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Magazin Mitbestimmung

Von STEFAN RüB: Wo ist die europäische Gewerkschaftsbewegung?

Ausgabe 09/2016

Rezension Die Handlungsbedingungen der Gewerkschaften in Europa haben sich dramatisch verändert. Können sie es sich leisten, in einem vereinten Europa weiterhin weitgehend national zu handeln?

Von STEFAN RüB

In den skandinavischen Ländern, in Deutschland und in Österreich sind die Gewerkschaften einigermaßen unbeschadet durch die Krise gekommen. Ganz anders sieht es bei südeuropäischen und den meisten mittel- und osteuropäischen Länder aus. Hier sind nicht allein die ökonomischen Folgen der Krise härter und andauernder, sondern zugleich haben die Regierungen gemäß den Empfehlungen der EU-Kommission bzw. auf Druck der Troika die gewerkschaftliche Handlungs- und Tarifmacht durch gesetzliche Maßnahmen nachhaltig geschwächt.

Die Schwächung der Gewerkschaften und die massive Verschlechterung der Beschäftigungsbedingungen sind Folge eines europäischen und politischen Krisenüberwindungsprogramms, das auf die Herstellung nationaler Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der Arbeitskosten und auf staatliche Sparpolitik ausgerichtet ist und von der deutschen Regierung an vorderster Front mit durchgesetzt wurde.

Im Zentrum des Sammelbandes stehen Länderstudien, die das dramatische Ausmaß dieser Politik des Rollbacks der europäischen Gewerkschaftsbewegung ebenso faktenreich wie plastisch vor Augen führen. Dies gilt in Saldo auch dann, wenn man die leichten Geländegewinne, wie sie beispielsweise den deutschen Gewerkschaften konstatiert werden, in Rechnung stellt.

Die Länderstudien zu Italien, Spanien, Frankreich, Polen und Litauen zeigen, dass insbesondere zwei gesetzliche Maßnahmen im Vordergrund stehen: Zum einen wurden die Flächentarifverträge durch Öffnungen für betriebliche Verhandlungen aufgeweicht, zum anderen wurde das Sicherungsniveau der Arbeitsplätze durch gelockerten Kündigungsschutz und vermehrte ungesicherte Beschäftigung abgesenkt. Auch kennt die Absenkung der Arbeitskosten im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit keine existenzsichernde Mindestschranke. Der Beitrag zu Spanien zeigt zudem, dass auch ein kraftvoller nationaler gewerkschaftlicher Widerstand machtlos ist, wenn die Regierung gewillt ist, die „erforderlichen Strukturreformen“ durchzuführen.

Können Gewerkschaften es sich weiterhin leisten, in einem vereinten Europa weitgehend national zu handeln? Diese Frage stellt sich angesichts der dargestellten Krisenauswirkungen dringender denn je. Tenor des Buches ist ein klares Nein. Denn zum einen zeigt sich, dass sich die Angriffe auf die Gewerkschaften in den Krisenländer durch ausschließlich nationale Gegenwehr schwerlich verhindern lassen. Zum anderen weist der Politikwissenschaftler und Mitherausgeber Klaus Busch im Nachwort zurecht darauf hin, dass in einem gemeinsamen Währungsgebiet scharfe Austeritätsmaßnahmen, Eingriffe in die Tarifvertragssysteme und starke Reallohneinbußen nie auf die zunächst betroffenen Staaten beschränkt bleiben, sondern schon auf mittlere Sicht ausstrahlen und über den Wettbewerbsmechanismus zu einer negativen Ansteckung führen. Er wirbt deshalb für eine „europäische Gewerkschaftsbewegung, die kampagnen- und mobilisierungsfähig ist, die letztlich in der Lage ist, den Kampf gegen die Austeritätspolitik und gegen die Angriffe auf die Gewerkschaften europaweit zu organisieren und zu führen“.

Foto: Karsten Schöne

WEITERE INFORMATIONEN

Frank Bsirske/Klaus Busch/Olivier Höbel/Rainer Knerler/Dieter Scholz (Hrsg.): Gewerkschaften in der Eurokrise. Nationaler Anpassungsdruck und europäische Strategien. Hamburg, VSA: Verlag 2016. 240 Seiten, 19,80 Euro

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