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Magazin Mitbestimmung

: Vom 'guten Helfer' zum Magazin

Ausgabe 05/2004

Im Januar 1955 erschien zum ersten Mal "Das Mitbestimmungsgespräch" - als Mitgliederblatt der neu gegründeten Hans-Böckler-Gesellschaft. Heute ist die Zeitschrift ein modernes Corporate-Media-Produkt.

Von Kay Meiners


Knapp ein Jahrzehnt nach dem Ende des Krieges war Essen immer noch damit beschäftigt, wieder eine normale Großstadt zu werden. Zwar waren die Trümmer im Zentrum weitgehend beseitigt, aber noch prägten neben den Neubauten viele behelfsmäßig reparierte Häuser und geräumte Grundstücke die Stadt. Wegen der Kruppwerke war die Stadt als "Waffenschmiede des Reiches" bekannt und ein bevorzugtes Angriffsziel gewesen. Ab 1942 hatten die Bomber der Alliierten ihre tödliche Fracht abgeladen, so dass drei Jahre später jede zweite der 200 000 Essener Wohnungen zerstört war. Am Freitag, dem 23. April 1954, versammelten sich etwa 500 Gewerkschaftsvertreter und Gäste im wieder aufgebauten Saalbau, dem bedeutendsten Festsaal der Stadt, um einen Verein zu gründen, der den Namen "Hans-Böckler-Gesellschaft" tragen sollte. Die Gründungsveranstaltung fand im Einvernehmen mit dem DGB, der IG Metall und der IG Bergbau statt - seine Aufgabe, so die lapidare Formulierung der Satzung, würde es sein, "die Mitbestimmung in der Wirtschaft wissenschaftlich und praktisch zu fördern."

Die Geldmittel, die der Hans-Böckler-Gesellschaft zur Verfügung standen, waren bescheiden - im Laufe ihrer Existenz sollte sie nie mehr als drei Mitarbeiter haben, die Sekretärinnen nicht eingerechnet - doch mäße man sie nur an ihrer Größe, würde man ihr kaum gerecht. Große Interessenpolitik stand hinter der kleinen Gesellschaft. Ihre Gründer waren 15 Arbeitsdirektoren und Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten der Montanindustrie - Personen also, die durch die Neuordnung der Wirtschaft nach 1945 in neue, verantwortungsvolle Positionen gelangt waren. Die Hans-Böckler-Gesellschaft sollte ihnen als Forum für den Erfahrungsaustausch dienen und darüber hinaus öffentlich für die Idee der Mitbestimmung werben. Ihren Sitz fand sie zunächst im Haus des DGB-Landesbezirkes NRW, in der Friedrich-Ebert-Straße 34/38. Zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehörte auch die Herausgabe einer Monatszeitschrift. Sie war als das Zentralorgan für die Praxis der Unternehmensmitbestimmung gedacht, die der später entmachtete DGB-Theoretiker und Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes, Viktor Agartz, auf dem 3. Bundeskongress des DGB in Frankfurt mit folgenden Worten beschrieben hatte: "Sie ist ein Eindringen nicht in das Eigentum, aber in Funktionen, die das Eigentum bislang für sich allein reklamierte."

Ein Layout für mehr als zwei Jahrzehnte

Heinz Seidel, Hoteliersohn aus Breslau und ein studierter Volkswirt, übernahm nach einer kurzen Interimszeit die Geschäftsführung der Gesellschaft und zunächst auch die Redaktion der Zeitschrift. Seidel hatte ab 1946 Volkswirtschaft in Jena studiert und war später, als ihm aus politischen Gründen die Verschleppung in den Uranbergbau drohte, nach Westberlin geflohen. Im Jahr 1952 war er nach Düsseldorf gekommen, wo er Arbeit als Referent der "Gesellschaft für soziale Betriebspraxis" fand - einer Vorläuferorganisation der Hans-Böckler-Gesellschaft, die noch aus der treuhänderischen Verwaltung von Kohle und Stahl hervorgegangen war. Schon zu dieser Zeit hatte Seidel Skizzen für eine Zeitschrift mit dem Titel "Mensch und Betrieb" angefertigt - bereits im Herbst 1952, so zeigen Notizen aus seinem Nachlass, hatte er dann die Idee für den Namen "Das Mitbestimmungsgespräch".

