zurück
Magazin Mitbestimmung

: Wozu Mitbestimmung?

Ausgabe 04/2006

Die Diskussion um die ökonomischen Effekte der Mitbestimmung beschäftigt Politiker und Wissenschaftler gleichermaßen. Doch die Ergebnisse sind indifferent. Zuweilen verstellt die Ökonometrie den Blick auf die Mitbestimmung als soziale, gesetzlich abgesicherte Institution.

Von Matthias Müller
Dr. Müller leitet ein Wirtschaftsreferat in der Hans-Böckler-Stiftung und berät Aufsichtsratsmitglieder in betriebswirtschaftlichen Fragen.


Mitbestimmung trägt positiv zum Unternehmenserfolg bei. Diese auf Erfahrungen in der Praxis beruhende Behauptung fördert seit geraumer Zeit sowohl die politische Diskussion als auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem gesetzlich basierten System der Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensüberwachung. Trägt Mitbestimmung zum Erfolg eines Unternehmens bei? Wirkt sie sich auf die Ertragsituation aus?

Erhöht sie die Motivation der Mitarbeiter, fördert sie ihre Identifikation mit dem Unternehmen? Mindert sie die Kosten für Fluktuation und Fehlzeiten, erhöht sie das Qualitätsbewusstsein, die Innovationsfähigkeit und die Produktivität? Welchen Einfluss hat die deutsche Mitbestimmung auf die Investitionsbereitschaft von Investoren? Solche Fragen wurden von verschiedenen, meist volkswirtschaftlich geprägten Forschern bearbeitet. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind meist indifferent.

Ursache dafür sind zahlreiche methodische Probleme, die die Untersuchung ökonomischer Effekte der Mitbestimmung mit sich bringt. Man kann, damit fängt es an, ein und dasselbe Unternehmen nicht einmal mit und einmal ohne Mitbestimmung untersuchen. Weiterhin lassen sich viele beobachtbare Phänomene, wie erhöhte oder verminderte Fluktuation, verbesserte oder verschlechterte Innovationsfähigkeit oder die Ertragssituation, nicht direkt auf das Vorhandensein einer Mitbestimmungsregelung zurückführen.

Es ist nicht möglich, diese von anderen, zum Teil wohl stärker wirksamen Faktoren wie der Qualität von Managemententscheidungen, der Finanzierungssituation, dem Verhalten der Wettbewerber, der technischen Ausstattung oder der Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an Auftragsschwankungen zu isolieren. Die Informationen, die dazu nötig wären, stehen häufig nicht zur Verfügung - meist lassen sich die Faktoren gar nicht mit den üblichen Forschungsmethoden erfassen.

Es ist deshalb wenig überraschend, dass die meisten ökonometrischen Untersuchungen keine oder nur schwach signifikante Effekte der Unternehmensmitbestimmung zu Tage fördern konnten. Das ändert nichts daran, dass gerade die Gewerkschaften die Bemühungen der Forscher, es dennoch zu versuchen, mit Aufmerksamkeit verfolgten. Sie erhofften sich positive Ergebnisse, valide Erkenntnisse, die nicht nur die ökonomische Vertretbarkeit der Mitbestimmung, sondern vielleicht gar ihre Notwendigkeit im Sinne effizienter Unternehmensführung untermauerten. Mittlerweile ist allerdings Ernüchterung eingekehrt.

Denn selbst positive Ergebnisse ökonomischer Untersuchungen entfalten in der politischen Diskussion kaum Wirkung. Jüngste Studien des Arbeitsökonomen Bernd Frick, die mit erheblich verbesserter Methodik nun belastbare Aussagen zu wirtschaftlich eindeutig positiven Effekten der Mitbestimmung erlauben, erreichen nicht den Öffentlichkeitseffekt einzelner Studien mit Negativaussagen.

Offenbar gibt es einen systematischen, interessen- oder meinungsgebundenen Filter der veröffentlichten Meinung. Eingefleischte Gegner der Mitbestimmung lassen sich eben auch durch Forschungsergebnisse pro Mitbestimmung nicht vom Gegenteil überzeugen - und in der öffentlichen Diskussion ist es kaum möglich, mit den eher sperrigen Ergebnissen ökonometrischer Forschung zu punkten.

Zwar hilft der Hinweis, Mitbestimmung habe gerade keine gravierenden Nachteile für die Unternehmen. Aber es bedarf doch wesentlich stärkerer und besserer Argumente, um die Idee der Mitbestimmung voranzubringen. Hier hilft ein Blick auf die Gegner der Mitbestimmung. Für sie handelt es sich - selbst dann, wenn sie mit ökonomischen Argumenten umgehen - im Wesentlichen um eine Frage der Macht.

Eine Einschränkung der Entscheidungsgewalt der Anteilseigner durch eine Ausdünnung ihrer Eigentumsrechte wollen sie grundsätzlich nicht hinnehmen. Gerade hierin liegt allerdings ein politisch brisantes Moment, das in der derzeitigen Debatte wieder freigelegt werden muss: Mitbestimmung wurde nicht eingeführt, um die Effizienz der Unternehmensführung zu verbessern - selbst wenn dies im Ergebnis der Fall sein kann. Sie ist vielmehr eine soziale Institution.

