Projektbeschreibung
Kontext
Deutschland (DE), Österreich (AT) und die Niederlande (NL) zeichnen sich durch ähnliche institutionelle, wirtschaftliche und soziale Bedingungen aus. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der prozeduralen Regelungen des Mindestlohns - einschließlich der flankierenden Maßnahmen zur Sicherung der Repräsentativität des Tarifsystems. Vor diesem Hintergrund werden Wechselwirkungen zwischen Mindestlohnpolitik und Tarifpolitik auf Branchenebene untersucht, nämlich im Einzelhandel, in der Gebäudereinigung und in der Metallverarbeitung. Dabei wird nach Ähnlichkeiten und Differenzen in Abhängigkeit nationaler Regulierungen einerseits sowie branchenspezifischer Machtressourcen der Akteure andererseits gesucht. Generell ist anzunehmen, dass die Verringerung des Niedriglohnanteils möglich ist, wenn die Tariflöhne sich deutlich vom Mindestlohn absetzen können.
Fragestellung
1. Wie werden Mindestlohnregelungen gestaltet und angepasst? Welche Ziele und Strategien werden von den verschiedenen Akteuren im Zusammenhang mit der Regulierung des Mindestlohns verfolgt?
2. Welche Wechselwirkungen entstehen zwischen Mindestlohn und Tarifpolitik? In welcher Form werden Mindestlöhne bzw. deren Steigerungsrate als Orientierung für Tarifsteigerungen auf Branchenebene genutzt?
3. Welche Konstellationen führen zu einem vergleichsweise hohen Mindestlohn mit breiter Gel¬tungsbasis bzw. zu einem geringen Niedriglohnanteil?
4. Inwiefern verändert sich im Zuge der Mindestlohnpolitik die Governance der Tarifpolitik bzw. die institutionelle Gestaltung des Systems der Arbeitsbeziehungen?
5. Wie ist die ab 2015 geltende gesetzliche Mindestlohnregelung in Deutschland in vergleichender Perspektive zu bewerten? Inwiefern besteht noch Re-Regulierungsbedarf?
Untersuchungsmethoden
Die Untersuchung basiert auf qualitativen Analysemethoden, die lediglich punktuell durch quantitative Analysen ergänzt werden. Die Wahl des Experteninterviews als „Methode“ begründet sich darin, dass ein Untersuchungsziel ist, ob und wie branchenspezifische Entlohnungsstrukturen in Bezug auf den Mindestlohn reflektiert werden. Die Daten werden auf Basis eines Leitfadens in offenen Interviews erhoben, in denen der Experte seine Sicht der Dinge entfaltet. Die Experteninterviews dienen entsprechend sowohl als originäre Quelle der Information (z.B. in Bezug auf die kollektiven Entscheidungen, vorangegangenen Konflikte sowie die Bedingungen des erreichten Kompromisses) als auch als Ergänzung der in Dokumenten- und Literaturanalysen erhobenen Daten. Die Auswertung der Interviews orientiert sich an einem heuristischen Konzept der Inhaltsanalyse. Für die Auswahl der konkreten InterviewpartnerInnen wird in dem geplanten Projekt primär die Positionstechnik angewandt.
Darstellung der Ergebnisse
In Deutschland haben die Gewerkschaften erfolgreich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns durchgesetzt. Obgleich weiterhin auf hohem Niveau, gelang eine Trendumkehr bei der Lohnungleichheit – allerdings mit nur geringer Wirkung auf den Niedriglohnanteil. In Österreich hat die Stabilität der Institutionen die Machtressourcen der Gewerkschaften weitgehend gewahrt. Die Strategie der Regierung, die unteren Löhne zu senken, hat in den Niederlanden eine solidarische Lohnpolitik verhindert.
Die Wechselwirkung von Mindest- und Tariflohn differiert in Abhängigkeit der branchenspezifischen Machtressourcen. In der Gebäudereinigung werden die Tariflöhne mit explizitem Bezug zu Mindestlohn bzw. Tarifen in anderen Branchen formuliert, verbleiben aber im Niedriglohnbereich. In der Metallindustrie ist die Tarifverpolitik weitgehend autonom. Im Einzelhandel variiert die Entwicklung: In den Niederlanden (Supermärkte) werden überwiegend Jugendliche zum Jugendmindestlohn beschäftigt. In Deutschland hat der Mindestlohn wg. der Tarifflucht der Arbeitgeber eine starke Bedeutung. In Österreich gelang im Zuge solidarischer Lohnpolitik die Überwindung des Niedriglohnbereichs.