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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Was die neue Regierung anpacken muss

Ausgabe 10/2013

„In der kommenden Legislaturperiode braucht Deutschland massive Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, Bildung und die Energiewende“, sagt Gustav Horn, Direktor des IMK, zu den wirtschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Bundesregierung.

Noch ist unklar, welche Koalition sich ergibt. Doch im Hinblick auf die wirtschaftspolitische Agenda hat die Bundestagswahl ein klares Ergebnis hervorgebracht: Ohne die FDP dürfte vieles leichter fallen. Denn ihr dezidiert neoliberaler Kurs hat mit ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag und dem Nichteinzug der AfD ins Parlament kaum noch Anhänger. Und das ist auch gut so. Denn die anstehenden Entscheidungen sind mit neoliberalen Denkmustern nicht zu treffen. Ja, sie widersprechen ihnen sogar in vielen Fällen.

Das drängendste wirtschaftspolitische Problem ist nach wie vor, die Krise des Euroraums zu überwinden. Nach den desaströsen Erfahrungen mit dem bisherigen Kurs einer neoliberalen Austeritätspolitik bedarf es eines raschen Richtungswechsels, um die Krisenländer wirtschaftlich auf die Beine zu bekommen. Hierzu gehört, dass keine weiteren Sparauflagen erfolgen, die die binnenwirtschaftliche Nachfrage immer wieder zusätzlich belasten. Dies ist auch zu rechtfertigen, da die Effekte der bisherigen Sparrunden selbst von ihren Befürwortern deutlich unterschätzt wurden.

Der zweite Schritt besteht darin, sicherzustellen, dass die Volkswirtschaften der Krisenländer wieder wettbewerbsfähig werden. Sinnvoll wäre es, dort, wo es möglich ist, Lohnpakte anzubieten. In denen sollte einerseits ein Schutz vor weiteren Entlassungen angeboten werden, andererseits sollten die Löhne auf längere Sicht nur wenig steigen. Auf diese Weise verwandelt sich jeder Produktivitätsanstieg in höhere Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich wird die Abwärtsspirale bei Löhnen und Einkommen gestoppt.

Als dritter Schritt, der sich in Verbindung mit seinen positiven Wirkungen auf den Euroraum zusätzlich mit dringenden Bedürfnissen der Wirtschaft in Deutschland trifft, ist ein Programm öffentlicher Investitionen erforderlich. Aus deutscher Sicht bedarf es teilweise massiver Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in Bildung und in die Energiewende. Dies muss im Laufe der kommenden Legislaturperiode geleistet werden. Ansonsten drohen auf Dauer erhebliche Wachstumsverluste. Ohne eine intakte Infrastruktur für Verkehr oder Energie und im Zuge des demografischen Wandels besonders gut ausgebildete Arbeitskräfte erleidet die Wirtschaft in Deutschland Wohlstandsverluste. Wichtig ist dabei, dass Deutschland frühzeitig Ressourcen schonende Pfade der wirtschaftlichen Entwicklung einschlägt, um im Kampf um knapper werdende Rohstoffe gewappnet zu sein.

Ein solches Investitionsprogramm ist daher primär wegen seiner Wirkung auf die längerfristige Expansion der Wirtschaft von Bedeutung als unter konjunkturellen Gesichtspunkten. Letztere sind derzeit ohnehin aus ökonomischen und rechtlichen Gründen nicht besonders relevant, da zumindest ein bescheidenes Wachstum erwartet wird. Daher besteht vor dem Hintergrund der Schuldenbremse kein Spielraum, ein solches Programm durch höhere Schulden zu finanzieren. Folglich sind Steuererhöhungen der einen oder anderen Art unvermeidlich.

Für die neue Bundesregierung ergibt sich aber noch ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld: der Arbeitsmarkt. Hier ist vieles aus der Balance geraten. Zwar gibt es heute mehr Arbeitsplätze als vor zehn Jahren. Folglich sind auch weniger Menschen arbeitslos. Die Qualität dieser Arbeitsplätze ist jedoch vielfach zweifelhaft. So ist der Anteil der im Niedriglohnsektor Beschäftigten mittlerweile auf europäische Rekordwerte gestiegen. Vor allem aber hat die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in Deutschland deutlich zugenommen. Auch wenn der Trend zu immer ungleicheren Einkommen in den vergangenen Jahren aufgrund der Finanzmarktkrise zum Stillstand gekommen ist, droht diese Tendenz wieder zum Durchbruch zu kommen. Zum einen weil die Ungleichheit bei den Löhnen immer noch stark zunimmt und zum Zweiten weil die Umverteilungswirkung des Steuer- und insbesondere Abgabensystems zu schwach ist.

Aus diesen Gründen sollte die kommende Bundesregierung vor allem anderen einen Mindestlohn einführen, von dem gerade die Niedriglohngruppen profitieren würden. Zugleich ist aber auch eine Reform unseres Abgabensystems in Richtung Bürgerversicherung notwendig, um die höheren Einkommen an der Finanzierung des Sozialsystems zu beteiligen. Darüber hinaus wären auch Steuererhöhungen für höhere Einkommen und Vermögen hilfreich. Die nächste Bundesregierung sollte mithin einen Weg einschlagen, der die Balance zwischen den auseinanderdriftenden Einkommen aus Arbeit und Vermögen wiederherstellt. Dann wäre wirtschaftspolitisch einiges gewonnen.

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