Soziale Institutionen haben, so beschrieb es der 1945 verstorbene US-Ökonom John Commons, ganz allgemein die Bestimmung, individuelles Handeln durch kollektives Handeln zu kontrollieren. Damit geht es im Kern um Konfliktregulierung. In Deutschland gehen die staatlichen Initiativen zur Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungs- und Kontrollstrukturen historisch auf das Interesse an der Befriedung der Betriebe, der Absicherung staatlicher Autorität und der Sympathiegewinnung bei Arbeitnehmern zurück.

Dies trifft insbesondere auf den Zeitraum der Gründung der Arbeiterausschüsse im Kaiserreich zu. Bei der gesetzlichen Verankerung von Betriebsräten und Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat während der Weimarer Republik spielen außerdem wechselnde Machtkonstellationen in der jungen Demokratie eine Rolle.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gesellte sich ein weiterer gewichtiger Grund hinzu: Der Kapitalismus hatte aufgrund seiner engen Verflechtung mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft an Legitimität eingebüßt. Während viele Industrielle und Manager in den Gefängnissen der Siegermächte saßen oder sich auf der Flucht befanden, organisierten Arbeitnehmer und ihre Vertretungen den Wiederaufbau der Produktion und setzten sich in vielen Bereichen kollektiv gegen Demontagen der Fabrikanlagen zur Wehr.

In diesen Tagen erschien es selbstverständlich, dass Arbeitnehmervertreter an Entscheidungs- und Kontrollprozessen zu beteiligen waren. Diese Selbstverständlichkeit galt vor allem für die Bereiche der Montanindustrie. Dennoch musste 1951 um die gesetzliche Verankerung der paritätischen Mitbestimmung der Montanindustrie zäh gerungen werden. Dies betraf auch die Beteiligung an der Leitung des Unternehmens in der Person des Arbeitsdirektors. Dann sollte es bis 1976 dauern, bis endlich der nächste Schritt in eine - abgemilderte - paritätische Mitbestimmung für weitere Großunternehmen außerhalb des Montanbereichs getan wurde.

Im Zusammenhang mit dem Mitbestimmungsgesetz 1976 traten allerdings die auch heute noch gültigen Argumente für die Mitbestimmung in den Vordergrund. Sie sind überwiegend nicht-ökonomischer Natur. Vielmehr ging es um das Bedürfnis, in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat auch im Unternehmen den Anteilseignern auf gleicher Augenhöhe begegnen zu können, den Anspruch der Arbeitnehmer, eine dem eigenen Beitrag zur Unternehmensleistung entsprechende Rolle im Unternehmen einnehmen zu können.

Es ging um den Wunsch nach Teilhabe an zentralen Unternehmensentscheidungen sowie um den aus der eigenen Risikoposition abgeleiteten Anspruch, an der Leitung des Unternehmens mitwirken zu können, um seinen Bestand und damit auch die Arbeitsplätze zu sichern und zur Weiterentwicklung beizutragen.

Bereits aus der Sozialbindung des Eigentums, die in Art. 14 GG kodifiziert ist, ergibt sich, dass die Ziele von Unternehmen nicht lediglich auf die Wünsche der Anteilseigner ausgerichtet sein dürfen. Dennoch ist die Meinung weit verbreitet, nach der der Ausrichtung an den Wertsteigerungsbedürfnissen der Eigentümer absolute Vorfahrt einzuräumen sei.

Gerade dies und die darauf basierenden Fehlentwicklungen und Unternehmensskandale - Enron und Worldcom in den USA, Parmalat in Italien, Ahold in den Niederlanden, Flowtex und Comroad in Deutschland - hier ging es unter anderem um Bilanzmanipulationen - zeigen die Notwendigkeit, dem ungehemmten Treiben von Managern und Anteilseignern einen Korrekturfaktor entgegenzustellen. Mitbestimmung ist zwar kein Allheilmittel und kann auch nicht jegliches Fehlverhalten verhindern, sie stellt aber eine unabhängige Kontrollinstanz zur Verfügung und bildet ein Gegengewicht zu Manager- und Anteilseignerinteressen.

Es kann nicht unwidersprochenes Oberziel eines Unternehmens sein, mit welchen Mitteln auch immer eine maximale Eigenkapitalrendite einzufahren. Das Motiv der Kapitalgeber ist immer eine - gleich nach welcher Definition - "angemessene" Rendite für ihr Investment. Welche Rendite und welche Mittel aber angemessen sind, das darf in einer freiheitlich und sozial verfassten Gesellschaft nicht ausschließlich von einer Interessengruppe definiert werden. Es ist auch heute noch - oder wieder - eine Frage der Legitimität von Unternehmensentscheidungen, ob diejenigen, die die Wertsteigerung produzieren, über die Angemessenheit der Unternehmensziele und über die Bedingungen ihrer Realisierung mitentscheiden können.

