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Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmung: Wege in die Rente

Ausgabe 01+02/2014

Betriebs- und Personalräte leisten viel, um den Übergang in den Ruhestand möglichst fair zu gestalten und bessere Regeln auszuhandeln, als es die Gesetzeslage vorsieht. Doch nicht überall gibt es schon gute Lösungen. Ein Blick in fünf Unternehmen. Von Guntram Doelfs

DEUTSCHE POST: ECHTE ALTERSTEILZEIT AB 59 JAHREN Für Mitarbeiter der Deutschen Post AG ist der Boom des Onlinehandels Fluch und Segen zugleich geworden. Zwar schafft er neue Jobs, doch gleichzeitig nimmt die Arbeitsbelastung durch Zeitdruck und immer größere Paketberge rasant zu. So mancher Beschäftigte erreicht nicht mehr gesund das reguläre Rentenalter und ist weit vor 65 ein Fall für den Ruhestand. Als im Jahr 2009 die staatliche Förderung für die Altersteilzeit gestrichen und anschließend das Renteneintrittsalter angehoben wurde, bedeutete das für die bis dahin praktizierte Alterszeit bei der Post eigentlich das Aus.

„Damals haben wir gesagt, wir machen entweder keine Altersteilzeit mehr – oder wir müssen dringend ein neues Modell finden“, sagt Stephan Teuscher, der bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Tarifpolitik gegenüber der Post verantwortet. Die Gewerkschaft suchte nach einer Lösung – idealerweise eine Kombination aus Altersteilzeit und Zeitwertkonto –, die das Unternehmen mittragen konnte, aber die nicht allein von den Arbeitnehmern finanziert würde. Letzteres war wichtig, denn Arbeitgeber setzen in vielen Branchen auf Langzeitkonten, in die ausschließlich oder überwiegend die Beschäftigten einzahlen. Das sehen die Gewerkschaften gar nicht gern.

„Auch bei uns gab es Kritiker“, erzählt Teuscher. „Sie prophezeiten, nur Mitarbeiter mit höheren Einkommen könnten sich Einzahlungen auf Zeitwertkonten leisten.“ Es musste also eine clevere Lösung her, die auch für niedrige Einkommensgruppen bezahlbar und gleichzeitig attraktiv war. Auch auf Generationengerechtigkeit musste geachtet werden: Eine kluge Altersteilzeitlösung durfte nicht nur älteren Mitarbeitern einen früheren – und gesünderen – Übergang in die Rente ermöglichen, sondern müsste auch für Neueinstellungen genutzt werden, um die Belegschaft zu verjüngen. Heraus kam schließlich die Idee eines Generationenvertrages, der sich nach langwierigen Verhandlungen im Oktober 2011 auch das Management anschloss.

Aber wie genau sollte der Übergang in die Rente aussehen? Traditionell dominiert in der deutschen Wirtschaft das Blockmodell, bei dem die Teilzeitarbeit von 50 Prozent über sechs Jahre nur auf dem Papier stattfindet. Tatsächlich spart der Beschäftigte in den ersten drei Jahren durch Vollzeitarbeit so viel Zeit an, dass er die restlichen drei Jahre bei Weiterzahlung der Bezüge komplett freigestellt wird. Beide Seiten, Arbeitgeber und Beschäftigte, bevorzugen dieses Modell. Für Unternehmen ist es leichter planbar, für Mitarbeiter bietet es die Perspektive auf einen schnelleren Ausstieg. Doch personalpolitisch und gesundheitlich sinnvoller – da sind sich die meisten Experten einig, wäre ein gleitender Übergang. Bei der Post ist das Blockmodell aus diesen Gründen ausgeschlossen.

