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Magazin Mitbestimmung

: Wettbewerb um die besten Köpfe

Ausgabe 10+11/2007

HOCHSCHULPOLITIK Die kritische Hochschulcommunity ringt bei einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung um eine Haltung zu den Phänomenen Internationalisierung und Wettbewerb.

Von CHRISTIAN FÜLLER. Der Autor ist Politikredakteur der tageszeitung in Berlin.

Damit haben sie nicht gerechnet. Die deutschen Wissenschaftler stehen ratlos in der großen Halle in Saigon, Vietnam. Um sie herum kreischen und schreien 17- bis 20-jährige Vietnamesen, als wären sie auf einem Popkonzert. Wenn vorn auf dem Podium der Name Boris Becker fällt, drohen einige der Mädchen in Ohnmacht zu fallen. Besonders beliebt auch Franz Beckenbauer, Michael Schumacher - und Albert Einstein.

Deutschland ist Kult unter den jungen Vietnamesen. Die sind nicht wegen der Musik gekommen, sondern weil sie im Land ihrer Träume studieren wollen, in Deutschland. Eingeladen von Gate, der Marketingtochter des Akademischen Austauschdienstes. Vietnamesen sind als Gaststudenten beliebt. Deutschland will ein internationaler Bildungsanbieter werden.

Studenten aus aller Welt_ 9200 Kilometer westwärts löst das keinerlei Begeisterung aus. Wir sind auf einer Bildungskonferenz in Berlin. Man dürfe sich nicht von zahlungskräftigen Gaststudenten abhängig machen, erklärt dort eine Frau empört. Die Bildungskonferenz ist die der Hans-Böckler-Stiftung. "Hochschulen im Wettbewerb - wer gewinnt, wer verliert" heißt sie. Nicht nur die zitierte Frau, Vertrauensdozentin einer Hochschule, wird richtig unruhig, als sie hört, wie weit die akademische Internationalisierung schon fortgeschritten ist.

Deutschland ist ein universitärer Global Player. In der internationalen Beliebtheit sind die Unis hierzulande auf Platz drei der Weltrangliste vorgerückt. Nach den USA, die ein Viertel aller Auslandsstudenten anziehen, und Großbritannien nimmt Deutschland fast 200000 Studierende aus aller Welt auf. Und das Ende ist noch nicht absehbar. "Das Interesse an internationaler Hochschulbildung nimmt zu", berichtet Ute Lanzendorf. Die Expertin vom Zentrum für internationale Hochschulforschung erwartet bis zum Jahr 2025 um die 7,5 Millionen über den Planeten vagabundierende junge Leute auf der Suche nach Studienplätzen. Heute sind es 2,5 Millionen. Schon da schlucken nicht wenige der Böckler-Gäste. Aber es kommt noch bunter.

Studiengebühren zum Beispiel. Die hoch mobilen Studierenden aus Asien - sie machen über die Hälfte der weltweiten Studiennachfrage aus - zahlen bereitwillig für Studienprogramme im Ausland. 14.000 Euro kostet zum Beispiel der Studiengang "Global Production Engineering" an der TU Berlin. "Absolut kein Problem, das wird locker nachgefragt", sagt Johann Köppel, Vizepräsident für internationale Beziehungen der TU. "Es hat mich auch gewundert, aber das wird bezahlt."

deutsche Studienplätze offshore_ Und es gibt noch ein anderes Beispiel, das die Teilnehmer des Workshops nachdenklich macht: Die Angebotsformen des internationalen Studiums sind vielfältiger, als man denkt. Sprich: Wandert der Student nicht zum Studienplatz, dann kommt der Studienplatz eben zum Studenten. 7000 Studienplätze werden inzwischen aus Deutschland offshore angeboten. Deutsche Unis gründen Filialen im Ausland, oft großzügig bezuschusst durch das Gastgeberland, und verleihen Studenten deutsche Examen direkt vor der Haustür. Etwa an der "German University in Cairo" oder der "TU Dresden Vietnam ERC" in Hanoi. Examen made out of Germany.

Man merkt den Gästen der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin an, dass sie um einen kritischen Begriff ringen. Gerd Köhler, ehemals hochschulpolitischer Sprecher im Hauptvorstand der GEW, meint zur florierenden internationalen Studentenbörse, dass "Bildung zur Ware" zu werden drohe. Ein Vertreter des freien Zusammenschlusses der Studierendenschaften (fzs) verlangt mit Blick auf Offshore-Studienplätze in Vietnam: "Wenn schon, dann bitte mit denselben demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten wie zu Hause."

Diese nachdenklichen Anmerkungen finden viel Beifall. Aber auch Widerspruch. TU-Vize Köppel, der auf Hochschulmessen rund um den Globus unterwegs ist, sagt: "Wir sehen einen scharfen Wettbewerb um die besten Graduate-Studenten weltweit. Da muss man mitmachen", sagt Köppel, "und überzeugen - damit die guten Leute nicht alle in die USA gehen."

Exzellenz-Unis werden beäugt_ Wie aber wirken sich Internationalisierung und die Wettbewerbsorientierung in Deutschland selbst aus? Das Bindeglied zwischen draußen und drinnen ist bei den Unis die so genannte Exzellenzinitiative, sprich der Wettbewerb um Elite-Unis. Die Akquisiteure deutscher Hochschulen berichten, dass die Ausschreibung des Zwei-Milliarden-Programms weltweit aufmerksam verfolgt werde. Gerade in China zählten derzeit nur noch die beiden Universitäten in München sowie die Universität Karlsruhe - die bisherigen Profiteure der Exzellenz-Initiative.

Was allerdings internationale Sichtbarkeit erzeugt, das hat im Landesinnern durchaus widersprüchliche Wirkungen. Die Elite-Milliarden für die Klasse drohen Finanzmittel für die Masse zu absorbieren. Hans-Heinrich Steinheimer, Hochschulexperte der Gewerkschaft ver.di, trägt bei der Böckler-Tagung diese Sorge vor: Der Bund gibt den Löwenanteil der Elitespritze - und verlangt von den Ländern einen gesicherten Beitrag dazu in Höhe eines Viertels. "Diese Kofinanzierung könnte in manchen Ländern erwirtschaftet werden aus den Unis und Fachbereichen, die nicht zur Elite gerechnet werden."

Der Elitewettbewerb richtet die Scheinwerfer aber nicht nur auf die Exzellenzhochschulen, er wirft zugleich einen langen Schatten auf die föderale Organisation des Hochschulsystems. Da herrscht absolute Einigkeit. Die armen Länder sind beim nationalen Wettbewerb die Verlierer. Sie seien "nicht in der Lage, das zu leisten, was nötig ist für die Hochschulen", sagt Gesine Schwan, Hauptrednerin des zweiten Tages im Harnack-Haus.

"Es ist absolut notwendig, dass der Bund auch für die Lehre Geld gibt", fordert die Präsidentin der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Und die Wissenschaftsministerin Sachsens, Eva-Maria Stange (SPD), sagt, man stehe erst am Anfang einer scharfen Phase des Wettbewerbs. Wenn erst jedes Land eigene Besoldungsregeln aufstellen könne, "dann kriegen wir einen Wettbewerb um die besten Köpfe, der sich gewaschen hat." Es werde zur Marginalisierung bestimmter Regionen und universitärer Standorte kommen.

Differenzen zu Studiengebühren_ So einig sich die Experten bei der Exzellenz-Initiative sind, so weit gehen ihre Meinungen zu Hochschulpakt und Studiengebühren auseinander. Studiengebühren, so meint der reisende Gutachter Detlef Müller-Böling vom Centrum für Hochschulentwicklung, seien ein unverzichtbares Mittel, um in die Breite zu investieren. Die TU München etwa erziele aus Studiengebühren ein Plus von 34 Millionen Euro jährlich, aus der Exzellenzförderung aber nur 27 Millionen Euro. Auch der Kanzler der Justus-Liebig-Uni Gießen, Michael Breitbach, "will die Breitenförderung endlich wieder reparieren" - und weist darauf hin, dass Studiengebühren dafür ein wichtiges Instrument seien.

Andere, gerade die zahlreichen Studierenden bei der Tagung, verweisen auf die abschreckende Wirkung der Studiengebühren. "Schulden - auch wenn sie eine Investition in eine berufliche Zukunft sind - schrecken junge Menschen aus sozial schwachen Familien häufiger ab als Familien aus anderen sozialen Schichten", sagt Wolf Jürgen Röder, Bildungsexperte der IG Metall. Ein Gerechtigkeitsproblem und mehr in einem Land, das für die viel beschworene "wissensbasierte Ökonomie" deutlich mehr Akademikerinnen und Akademiker brauche als heute.

Auch der Hochschulpakt ist ein spezieller Fall. Er wird in den nächsten fünf Jahren 1,13 Milliarden Euro an die Hochschulen pumpen, je zur Hälfte bezahlt von Bund und Ländern. "Was der Bund gemacht hat, ist außergewöhnlich", lobt Müller-Böling den Grundansatz des Paktes - und fügt hinzu: "Aber die Volumina reichen bei weitem nicht aus."

Der Hochschulpakt ist so etwas wie der Lackmustest - an ihm ist erkennbar, wie zögerlich und geizig die deutsche Hochschulpolitik in Wahrheit ist. Zur Erinnerung: Mitten in der Föderalismusreform, die dem Bund sämtliche Zuständigkeiten rauben sollte, war den Ländern aufgefallen, dass ein Studierendenhoch auf sie zukommt. Bis zu 2,7 Millionen Studierende (statt bislang 2 Millionen) erwartet die Kultusministerkonferenz im Jahr 2014, unter anderem wegen der doppelten Abiturjahrgänge, die dann die Gymnasien verlassen werden. Müller-Böling hat ausgerechnet, dass die Bewältigung dieses erfreulichen Studienandrangs bis zum Jahr 2020 rund 15 Milliarden Euro kosten würde.

 Im Vergleich dazu sind die bislang bereitgestellten 1,13 Milliarden allerdings Peanuts. Und der gerade ausgehandelte Pakt heißt zwar "Hochschulpakt 2020", reicht aber zunächst nur bis zum Jahr 2010 - also bis kurz vor den eigentlichen Gipfel des Studentenbergs.

Und so setzen sich bei der Böckler-Tagung die einzelnen Puzzlesteine zu einem Bild zusammen: Der Elitezuschuss für eine Handvoll Unis ist doppelt so groß wie der Hochschulpakt für die ganze Republik. Die Studierenden müssen für die Verbesserung ihrer Studienbedingungen selbst bezahlen. Und der Zuwachs an Studierenden ist nur zu einem Bruchteil finanziert.

Uwe Wesel, der große alte Mann der kritischen Juristerei, zieht auf dem Böckler-Podium eine durch und durch skeptische Bilanz. "Wir wursteln da mit einzelnen Dingen herum", sagt er, "weil wir keine Idee mehr von Universität haben."

 

 

 

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