Dazu ist es erforderlich, alle Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Rolle als von der Unternehmensleitung unabhängige Akteure eines Überwachungs- und Beratungsorgans zu stärken. Das Einbringen der unterschiedlichen Interessen in den Aufsichtsrat ohne eine festgelegte Priorität für eine Seite sollte weiterhin die Leitlinie für Corporate Governance, also gute Unternehmensführung in Deutschland sein.

In diesem Zusammenhang sollte ein ökonomisches Argument hilfsweise einfließen, das auch die durch den in Berkeley lehrenden Wirtschaftswissenschaftler Oliver Williamson geprägte moderne Transaktionskostenökonomik anerkennt: Es ist durchaus im Interesse des Unternehmens und letztlich auch der Anteilseigner, Menschen, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen eine strategische Bedeutung für das Unternehmen haben, in die Unternehmensüberwachung einzubeziehen, um ihre Sichtweisen und Informationen in die Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen und ihre Motivation und Loyalität abzusichern. Dabei kann die Form aber nicht beliebig sein; die deutsche Tradition macht Parität und Gleichstellung unverzichtbar.

Mitbestimmungsstrukturen sind immer historisch bedingt und kulturell spezifisch - überall dort in Europa, wo es Mitbestimmungsmodelle gibt, sind sie im Kontext der jeweiligen Gesellschaft zu sehen. Im Sinne verbesserter Legitimität der Mitbestimmung ist es jedoch unbedingt erforderlich, den Kreis derjenigen, die in dieses System einbezogen sind, über Deutschland hinaus zu erweitern. Auch Arbeitnehmer an ausländischen Standorten haben ein legitimes Interesse an Beteiligung.

Damit die Funktion des Aufsichtsrates weiter gestärkt werden kann, müssen noch weitere veraltete Einschränkungen, die eine effiziente Arbeit behindern, abgeschafft werden. So sollten Fragen der inneren Ordnung des Aufsichtsrats nicht weiterhin von der Anteilseignerbank majorisiert werden können. Die in der Praxis inzwischen üblicherweise unproblematische und konstruktive Zusammenarbeit im Aufsichtsrat sollte durch entsprechende Entrümpelung und durch Aufhebung unnötiger Einschränkungen gesetzlich flankiert werden. Dazu gehört auch ein gesetzliches Weiterbildungsgebot für alle Aufsichtsräte, gleich welcher Seite.

Denn in der heutigen Zeit erfordert eine effektive Aufsichtsratsarbeit eine bessere Qualifikation, als viele bieten können. Hilfreich wäre ein entsprechender kodifizierter Anspruch auf Freistellung und Kostenübernahme für Weiterbildung der Aufsichtsratsmitglieder durch das Unternehmen.

Die soziale, politische und ökonomische Zielsetzung der Mitbestimmung und der Arbeit von Aufsichtsräten lässt sich nur durch eine klare gesetzliche Regelung erreichen. Teilhabe und gemeinsame Überwachung über die Unternehmensgeschehnisse sind nur auf der Basis eines allgemeinen Gesetzes denkbar. Selbst wenn ökonomische Vorteile der Mitbestimmung nachweisbar sind - es handelt sich hierbei um eine Machtfrage, die kaum ein Manager oder Anteilseigner freiwillig ohne Weiteres gegen sein Eigeninteresse an einem uneingeschränkten Einfluss lösen würde.

Dies betrifft im Übrigen auch andere Fragen der Corporate Governance: Zwar ist es durchaus hilfreich, einen ergänzenden Kodex für gute Corporate Governance zu haben, im Zweifel benötigt man jedoch ein Gesetz, das Wohlverhalten auch mit wirksamen Sanktionen verknüpft.

Sicherlich wird es Vorteile am Kapitalmarkt geben, wenn ein Unternehmen einen guten Ruf in Fragen der Unternehmensleitung und -überwachung genießt. Es mag auch durchaus funktionieren, dass der Kapitalmarkt Unternehmen für Versagen auf diesem Gebiet bestraft. Allerdings setzt dies einen problemlosen Informationsfluss und einen perfekten Kapitalmarkt voraus. Darauf allein kann sich der Gesetzgeber nicht verlassen - und die Arbeitnehmer auch nicht.

Sie haben nichts davon, wenn das Unternehmen vom Kapitalmarkt bestraft wird. Im Gegenteil: Dies gefährdet das Unternehmen und die Arbeitsplätze zusätzlich. Gesetzliche Regeln, wirksame Überwachungsinstitutionen und Sanktionen sind erforderlich. Eine Institution, die zu einer guten Corporate Governance und zur Erfüllung der Erwartungen der Arbeitnehmer beiträgt, ist die gesetzlich garantierte Mitbestimmung. Ihre Legitimität ist unanfechtbar, ihr Bestand gegen Machtinteressen der Kapitalseite aber nur durch staatliche Garantien zu sichern. Daher kann in Abwandlung eines alten Leitspruchs formuliert werden: Keine Mitbestimmung ohne Gesetz.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen