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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Wirtschaft braucht Beteiligung

Ausgabe 06/2015

„Wichtig ist, dass Beschäftigte stärker ihre Themen setzen und einbringen und dass die repräsentativen Gremien sie dazu ermutigen“, sagt Wolfgang Schroeder über eine neue Mitbestimmungsdynamik

Das neue Organisationsmodell der Arbeit ist egalitärer und eigenverantwortlicher. Statt einer standardisierten Arbeitsteilung müssen Mitarbeiter mit komplexen, flexiblen und unvorhersehbaren Entscheidungssituationen verantwortlich, kooperativ und souverän umgehen – auch ohne Anweisung von oben. Deshalb fördern viele Unternehmen Beteiligungsmodelle, die den Beschäftigten mehr Autonomie hinsichtlich des Arbeitsablaufes und der Arbeitsgestaltung einräumen. Das sollte weiterentwickelt werden, wenn dadurch keine  überfordernden, sondern attraktivere Arbeitsbedingungen entstehen. Zugleich geht es aber auch darum, dass Beteiligung ein Wert ist, der allen zugute kommt und nicht nur einigen und diesen wenigen auch nur, weil es gerade opportun ist. 

Die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen haben sich bisher nur unzureichend in den Arenen der Mitbestimmung und Beteiligung niedergeschlagen. Gewürdigt wird das deutsche Modell der Mitbestimmung allgemein, wenn es um die Lösung großer Krisen geht wie zuletzt 2008/2009. Dagegen ist die Bereitschaft, bessere Beteiligungs- und Mitbestimmungsmodelle für die Beschäftigten zu ermöglichen, aufseiten der Arbeitgeber gar nicht vorhanden und aufseiten der Regierung nur schwach ausgeprägt.

Ein Gebot der Stunde ist es, individuelle Beteiligung und kollektive Mitbestimmung neu miteinander zu verzahnen – im Sinne ihrer wechselseitigen Ergänzung. Es wird die deutschen Gewerkschaften stärker machen, wenn eine neue Symbiose von kollektiver Mitbestimmung und individueller Beteiligung gelingt, wenn sie ihre bewährten Strukturen der repräsentativen Demokratie durch Elemente­ direkter Beteiligung ergänzen. 

Die treibende Kraft für eine neue Mitbestimmungskultur ist der verstärkte Flexibilisierungsbedarf von Unternehmen und Beschäftigten. Während die Unternehmen die betrieblichen Flexibilitätsanforderungen längst praktizieren, ist es an der Zeit, dass auch die Beschäftigten mehr Flexibilität und Zeitautonomie für sich erhalten, um ihre Work-Life-Integration zu verbessern. Oder beim Datenschutz, wo neben den kollektiven Schutzregeln auch die individuellen Rechte – wie bei den Whistleblowern – gestärkt werden müssten. Auch fordert eine dezentralisierte Tarifpolitik geradezu die Beteiligung der Mitglieder wie auch der Belegschaften heraus. 

Es braucht mehr kollektive Mitbestimmung und mehr individuelle Beteiligung. Dazu gehört natürlich auch, dass schon existierende Möglichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes besser genutzt werden. Also sollten auch Beschäftigte durch die Betriebsräte direkter beteiligt werden (etwa §§ 3 und 87 BetrVG). Wichtig ist dabei, dass Mitglieder und Beschäftigte stärker ihre Themen setzen, ihre Anliegen einbringen und dass die repräsentativen Gremien sie dazu ermutigen. Wobei die gewerkschaftliche Vertrauensleutearbeit dafür Brücken bauen könnte. In dieser Perspektive bestünde für die Vertrauensleute auch eine neue Chance, ihren eigenen Stellenwert in der innerbetrieblichen Akteursordnung stark zu verbessern.

Gewerkschaften, die sich als Beteiligungsgewerkschaften verstehen, vernetzen und aktivieren die Beschäftigten auf allen Ebenen. Zentrale Voraussetzung dafür ist es, die Interessen der Mitglieder zu kennen, etwa durch Beschäftigtenbefragungen. In diesem Sinne werden Gewerkschaften durch direkte Ansprache und Moderation von Anliegen attraktiver. 

Die Gewerkschaften gehen vom Leitbild der Demokratie in der Wirtschaft aus. Daher ist das gewerkschaftliche Konzept, das individuelle und kollektive Machtebenen neu verschränken will, nicht nur als Agenda für die Weiterentwicklung einer humanen und partizipativen Wirtschaftswelt zu verstehen. Es ist auch ein Beitrag zur Zukunft unserer Demokratie. Denn in dem Maße, wie der Status des Arbeitnehmers immer mehr Menschen erfasst, ist die Entwicklung in der Arbeitswelt immer wichtiger für die Akzeptanz unserer gesamten Demokratie.

MEHR INFORMATIONEN

Am 7. Juli veranstaltet die IG Metall gemeinsam mit der FES unter dem Titel „INDIVIDUELLE BETEILIGUNG UND KOLLEKTIVE MITBESTIMMUNG – ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE?“ eine Tagung in Berlin. Mehr Infos über lisa-marie.schmidt@fes.de

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