die durch Kriminalität und Verkehrsunfälle entstehen. Auf diese Weise haben die Forscher in ihre Berechnung einen Korrekturfaktor eingebaut, der „Schattenseiten“ des Wirtschaftens berücksichtigt.

Besonders schwach hat sich der NWI in der Zeit von 1999 bis 2005 entwickelt, vor allem, weil die Einkommensungleichheit in Jahren hoher Arbeitslosigkeit und stagnierender Löhne anstieg. Von 2005 bis 2013 sank zwar die Zahl der Arbeitslosen, dennoch stagnierte der Wohlfahrtsindex, da der private Konsum in dieser Zeit lediglich moderat wuchs und auch die ökologischen Komponenten die Gesamtentwicklung des Index beeinflussen. In jüngster Zeit legten BIP und Wohlstand erstmals seit anderthalb Jahrzehnten wieder annähernd gleich stark zu: 2014 ließ der Wohlfahrtsindex mit einem Plus von 2,6 Prozent sogar das Wirtschaftswachstum (1,6 Prozent) hinter sich. 2015 nahm der NWI um 1,4 Prozent zu, das BIP um 1,7 Prozent. Nach Analyse der Forscher beruhte dies hauptsächlich auf der Zunahme beim Konsum aufgrund spürbarer Real­lohnzuwächse.

  • Der NWI liegt ein umfassendes Konzept von Wohlstand zugrunde als dem BIP. Zur Grafik
 

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird in diesem Jahr um durchschnittlich 1,5 Prozent wachsen, 2018 um 1,8 Prozent. Von einer Hochkonjunktur oder gar konjunkturellen Überhitzung ist Deutschland dennoch weit entfernt. Das wird an der nach wie vor niedrigen Inflationsrate und an geringeren Lohnzuwächsen deutlich, wie die neue Konjunkturprognose des IMK zeigt.

Der Vorhersage zufolge bleibt die Lage auf dem Arbeitsmarkt positiv: Obwohl das Arbeitskräfteangebot durch Zuwanderung spürbar gewachsen ist, geht die Arbeitslosigkeit kontinuierlich zurück: auf 5,7 Prozent 2017 und 5,5 Prozent 2018. Wermutstropfen sind die mäßige Investitionsdynamik und eine Verschiebung der Wachstumskräfte: Die Konsumentwicklung im Inland büßt an Schwung ein, während der Export wieder deutlich wichtiger wird. Damit wird die deutsche Wirtschaft erneut abhängiger von der zuletzt volatilen weltwirtschaftlichen Nachfrage. „Die wirtschaftliche Balance der letzten Jahre schwindet. Dagegen würden verstärkte öffentliche Investitionen helfen, vor allem in Bildung und Infrastruktur. Der Bedarf ist da – und das Geld auch“, so Gustav Horn, Direktor des IMK.

Quelle:

Peter Hohlfeld u.a.: Inflation trotz Aufschwung zu niedrig. Die konjunkturelle Lage in Deutschland zur Jahresmitte 2017 (pdf), IMK-Report Nr. 127, Juli 2017

Hans Diefenbacher, Benjamin Held, Dorothee Rodenhäuser, Roland Zieschank: Allgemeine Wohlfahrt 2015 gestiegen (pdf), in: IMK Report Nr. 127, Juli 2017
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