Doch erst 1955, nach der Gründung der Hans-Böckler-Gesellschaft, konnte er sein Projekt verwirklichen. Im Januar erschien im Selbstverlag die erste Ausgabe der Zeitschrift, als Streifbandzeitung mit einem Umfang von 16 Seiten. Sie sollte, wie der DGB-Vorsitzende Walter Freitag in einem Geleitwort wünschte, "ein guter Helfer" für die Praxis sein. Entsprechend war das Blatt als Mitglieder- und Fachzeitschrift konzipiert. Ein Massenmedium war mit den vorhandenen Mitteln nicht zu machen und auch nicht beabsichtigt. Schnell gewann die Zeitschrift ihr spezifisches Profil. Praktische Probleme der Aufsichtsratsarbeit, wie die Abführungspraxis und moralische Ansprüche an die Arbeitnehmervertreter in den Unternehmen, wurden ebenso thematisiert wie politische Fragen - dazu erschienen Buchrezensionen, Beiträge über die Wiederverflechtung der Montanindustrie, die Volksaktie, kritische Berichte über Ostblockstaaten oder Lebenserinnerungen eines alten Metallers, der seine Erfahrung mit dem Satz zusammenfasste: "Freiwillig haben - mit wenigen Ausnahmen - Unternehmer und öffentliche Verwaltungen die Rechte der Arbeitnehmer in den Betrieben niemals erweitert." Das Layout war spartanisch - doch bereits im zweiten Jahrgang wurden Artikel aber vereinzelt mit Fotos illustriert, erstmals in einem Beitrag, der an den fünften Todestag Hans Böcklers erinnerte. Im Jahr 1959 erhielt die Zeitschrift ein frisches Titelblatt mit einer Schmuckfarbe und eine moderne Typografie.

Dieses Layout wurde mit marginalen Veränderungen über ein Vierteljahrhundert bis zum Jahr 1981 beibehalten. Auch der Zusammenschluss der Hans-Böckler-Gesellschaft und der Stiftung Mitbestimmung zur Hans-Böckler-Stiftung im Jahr 1977 wirkte sich zunächst nicht aus - als Herausgeber trat nun die neu gegründete Hans-Böckler-Stiftung mit Sitz in der Schwannstraße 3 auf. Redakteur war zu dieser Zeit Erhard Kaßler - seine Amtszeit, die von 1961 bis 1979 währte, ist bis heute unerreicht geblieben. Kaßler, Jahrgang 1918, lebt noch heute in Bad Wimpfen bei Heilbronn. "Haben Sie die alten Jahrgänge noch?", fragt er am Telefon. Dann erzählt er von seiner Tischlerlehre in Stuttgart, von seiner Zeit als Kavallerist in Frankreich und in Russland, wo er schwer verwundet wurde, und wie er nach dem Krieg einen Job verlor, weil die Belegschaft ihn zum Betriebsrat gewählt hatte. Barbara Müller, die heute in der Bibliothek der Hans-Böckler-Stiftung arbeitet, kann sich noch gut an diese Zeit erinnern: "Die Arbeit war mühsam - zum Teil trafen die Manuskripte noch handschriftlich ein und mussten abgetippt werden, bevor sie dann in den Satz gingen." Im April 1977 hatte sie unter Kaßlers Leitung eine Stelle als Redaktionsassistentin angetreten, heute ist sie die letzte Beschäftigte der Hans-Böckler-Gesellschaft, die noch immer für die Stiftung arbeitet.

