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Magazin Mitbestimmung

Konfliktpartnerschaft: Was uns verbindet

Ausgabe 12/2015

Weggefährten von Walther Müller-Jentsch sind vielfach auch Weggefährten der Hans-Böckler-Stiftung. Sie verbindet Wissenschaft, Gewerkschaft und Freundschaft, was eine Tagung Ende November in Bochum trefflich illustrierte. Von Cornelia Girndt

Welch eine Zusammenballung von Industriesoziologen und arbeitsorientierten Wissenschaftlern! Walther Müller-Jentsch ist ganz offensichtlich ein Mittelpunkt dieser Szene. Mehr noch: Er ist Teil jenes Trios, das mit Eberhard Schmidt und Otto Jacobi in den 70er und 80er Jahren die kritischen Gewerkschaftsjahrbücher herausgegeben hat. Er war gewichtiger Teil auch des Hattinger Kreises, der seit 1987 die Modernisierung der Gewerkschaften diskutiert und befördert hat. Er ist Gründungsmitglied der Zeitschrift „Industrielle Beziehungen“ und hat DEN Markenbegriff für das deutsche Modell der industriellen Beziehungen erfunden: Konfliktpartnerschaft. Der stand denn auch über der wissenschaftlichen Tagung, die einige Weggefährten mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung ausgerichtet hatten – zu seinem 80. Geburtstag. In Bochum, wo Müller-Jentsch den (von der Stiftung angeregten) Mitbestimmungslehrstuhl innehatte, im Haus der Geschichte des Ruhrgebietes, wo er im Gründungsvorstand war. 

Dabei sein war angesagt für jene Wissenschaftler-Szene, die die industriellen Beziehungen in Deutschland – bisweilen auch gewerkschaftskritisch – reflektiert und kommentiert: wie etwa Martin Behrens, Ulrich Brinkmann, Christoph Deutschmann, Reinhard Doleschal, Michael Fichter, Maria Funder, Bernd Keller, Jürgen Käedtler, David Marsden, Udo Rehfeld, Jörg Sydow und Manfred Weiss, um – man verzeihe – nur einige zu nennen. Das Programm war dicht, die Wissenschaftler diskutierfreudig, so kennt man sie. 

In einer Vitrine liegen Bücher wie Wegmarken des Prof. Dr. Walther Müller-Jentsch, der bei Karl Popper und Ralph Miliband studiert, seine Diplomarbeit bei Jürgen Habermas gemacht hatte und 1969 von Theodor W. Adorno am Frankfurter Institut für Sozialforschung angestellt worden war. 

Da liegt auch der Sammelband „Konfliktpartnerschaft“, der 1991 die Schriftenreihe „Industrielle Beziehungen“ eröffnet hat. Neben dem populären Reclam-Bändchen zur Sozialen Marktwirtschaft, in dem Walther Müller-Jentsch erzählt, wie die Gewerkschafter zum Mitgestalter einer Ordnung wurden, die sie ursprünglich bekämpft haben.

Damit erzählt er auch seine Geschichte. „Ich bin von der Literatur politisiert worden, obwohl ich aus der Arbeiterklasse stamme“, sagte er kürzlich. Ja, er stammt aus einem Industrieviertel Düsseldorfs, der Vater war Schlosser, vier Geschwister, da war zunächst nur Hauptschule möglich. Ehe er mit 28 Jahren zu studieren beginnt mit dem unbändigen Willen, etwas aus sich zu machen, absolvierte er eine kaufmännische Lehre und arbeitete als Buchhalter. 

ER WAR STIPENDIAT DER STIFTUNG

Seit Langem ist er der Hans-Böckler-Stiftung verbunden – als Stipendiat, Vertrauensdozent und Lehrstuhlinhaber, davon berichtete Geschäftsführer Wolfgang Jäger. Seit dem Wintersemester 1963/64 förderte die damalige „Stiftung Mitbestimmung“ sein Studium am Frankfurter Institut für Sozialforschung wie auch das Jahr an der London School of Economics, LSE, wo die Weichen gestellt wurden für seine Gewerkschaftsforschungen.

Vom Büchergeld der Stiftung hatte er sich im ersten Semester Schriften von Horkheimer/Adorno, Ralf Dahrendorf und Karl Marx gekauft. Und weil sein Berufsziel Redakteur war, war der Weg zur linken Betriebszeitung, dem „Express“ nicht weit – übrigens eine frühe Anlaufstelle für einige, die jetzt in Bochum zusammenkamen. Darunter auch Anke Hassel, Professorin für Public Policy, die ihrem Doktorvater Walther Müller-Jentsch dankte. Und dabei erzählte, dass sie nicht in Frankfurt, sondern in der LSE-Bibliothek in London die Autoren der kritischen Gewerkschaftsjahrbücher entdeckt hatte. 

Britta Rehder, Politikwissenschaftlerin an der Uni Bochum, konstatiert bewegte Zeiten für die Konfliktpartnerschaft von heute. Sie nannte die kleinteiligen Streiks, die langwierigen Auseinandersetzungen wie bei Amazon und die Tatsache, dass die Arbeitsgerichte zunehmend als Entscheider gebraucht werden. Wolfgang Schroeder, Wissenschaftler und Gewerkschaftskenner, pries die Erfindung des Begriffs Konfliktpartnerschaft als pädagogische Meisterleistung – ein Brückenbau für die Gewerkschaften, die sich mit dem Klassenkampf genauso unwohl fühlen wie mit der Sozialpartnerschaft. 

Natürlich war Zukunft und die der Gewerkschaften ein großes Thema. Anke Hassel stellte die Böckler-Kommission „Workers Voice“ vor, die sie leitet. Während Kerstin Jürgens dem Thema „Arbeit und Leben“ Gehör verschaffte (siehe Interview Seite 16). Prominentester Gast war der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, der dem Jubilar die Referenz erwies, indem er eindrucksvoll die digitale Veränderungsdynamik skizzierte. 

Auflockerung verbreitete die Redaktion des Magazins Mitbestimmung, indem sie ein paar unbekannte Seiten des Walther Müller-Jentsch enthüllte: seine Arbeiten als Kunstsoziologe, seine politische Lyrik in den 60ern, die Gedichte, die er heute schreibt. Und seine Aktivitäten als „Wiki-Warrior“. Seit Oktober 2008 hat Walther Müller-Jentsch das Onlinelexikon Wikipedia mit 135 komplett neuen Beiträgen bereichert, er hat existierende Artikel zur Mitbestimmung geradegerückt und mit den forschen Marktliberalen um die politische Deutungsmacht gestritten – auch heute noch ganz Kämpfer und täglich am Schreibtisch, davon berichtet Müller-Jentsch in einem Video.

Ein emotionaler Schlussakt war die Dankesrede des Jubilars, die nicht zufällig „Von der Freundschaft“ handelt – etwa der zwischen Schiller und Goethe oder Adorno und Horkheimer. Von der Freundschaft als Humus für Schaffen und Lebensfreude. Das gelte auch für den Hattinger Kreis, „dessen über 20-jährige gewerkschaftliche Reformarbeit in ein Netzwerk von Freundeskreisen und geselligen Zirkeln eingebettet war“. Ein Humus, aus dem nicht zufällig ein DGB-Vorsitzender hervorgegangen sei. Sagte der eine, und der andere schmunzelte.

Mehr Informationen

Wir dokumentieren die Rede Von der Freundschaft von Walther Müller-Jentsch der Hans-Böckler-Tagung „Konfliktpartnerschaft“,  am 20. 11. 2015 in Bochum. 

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