Der Beschäftigte geht ab 59 Jahren für eine Dauer von maximal sechs Jahren mit Beginn der Altersteilzeit sofort auf 50 Prozent Arbeitszeit. Um diese bei Beschäftigten eher wenig geliebte Form des Rentenübergangs attraktiver zu machen, wird das Entgelt aus einem Demografiefonds aufgestockt. In den Fonds zahlte das Unternehmen zunächst 20 Millionen Euro ein. Seit 2013 wird zusätzlich jährlich ein festgelegter Betrag für jeden Vollzeitbeschäftigten, derzeit 200 Euro, von der Post in den Fonds eingespeist. Dieser Betrag wurde 2012 einmalig mit einem Abschlag von 0,5 Prozent bei der Tariferhöhung finanziert. Mit den Fondsgeldern wird das Entgelt während der Altersteilzeit von 79 Prozent weiter erhöht, einkommensabhängig gestaffelt auf bis zu 87 Prozent des Nettoentgeltes.

Zusätzlich hat die Post für ihre Mitarbeiter Zeitwertkonten eingerichtet, die in Geld geführt werden. Diese stehen auch jungen Mitarbeitern offen, denn je länger gespart wird, desto respektabler ist das Ergebnis. Die Guthaben können am Ende eines Arbeitslebens dazu genutzt werden, die Phase der Altersteilzeit abzukürzen und früher freigestellt zu werden. Wann und wie viel die Mitarbeiter hier einzahlen, bleibt ihnen weitgehend selbst überlassen. Verboten ist es aber, zusätzliche Mehrarbeit und Urlaubstage auf das Konto umzuleiten. „Damit wird verhindert, dass mehr gearbeitet wird, um Zeit anzusparen, denn dann könnten keine neuen Leute eingestellt werden“, begründet Teuscher solche Restriktionen.

Das Guthaben auf dem Zeitwertkonto wird bei der Post mit derzeit 3,2 Prozent jährlich verzinst. Zusätzlich beteiligt sich das Unternehmen pro Monat Ansparung mit einem „Arbeitsverkürzungstag“ und leistet während der Altersteilzeit Sonderzahlungen weiter. Weil die Post-Mitarbeiter während der Altersteilzeit ohnehin nur noch 50 Prozent arbeiten, reicht im Durchschnitt ein Geldbetrag auf dem Zeitwertkonto, der etwa 1000 Arbeitsstunden entspricht, um ein Jahr früher nach Hause gehen zu können. Dieses Modell führt im Schnitt zu einer 65-prozentigen Freistellung in der Altersteilzeit. Gleichzeitig stockt der Arbeitgeber die Rentenbeiträge in der Altersteilzeit auf 90 Prozent der Beiträge vor der Altersteilzeit auf. „Das Ziel ist der Renteneintritt zum Regelrenteneintrittsalter, auch werden Rentenabschläge ausgeschlossen, und die Rentenverluste durch Altersteilzeit sind geringer“, schildert Teuscher.

Inzwischen nutzen rund 18 000 der 130 000 nicht verbeamteten Mitarbeiter der Post dieses Modell – überwiegend in den unteren und mittleren Einkommensgruppen. Rund 180 Euro zahlen sie dafür im Schnitt monatlich auf ihr Zeitwertkonto ein. Das ist viel Geld, aber der Arbeitgeber beteiligt sich durch Aufstockung des Entgelts in der Altersteilzeit und die Förderung der Freistellung aus Zeitwertkonten. Herausgekommen ist dabei ein „Modell, das den demografischen Wandel gestaltet und von dem beide Seiten erheblich profitieren“, urteilt ver.di-Tarifexperte Teuscher. Das sehen auch andere so: Für sein Altersteilzeitmodell heimste der Mutterkonzern Deutsche Post DHL im vergangenen Jahr den Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft ein.

BAYER: ENTLASTUNG PER VIERTAGEWOCHE Für Thomas de Win ist die Sache klar: „Die bisherige Altersteilzeit mit Blockmodell wird künftig zunehmend keine Rolle mehr spielen“, prophezeit der Konzern- und Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Bayer AG. Seit dem Wegfall der staatlichen Förderung, sagt er, sei die bisherige Altersteilzeit „für viele Unternehmen sehr teuer und für die Mitarbeiter finanziell unattraktiv geworden“.Neben den Kosten spielen beim Chemieriesen aus Leverkusen zwei andere Faktoren eine viel wichtigere Rolle bei der Frage, warum für Unternehmen beim Übergang in die Rente neue, tragfähige Modelle gefunden werden müssen. Mit dem frühzeitigen Ausscheiden von Mitarbeitern geht Know-how verloren, was in Zeiten des zunehmenden Facharbeitermangels in der Industrie verhindert und besser gesteuert werden muss. Zum anderen verfestigt das Blockmodell paradoxerweise die ohnehin fortschreitende Vergreisung in den Betrieben. „Wenn wir nichts unternehmen, wächst das Durchschnittsalter der Belegschaft je nach Tätigkeit bald auf 51 bis 53 Jahre an“, warnt de Win. Das Ziel müsse sein, die Beschäftigten „in Zukunft länger arbeitsfähig zu halten, sie aber gleichzeitig im eigenen Interesse gesund in die Rente zu bringen“, sagt er.

In der chemischen Industrie gibt es nicht nur eine lange Tradition von tariflichen und betrieblichen Regelungen zum Erwerbsausstieg, sondern auch die umfassendsten tariflichen Regeln zum Rentenübergang. Die Rahmenbedingungen sind günstig: Viele Großbetriebe, eine hohe Tarifbindung und damit verbunden ein überdurchschnittliches Einkommensgefüge erleichtern die Einrichtung von ganz unterschiedlichen Instrumenten des Rentenübergangs. Zudem ist das Verhältnis der Sozialpartner seit Jahrzehnten partnerschaftlich. Bei der Branchengewerkschaft IG BCE gilt der 2008 geschlossene Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ als „Meilenstein in der Tarifgeschichte“, weil sich erstmals in Deutschland ein Tarifvertrag dem demografischen Alterungsprozess stellte. Er bietet mit Langzeitkonten, Altersteilzeit, Teilrente und einer tariflichen Altersvorsorge ein ganzes Bündel an Instrumenten, überließ es aber den Betrieben selbst, wie sie den Übergang im Detail gestalten wollten.

Grundsätzlich verfolgen die Tarifpartner in der Chemieindustrie einen anderen Ansatz als viele andere Branchen. Um die Herausforderungen, wie sie de Win skizziert, meistern zu können, vereinbarten beide Parteien eine Abkehr von starren Altersteilzeitmodellen hin zu einer ganzheitlichen Lebensarbeitszeitbetrachtung, die verschiedene Lebensphasen mit einem Wunsch nach zeitweilig größerer Freizeit – neben dem Alter auch Zeiten der Kinderbetreuung oder der Pflege von nahen Angehörigen – mit berücksichtigt. Erste Schritte dazu sind eine Belastungsreduzierung besonders für ältere Mitarbeiter im Schichtdienst und eine verbesserte individuelle Gesundheitsvorsorge. Bezahlt wird das mit Mitteln aus einem Demografiefonds, den Chemieunternehmen seit 2010 einrichten müssen.

Bei Bayer profitierten ab Ende 2010 zunächst speziell Mitarbeiter ab 55 Jahren in Wechselschichtarbeit. Im Zuge einer Gesamtbetriebsvereinbarung wurde für sie durch bis zu 20 zusätzliche Freischichten faktisch die Viertagewoche eingeführt. „Diese Mitarbeiter gewinnen einen freien Tag ohne einen Cent Entgeltverlust, finanziert aus dem Demografiefonds“, erläutert Thomas de Win. Ganze 96 Prozent der infrage kommenden Wechselschicht-Mitarbeiter nutzen mittlerweile diese Regelung. Doch nicht nur die älteren Schichtarbeiter profitierten. „Durch die frei werdende Arbeitsleistung konnten bei uns 60 Chemikanten-Azubis unbefristet übernommen werden“, sagt der GBR-Chef. In den Fonds zahlt das Unternehmen jährlich pro Mitarbeiter einen bestimmten Betrag ein, derzeit rund 326 Euro. 2012 wurde auf Basis des Tarifabschlusses 2012 ein zusätzlicher, fixer „Demografiebetrag“ in Höhe von 200 Euro pro Mitarbeiter pro Jahr vereinbart, vorerst befristet bis Ende 2015. Beide Beiträge wurden in einem Topf zusammengelegt, um auch für alle anderen Mitarbeiter ab 57 Jahren durch zusätzliche, nach Alter gestaffelte Freitage eine Belastungsreduzierung zu erreichen.

„Das Volumen ist etwas geringer als bei den Wechselschichtlern. Hier haben die Mitarbeiter ungefähr jede zweite Woche eine Viertagewoche“, schildert de Win. Er sagt auch: „Um diese Regelung für weitere Generationen zu sichern, müssen wir den Demografiebetrag nachhaltig gestalten. Dafür brauchen wir weiter Unterstützung aus der Tarifpolitik.“Für die niedrigen Entgeltgruppen, die die Konten normalerweise mangels ausreichender Mittel nicht nützen würden, erreichte der Betriebsrat eine besondere Lösung. Hier fördert das Unternehmen den Aufbau von Langzeitkonten zusätzlich. Wenn Beschäftigte 300 oder 600 Euro aus der jährlichen Gewinnbeteiligung auf einem betrieblichen Langzeitkonto anlegen wollen, legt der Betrieb noch einmal den gleichen Betrag hinzu. Zudem beteiligt sich Bayer mit zusätzlichen Leistungen bei der Pflege von Angehörigen oder der Kinderferienbetreuung.

AUGUST HESPENHEIDE: HOFFEN AUFS ALTERSFLEXI-GELD Wenn Thomas Sengewald hört, was seine Kollegen aus Großbetrieben berichten, kommt er oft ins Staunen. Weitreichende Regelungen zum Rentenübergang wie bei der Deutschen Post und bei Bayer hätte er auch gern. Der Betriebsratsvorsitzende der mittelständischen Malerfirma August Hespenheide GmbH & Co. KG in Bremen wäre froh, wenn es überhaupt irgendeine Regelung geben würde, die seinen Malern ohne riesige Abschläge einen früheren Gang in die Rente erlaubt. „Bislang haben wir leider gar nichts“, sagt der BR-Vorsitzende zerknirscht.Sein Betrieb steht in einem scharfen Kostenwettbewerb mit Firmen, die auf Dumpinglöhne und Leiharbeit setzen. Nach Angaben der IG BAU erwirtschaften rund 60 Prozent der Betriebe in der Branche ein Drittel ihres Umsatzes mit Leiharbeit. Hinzu kommt, dass das Malergewerbe teilweise ein Saisongeschäft ist. Von September bis März ist die Auftragslage aufgrund der Witterung häufig mau. Viele Malerfirmen haben deshalb Mühe, über das Jahr genügend Geld zu verdienen, um sämtliche Kosten zu decken. Der Druck zeigt sich auch in den nackten Zahlen über die Belegschaft bei Hespenheide, die laut Sengewald von früher 150 auf inzwischen 84 gesunken ist.

Angesichts dieser Situation sind anderswo übliche Altersteilzeitmodelle für das Unternehmen schlicht nicht bezahlbar. Von den Mitarbeitern der Firma schaffen es nur wenige gesund in die Rente, wie der Betriebsrat erzählt. Er hat eine kleine Statistik über jene Mitarbeiter zusammengestellt, die jüngst in Rente gegangen sind. „Von zehn Malern haben bei uns nur zwei gesund die Rente erreicht, der Rest schied wegen gesundheitlicher Probleme vorher aus“, schildert Sengewald. Lösungsmitteldämpfe, hohe Knochenbelastungen und das Arbeiten bei Wind und Wetter fordern oft lange vor dem eigentlichen Rentenalter ihren Tribut. Das Durchschnittsalter beim Renteneintritt liegt bei 61 Jahren, mit entsprechend hohen Abschlägen bei der Rente.

„Die durchschnittliche Rente eines Malers liegt derzeit bei 900 Euro, was sich auch durch die vielen saisonalen Ausfallzeiten in Handwerksberufen und im Bauhauptgewerbe erklärt.Die Rente mit 67 ist für unsere Branche doppelt verheerend“, so der Betriebsratsvorsitzende.Im Betrieb hofft man nun auf das aktuell von der IG BAU vorgeschlagene „Altersflexi-Geld“, eine Form des Kurzarbeitergeldes. Danach sollen Beschäftigte ab 58, die aus gesundheitlichen oder betrieblichen Gründen weniger arbeiten, für nicht geleistete Arbeitsstunden eine Kompensation in Höhe von 60 Prozent des Nettoentgeltes für maximal fünf Jahre bekommen.

BSR: BLOCKMODELL FÜR BESONDERS BELASTETE Das Arbeiten bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) ist kein Zuckerschlecken. Ob Müllabfuhr bei Frost oder Regen, Sperrmüll schleppen über steile Treppen oder die Beseitigung unappetitlicher Dinge – im Betrieb gibt es jede Menge harter Arbeit, die schlaucht und über die Jahre Spuren hinterlässt. Entsprechend ausgepowert sind viele der derzeit 5100 Beschäftigten, besonders die 2850 Mitarbeiter, die Akkordarbeit leisten. Viele schaffen es nicht ohne Abzüge in die Regelrente. Gleichzeitig überaltert bei den BSR, einem der größten verbliebenen kommunalen Entsorgungsunternehmen Deutschlands, die Belegschaft immer mehr. Der vermeintliche Widerspruch ist keiner. Nachdem im Jahr 2009 die staatliche Förderung für Altersteilzeit wegfiel, wurde diese für viele BSR-Mitarbeiter uninteressant, weil sie sich weitere Einschnitte beim ohnehin nicht üppigen Grundgehalt nicht leisten konnten.

„Wir mussten dringend reagieren. Gerade bei den Akkordtätigkeiten kommen wir auch durch den Personalabbau in den Jahren zuvor in eine ganz schwierige Situation“, sagt Rolf Wiegand, Vize-Personalratschef und Aufsichtsratsmitglied bei den BSR. So ergab eine interne Rechnung, dass bis zum Jahr 2018 rund 70 Prozent der Akkordbeschäftigten 51 Jahre und älter sein würden. Also einigten sich Personalrat und Geschäftsleitung auf ein Modell für einen gesteuerten demografischen Wandel im Unternehmen und besseren Übergang in die Rente. Herausgekommen ist ein Angebot, das man im Vergleich zu anderen Unternehmen im öffentlichen Dienst wohl als überdurchschnittlich bezeichnen kann. Hauptinstrument bleibt die Altersteilzeit, die jedoch ausschließlich für Mitarbeiter mit harter körperlicher Arbeit möglich ist. „Wir wollten für alle Beschäftigten eine solche Teilzeit, aber da spielte der Berliner Senat nicht mit“, sagt Personalrat Wiegand, der zugleich Mitglied im Landesvorstand der Berliner SPD ist. Diese regiert gemeinsam mit der CDU die Hauptstadt.

In die Altersteilzeit können Straßenreiniger oder Müllentsorger bei den BSR ab dem 55. Lebensjahr gehen, wenn sie mindestens zehn Jahre in diesem Segment gearbeitet haben. Möglich ist allerdings nur das traditionelle Blockmodell. Dafür bietet das Unternehmen jedem, der die Voraussetzungen erfüllt, einen individuellen Anspruch ohne Begrenzung auf eine bestimmte Quote innerhalb der Belegschaft, wie es häufig in anderen Branchen üblich ist. Während der Altersteilzeit wird auf 80 Prozent des Nettoentgelts und auf 90 Prozent der Rentenbeiträge aufgestockt. Allerdings müssen sich die Beschäftigten mit 1,5 Prozentpunkten der Tariferhöhungen während der Laufzeit des Tarifvertrages beteiligen. „Dafür gibt es für jeden Kollegen, der in die Freistellung wechselt, eine Neuanstellung“, erläutert Wiegand.

Zusätzlich gibt es bei den BSR mehrere Modelle von Zeitkonten. Beim sogenannten Langzeitkonto könnten alle Beschäftigten der BSR über Mehrarbeit, Einmalzahlungen oder über gesetzlichen Urlaub Zeitguthaben ansparen, die sie zum früheren Renteneintritt, aber auch für ein Sabbatical und andere gewünschte Freizeiten vor der Rente nutzen können. Eine Verzinsung des Langzeitkontos gibt es aber nicht. Im Gegensatz dazu steht das sogenannte Lebensarbeitszeitkonto, welches mit 3,5 Prozent jährlich verzinst wird und nur für einen flexibleren Übergang in die Rente gedacht ist. Derzeit nutzen bereits bis zu 25 Prozent der Beschäftigten das Lebensarbeitszeitkonto. Trotz des vergleichsweise guten Angebotes sind die Reaktionen in der Belegschaft über die Altersteilzeit gemischt. „Es gibt schon Probleme, weil Kollegen mit 20 Prozent Abzug leben müssen.“ Ein gutes Angebot hilft wenig, wenn man es sich nicht leisten kann. Dazu Wiegand: „Wer das Vollmodell in Anspruch nimmt, das maximal zehn Jahre läuft, hat erhebliche Abzüge. Da sind die Reaktionen nicht gerade euphorisch.“

ROBERT BOSCH: QUOTIERTE ALTERSTEILZEIT Als Stiftungsunternehmen steht Bosch seit Jahrzehnten für ein hohes soziales und gesellschaftliches Engagement. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 kämpfte der weltweit zweitgrößte Automobilzulieferer mit massiven Umsatzeinbrüchen aufgrund der Krise in der Automobilbranche. Im vergangenen Jahr musste Bosch nach Milliardenverlusten die hoffnungsvoll gestartete Solarsparte wieder eindampfen. Zudem wird die Produktion vieler Produkte im Hochkostenland Deutschland immer teurer, weswegen das Unternehmen zunehmend Arbeitsplätze in Niedriglohnstandorte wie Ungarn oder China auslagert.

„Es ist pervers. Man zeigt einem Mitarbeiter, was er zu tun hat – und weiß genau, in zwei Jahren ist die Produktion des Produktes hier weg“, sagt Betriebsrat und Schwerbehindertenvertrauensperson Wolfgang Besser, der im Technologiezentrum von Bosch in Hildesheim arbeitet: Parallel dazu altert die Belegschaft immer stärker, es droht im Zuge des demografischen Wandels ein wachsender Fachkräftemangel für das Technologieunternehmen. Der Gesamtbetriebsrat und die Unternehmensleitung einigten sich daher auf eine Betriebsvereinbarung auf Basis des seit 2010 geltenden IG-Metall-Tarifvertrages für einen flexiblen Übergang in die Rente (TV FlexÜ).

Das zentrale Angebot für einen früheren Rentenübergang ist die Altersteilzeit, die in eine „frühe“ und in eine „späte“ Option gesplittet ist. Die frühe Option gilt für untere Einkommensgruppen ab dem 58. Lebensjahr (Schwerbehinderte ab dem 55. Lebensjahr), bevorzugt werden Beschäftigte mit harter körperlicher Arbeit im Mehrschichtbetrieb an den Produktionslinien; die späte Option gilt für alle Beschäftigten ab dem 61. Lebensjahr. Generell sind verschiedene Altersteilzeitmodelle möglich – vom Blockmodell bis zu einer stufenweisen Absenkung der Arbeitszeit. Allerdings ist der Anspruch auf ein Prozent der Belegschaft pro Jahr quotiert. Für untere Einkommen wird auf 89 Prozent des Nettoeinkommens aufgestockt, für höhere auf 85 Prozent – bei 95 Prozent der Rentenbeitragszahlungen.

Parallel gibt es ab 58 Jahren ein ebenso gern genutztes Vorruhestandsprogramm auf Basis einer Abfindung von 80 Prozent des Nettogehaltes plus Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge sowie Rentenabschläge. Hinzu kommen verzinste Langzeitkonten, welche gern von höheren Einkommensgruppen wie den Ingenieuren genutzt werden. „Insgesamt ist das Modell sehr gut. Viele Mitarbeiter hoffen hier, dass die Altersteilzeit noch lange bestehen bleibt“, sagt Besser.


MEHR INFORMATIONEN

Hans Riegel/Dietmar Röhricht: GESTALTUNG DES ÜBERGANGS IN DEN RUHESTAND. Betriebs- und Dienstvereinbarungen – Analyse und Handlungsempfehlungen. Frankfurt am Main 2013 

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