Computer und Roboter als Feindbild

Nach der Pensionierung Erhard Kaßlers und zwei Übergangsredakteuren bildeten Heribert Kohl und Bernd Schütt ab 1981 ein neues Redaktionsteam. Kohl war der Posten des Alleinredakteurs und Öffentlichkeitsreferenten der Stiftung angeboten worden, Schütt war, obgleich bereits promoviert und ebenfalls Fachmann in Sachen Kommunikation, zunächst als Praktikant zur Redaktion gestoßen. Barbara Müller, die weiter in der Redaktion arbeitete, erinnert sich: "Das war eine Revolution, ein Generationswechsel. Das Arbeitsklima wurde lockerer." Kohl und Schütt krempelten das Blatt innerhalb kurzer Zeit völlig um. Der Name wurde auf "Die Mitbestimmung" verkürzt, die Zahl der Fotos, Karikaturen und Schaubilder stieg erheblich an, zu einzelnen Themen wurden Schwerpunkthefte angeboten. Im Januar 1982 warb die Zeitschrift erstmals mit einer farbigen Titelillustration zu dem Thema "Der gläserne Mensch" um Leser: Der Kopf eines Mannes war zu sehen, über den Papierstreifen mit vertraulichen Personalinformationen gelegt waren. Der Titel war in seiner entscheidenden Funktion für die kommunikative Wirkung erkannt. Das Heft kam so gut an, dass es zweimal nachgedruckt werden musste - es erreichte eine Auflage von insgesamt 23000 Exemplaren.

Die neue Redaktion verfolgte gesellschaftspolitische Ambitionen, die, wie Kohl heute sagt, zu einer "inhaltlichen Weiterung führten". In der Zeitschrift fanden sich jetzt Auszüge aus Fernsehsendungen, kritische Sozialreportagen über jugendliche Arbeitslose im Hungerstreik, über den aus Sicht der Autoren unzureichend flankierten Strukturwandel im Ruhrgebiet, über eine Schlachterei, die sich an den schmalen Geldbeutel ihre Kunden anpasste: "Das, was bis vor kurzem überhaupt nicht gekauft wurde, geht jetzt wieder weg. Das sind zum Beispiel Schweinepfoten. Das Stück für 20 Pfenning." Das roch nach einer Skandalisierung der Verhältnisse - die Zeitschrift wurde radikaler, ihr Feind schienen Roboter und Computer, die Symbole der Rationalisierung, zu sein. Im März 1984 bevölkerten sie den ganzen Titel, wie eine lästige Plage, und die Redaktion erklärte in der Titelzeile: "Organisierte Gegenwehr ist möglich." Die Richtungskämpfe innerhalb der politischen Linken, flankiert durch neue soziale Bewegungen, ließen auch die Stiftung nicht unberührt.

Es gab Anfang der 80er Jahre eine dogmatische Fraktion in der Stiftung, zu deren Vertrauensdozenten auch mehrere DKP-Mitglieder gehörten. Auch innerhalb der Gewerkschaften gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten, etwa was die Arbeitszeitverkürzung betraf. Schütt und Kohl zogen den Unmut einiger Gewerkschafter auf sich, denen einzelne Heftproduktionen zu einseitig ausfielen. Ein erbitterter Streit wurde um das Januarheft des Jahres 1984 geführt, das sich vehement für eine Arbeitszeitverkürzung und die 35-Stunden-Woche aussprach - eine Position, die die IG Metall offensiv vertrat, die andere Gewerkschaften aber nicht teilten. Gerhard Leminsky, damals neben Erhard Lenk Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung, versuchte, Kohl und Schütt dazu zu bewegen, im Editorial deutlich auf die anderen Positionen hinzuweisen: "Ich wusste, Vorstandsmitglieder wie Jürgen Walter und Ilse Brusis würden da draufhauen." Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen verknüpft mit hässlichen Kämpfen um Personal und Ressourcen. Im Jahr 1983 kam Frank von Auer als neuer, dritter Geschäftsführer in die Stiftung. Er sollte, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung später schrieb, "wohl auch für politische Mäßigung in einer damals als stramm links bekannten Stiftung sorgen." Heribert Kohl, Bernd Schütt und auch Erhard Lenk sahen für sich bei der Hans-Böckler-Stiftung keine Zukunft mehr.

