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Magazin Mitbestimmung

: Zur Sache

Ausgabe 03/2012

Eike Hebecker über die Böckler-Aktion Bildung: „Mit dem Slogan 'Du studierst, wir zahlen' setzen wir bewusst bei der Studienfinanzierung an, um einen positiven Impuls für die Aufnahme eines Studiums zu geben.“

EIKE HEBECKER leitet das Referat Bewerberauswahl in der Studienförderung der Stiftung.

„Es fehlen die Özils vom Amt, die Boatengs auf Streife“, so kommentierte die „Leipziger Volkszeitung“ den Integrationsgipfel Anfang Februar 2012 und folgerte, dass Zuwandererkinder wie im Nationalteam nicht nur integriert, sondern auch Leistungsträger in der Gesellschaft sein sollen, in Behörden, Schulen und Kindergärten. Aber der Verweis auf prominente Prototypen für den Integrationsaufstieg wie die Fernsehmoderatorin Dunja Hayali, den Politiker Cem Özdemir oder den IG-BCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis taugt nur bedingt. Sie sind fraglos wertvolle Vorbilder, aber immer noch die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Treten im Sport die Einflussfaktoren Herkunft und sozialer Status hinter das Leistungsprinzip zurück, so sind sie im Bildungssystem leider nach wie vor integraler Bestandteil der Leistungserbringung und des Erfolgs.

International vergleichende Studien bescheinigen dem deutschen Bildungssystem nicht nur mit besorgniserregender Beharrlichkeit hintere Plätze in puncto sozialer Mobilität, Kinder mit Migrationshintergrund werden sogar mehrfach benachteiligt: Bei gleichem sozialem Status und gleicher Leistung kommen Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte nicht nur seltener auf ein Gymnasium, sie müssen sich ihre guten Noten in der Regel auch durch bessere Leistungen erarbeiten. Die Bildungsübergänge von der Grund- zur weiterführenden Schule, dort in die Sekundarstufe II und dann an die Hochschule sind Schwellen, an denen sich der Flaschenhals zuungunsten von Nichtakademiker- und Zuwandererkindern verengt. Gegenüber anderen europäischen Ländern schafft es Deutschland am wenigsten, herkunftsbedingte Benachteiligung auszugleichen. In der Folge ist ein Hochschulstudium hierzulande nach wie vor eine vergleichsweise exklusive und elitäre Veranstaltung. Auch die erfreulicherweise steigenden Studienanfängerzahlen, mit denen auch immer mehr Studierende an die Hochschulen gelangen, die als Erste in ihrer Familie eine akademische Bildung realisieren, stehen hier noch nicht für eine Trendwende. Die Benachteiligung beim Hochschulzugang setzt sich oft auch im Studium fort. Fremdheitserfahrungen im sozialen Milieu der Hochschule führen zu höheren Abbrecherquoten. Die Hochschulen und ihre Studierenden neuen Typs finden noch nicht richtig zueinander. Deswegen gilt es, an den Hochschulen Bedingungen zu schaffen, unter denen sich unterschiedliche Begabungen entfalten können.

An diesen Punkten hat die Böckler-Aktion Bildung vor fünf Jahren angesetzt und zusätzlich zu den bestehenden Förderwegen für Gewerkschaftsmitglieder, die ebenfalls ausgebaut werden konnten, eine neue Zielgruppe angesprochen: begabt, bedürftig, zugewandert und sozial engagiert. Bisher sind über 2500 Bewerbungen eingegangen – und 691 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus diesem Kreis wurden in die Studienförderung aufgenommen. Über die Hälfte von ihnen haben eine Zuwanderungsgeschichte, mehr als zwei Drittel haben keinen akademischen Hintergrund, und etwa ein Drittel kommt aus Haushalten, die Hartz IV beziehen.

Mit unserem Slogan „Du studierst, wir zahlen“ setzen wir bewusst bei der Studienfinanzierung an, um an der Schwelle des Hochschulzugangs einen positiven Impuls für die Aufnahme eines Studiums zu geben. Dass wir damit richtigliegen, zeigen nicht nur die Bewerberzahlen. In vielen Bewerbungsunterlagen und -gesprächen hebt sich ein Motiv besonders ab: die Angst vor einer unsicheren Finanzierung – verbunden mit der Gefahr, die Familie finanziell zu belasten oder sich selbst zu verschulden. Doch neben der materiellen Absicherung ist auch die ideelle Unterstützung wichtig. Mit dem Projekt „Chancengleichheit in der Begabtenförderung“, das durch zusätzliche öffentliche Mittel gefördert wird, können wir Stipendiatinnen und Stipendiaten mit Zuwanderungsgeschichte und diejenigen, die als Erste in ihrer Familie studieren, mit einem erweiterten Angebot an Tutorien, Coaching, Sprachförderung, Familienarbeit und Karriereberatung unterstützen. Dieser strukturelle Support setzt dort an, wo diese Studierenden neuen Typs sonst alleingelassen werden. In dieselbe Richtung zielen Programme wie die START-Schülerstipendien der Hertie-Stiftung, der „Studienkompass“ der Stiftung der Deutschen Wirtschaft oder die Initiative „Arbeiterkind.de“. Damit die DFB-Auswahl nicht das einzige Team von Leistungsträgern bleibt, in dem der Professorensohn in der Minderheit gegenüber den Zuwanderer- und Arbeiterkindern ist.

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