Corporate Media und Internet

Die Zeitschrift war auf dem guten Weg, ein Magazin zu werden. Schütt und Kohl hatten damit begonnen, Geschichten über Menschen zu erzählen, sie hatten journalistische Überschriften eingeführt und die visuelle Kommunikation für die Zeitschrift entdeckt. Ditmar Gatzmaga, von 1984 bis 1994 Chefredakteur, konnte darauf aufbauen. Aus dem Konflikt um seine Vorgänger, sagt er, habe er die Lehre gezogen, das gesamte Meinungsspektrum innerhalb der Gewerkschaften abzubilden: "Als wir 1988 ein Atomkraft-Heft gemacht haben, da kam selbstverständlich die damalige IG Chemie vor, die in Sachen Atomkraft eine weniger kritische Position vertrat als die übrigen DGB-Gewerkschaften - das gab uns andererseits die Freiheit, auch das Freiburger Öko-Institut zu Wort kommen zu lassen." Durch Indiskretionen in der Stiftung kam es gleichwohl vor, dass Gewerkschafter im Voraus von der Heftplanung erfuhren und versuchten, einzelne Artikel zu verhindern: "Von da an haben wir uns gehütet, Detailplanungen bekannt zu geben", sagt der frühere Chefredakteur. Mit schnellen Schritten zog in den 80er Jahren die EDV in den Redaktionsalltag ein. Renate Hertsch, die von 1989 bis zum Jahr 2003 als Redaktionsassistentin für die Zeitschrift gearbeitet hat, erinnert sich: "Meine erste Tat war, den Karteikasten abzuschaffen und durch eine elektronische Adresskartei zu ersetzen. Die Monitore waren klein und einfarbig, aber es war ein Riesenfortschritt, als man Fehler elektronisch korrigieren und ein paar Jahre später auch E-Mails verschicken konnte."

In den 90er Jahren wurden die Weichen gestellt, das Magazin zu einem Imageprodukt zu erweitern, zu einem Stiftungs-Magazin, das es als seine Aufgabe ansieht, die verschiedenen Stakeholdergruppen der Stiftung - die Förderer, die Mitbestimmungsträger, Gewerkschafter, Stipendiaten und alle an der wirtschaftlichen Mitbestimmung interessierten Wissenschaftler, Journalisten und öffentlichen Meinungsträger - füreinander zu interessieren und ihnen ein Forum für den mitunter kontroversen Dialog zu bieten. Die Zeitschrift hält ihre Leser über aktuelle Trends in der Arbeitswelt, Wissenschaft und Politik auf dem Laufenden und scheut sich dabei nicht, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Die erstmals im Jahr 1992, seit 1998 regelmäßig einmal im Jahr produzierte englische Ausgabe und der 1999 eingerichtete, im vergangenen Jahr mit dem Relaunch der gesamten Böckler-Website neu gestaltete Internetauftritt des Magazins sowie eine dritte Redakteursstelle sind Zeichen einer stetigen Professionalisierung, die das Magazin zum publizistischen Flaggschiff der Hans-Böckler-Stiftung gemacht hat - mit einer Auflage von aktuell 15000 Exemplaren. Die Pflege des Online-Angebotes, die zwischenzeitlich an eine Fremdfirma vergeben war, liegt heute wieder in den Händen der Stiftung.

Was ist das Erfolgsrezept des Magazins? Für Margarete Hasel, die jetzige Chefredakteurin, gehört es zum redaktionellen Selbstverständnis, "dass die Pluralität, die in den Gewerkschaften vorhanden ist, in den Heften ihren Niederschlag findet." Wichtig ist ihr aber auch die "Suche nach Verbündeten für die Idee der Mitbestimmung", der "Brückenbau" zu gesellschaftlichen Kräften, die sich nicht sowieso schon fest dem Gewerkschaftslager zurechnen lassen - und das auf hohem journalistischen Niveau: "Nur durch eine gleich bleibend hohe Qualität", sagt sie, "können wir auch hochkarätige Autoren dafür gewinnen, bei uns zu schreiben."

 

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